Mit Michael W. steht in der Prozess-Serie zum Überfall auf Connewitz ein weiteres, bekanntes Gesicht der Neonazi-Szene vor dem Amtsgericht Leipzig. Am 11. Januar 2016 hatten knapp 250 Rechtsradikale den Leipziger Stadtteil verwüstet, mit Äxten und Eisenstangen zahlreiche Geschäfte, Wohnungen und Autos beschädigt. In diesem Rahmen müssen sich W. und sein Mitangeklagter Torsten K. am Donnerstag, 3. Februar, ebenfalls wegen Landfriedensbruchs verantworten.
Bereits am Dienstag hatte ein weiterer Beteiligter, ein mittlerweile suspendierter JVA-Beamter, auf der Anklagebank gesessen und geschwiegen. Michael W. und Torsten K. hingegen erzählen der Vorsitzenden Richterin Ute Pisecky vom Abend des Überfalls: Eigentlich hätten die beiden nur zur montäglichen Legida-Demo in der Leipziger Innenstadt gewollt. Vom anschließenden Plan, als vermummter Mob in Connewitz zu randalieren, hätten sie nichts gewusst. Man habe sich dann „einfach mitreißen lassen“.
15-fach vorbestraft
Es ist nicht das erste Mal, dass sich beide Angeklagten haben mitreißen lassen. Der 48-jährige W. ist mehrfach wegen Körperverletzung vorbestraft. Insgesamt 15 Einträge im Bundeszentralregister hat der Trockenbauer vorzuweisen. Lastkraftfahrer K. wurde bereits 2006 wegen Landfriedensbruchs verurteilt und stand auch 2013 noch einmal vor Gericht.
Der Staatsanwalt merkt außerdem an, dass im Rahmen der jetzigen Verhandlung auch eine Falschaussage von K. im April letzten Jahres als Straftatbestand mit aufgenommen wird. Der 43-jährige Familienvater war als Zeuge im Fall Mario K. geladen, der ebenfalls im Rahmen des Connewitz-Überfalls angeklagt wurde. Trotz Belehrung zur Wahrheitspflicht und trotz seines Zeugenaussageverweigerungsrechtes habe K. im Zeugenstand eine Falschaussage getätigt.
Geständnisse und Besserungsbekundungen
K. gesteht im Anschluss sowohl die Beteiligung am Überfall als auch seine Falschaussage. Und auch Trockenbauer W. legt an diesem Donnerstag ein reuevolles Geständnis ab. Nach den Abschlussplädoyers ziehen sich Richterin Pisecky und die beiden Schöffen zurück. Die Urteilsfindung ist schnell abgeschlossen: Die Angeklagten werden des Landfriedensbruchs schuldig gesprochen. Michael W. erhält eine Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und eine Geldauflage von 3.000 Euro. Torsten K. bekommt 1 Jahr und 4 Monate und eine Zahlung von 2.000 Euro an den Hospiz-Verein Leipzig e. V.
Beide Freiheitsstrafen sind zur Bewährung ausgesetzt.
Richterin Pisecky erklärt: „Das Gefährdungspotenzial und die Angst für die Bevölkerung in dem Stadtteil waren sehr real.“ Auch wenn sie nach eigenen Angaben für keine Sachbeschädigungen verantwortlich waren, hätten sie sich durch das Mitmarschieren solidarisch gezeigt. „Und wären sie auf eine Gegengruppierung getroffen, hätte das ganze wahrscheinlich andere Ausmaße angenommen.“
Dass die Angeklagten nach 2016 viele Anfeindungen erfahren hätten – vor allem nach der Veröffentlichung der sogenannten 215er-Liste, die die Täter des 11. Januar zusammenfasst – sei nicht in die Entscheidung mit eingeflossen. Dennoch käme den beiden, wie schon anderen Angeklagten zuvor, die lange Prozessdauer zugute. Ohne diese hätte W. einer Gefängnisstrafe wohl nicht entgehen können, so Pisecky.
Zuletzt sind sich alle Parteien darüber einig, dass W. und K. sich „geändert hätten“. „Seit 2016 gab es noch so viele Demos, auf denen die beiden eben nicht waren“, so W.s Anwalt. Der Staatsanwalt stimmt zu: „Ich denke, dass solche Vorfälle bei Ihnen nicht noch mal vorkommen.“ Als Richterin Pisecky fragt, wie sich die beiden Angeklagten „nun auf Demos und Spaziergängen verhalten würden“, und ein „das würden wir nie wieder machen“ als Antwort kommt, nickt die Vorsitzende das ab.
Wer’s glaubt…
Dabei dürfte zumindest W. wohl die Finger hinter seinem Rücken gekreuzt haben. Nicht nur, dass er auf seinem Möchtegern-Fotojournalisten-Account auf Twitter neben Veganismus vor allem antisemitische, holocaustrelativierende und rassistische Inhalte verbreitet.
Am 20. Januar 2018 wird W. am Rand einer Antifa-Kundgebung in Wurzen gesichtet. Umgeben von seiner Kamera, dem Wurzener Stadtrat und „Imperium Fight Team“-Gründer Benjamin Brinsa und weiteren bekannten, teils mit Teleskopschlagstöcken bewaffneten Neonazis. LZ-Kolleg/-innen beobachteten ebenfalls, wie sich die Gruppe aggressiv gegenüber anwesenden Journalist/-innen verhielt.
Bleibt das Dauerdilemma der Prozessreihe rings um den Überfall auf Connewitz: Wieder bewahren halbherzige Geständnisse und eine Justiz, die nicht in der Lage war, zeitnah eine Verhandlung durchzuführen, zwei Rechte vor dem Gefängnis.
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Keine Kommentare bisher
Ein kleines Bisschen den linken Kiez auseinander nehmen. ¯\_(ツ)_/¯
Polizei, Staatsanwaltschaft sowie Verfassungsschutz schauen eben anscheinend mehrheitlich in die andere Richtung.
So geht sächsisch.
Ich hoffe auf die Impfpflicht für alle Beamten. Da es eine gewisse Schnittmenge zwischen Impfverweigerern und Rechten gibt, kündigen dann vielleicht einige und verlassen den Staatsdienst.