Seit 6 Uhr waren rund 100 Beamte des LKA Sachsen und der Polizei Leipzig am heutigen 26. Januar 2022 im Einsatz, fรผnf Adressen im Leipziger Stadtteil Connewitz und Sรผden der Stadt waren im Visier einer erneuten Razzia im vorgeblich linksextremen Milieu. Bereits 7:36 Uhr berichtet Springers Medium โWeltโ darรผber, die erste deutlich informationsรคrmere Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Leipzig und der Generalstaatsanwaltschaft Dresden erfolgte dann um 9:30 Uhr. Auffรคllig, schon wรคhrend die Durchsuchungen noch laufen: die extreme Streubreite der Maรnahme bei gleichzeitiger Unschรคrfe der Vorwรผrfe gegen die Beschuldigten, die frรผhen Details bei Springers โWeltโ und die breite Aufregung bis hinein in den Lina E.-Prozess in Dresden.
Es wirkt nicht erst seit den zwei Durchsuchungen bei Henry A. im Jahr 2021 wie eine Streufahndung, welche derzeit in Leipzig immer wieder mal aufploppt. So wie am heutigen Tag, als gleich zwei Staatsanwaltschaften die polizeilichen Krรคfte bรผndeln und offenkundig diversen verschiedenen Strafvorwรผrfen nachgehen. Gleichzeitig, bereits 1,5 Stunden nach Start der Maรnahmen, hat die โWeltโ im Netz einen ganzen Strauร an investigativen Erklรคrungen parat, warum in Leipzig fรผnf Objekte durchsucht werden.Was umgehend fรผr Tumult im gerade parallel laufenden Prozess vor dem Dresdner Staatsschutzsenat rings um Lina E. und drei weitere Verdรคchtige sorgt. Lina E.-Verteidiger Erkan Zรผnbรผl รคuรert nach Informationen des derzeitigen LZ-Prozessbeobachters Lucas Bรถhme aufgrund der mutmaรlichen Polizeiinformationen im Artikel erneut den Verdacht der Durchstechereien zuungunsten seiner Mandantin.
Es folgt eine Pause, in der sich alle wieder etwas beruhigen.
Im Artikel selbst ist von einem โVersteckโ, auf welches die Ermittler einen Hinweis hรคtten, die Rede, dem flรผchtigen Freund Lina E.s Johann G. und Straftaten, welche aus einer Liste der Tรคter vom 11. Januar 2016 auf der Wolfgang-Heinze-Straรe generiert worden seien.
Richtig ist: Viele Straftaten, wie ein รberfall auf die Wohnung des stadtbekannten Rechten Istvan R. am 13. November 2016, sind in Leipzig nicht aufgeklรคrt. Und die Theorie von Racheakten gegen einzelne Personen, die sich wie R. am โรberfall auf Connewitzโ beteiligt haben, steht hartnรคckig im Raum.
Doch welche neuen Ansรคtze sich ergeben haben sollen, verraten die Ermittlungsinformationen und auch die schnelle โWeltโ bislang nicht.
Leipzig ermittelt nicht wegen Lina E. oder der 215er Liste
Einerseits, so bestรคtigt der Leipziger Staatsanwalt Riccardo Schulz der Leipziger Zeitung auf Nachfrage, haben die Leipziger Ermittlungen aktuell nichts mit Lina E. oder der sogenannten 215er Liste von den Tรคtern des รberfalls am 11. Januar 2016 auf die Wolfgang-Heinze-Straรe zu tun.
Andererseits gรคbe es da ja noch die Generalstaatsanwaltschaft Dresden, welche hier unter gemeinsamer Nutzung der sรคchsischen Beamten anderen Spuren nachgeht. Dass irgendwie โalles mit allem zu tunโ haben kรถnnte, ist dennoch auch fรผr Schulz klar, doch zu den Zielen der anderen Staatsanwรคlte kann und will er sich nicht รคuรern. Am Ende der Razzia soll es jedoch noch einmal genauere Infos zu den Vorgรคngen geben.
Bislang stehen aus Leipziger Sicht die Fรคlle โLina E.โ und die รbergriffe auf Personen von der sogenannten 215er Liste nicht im Zentrum der Durchsuchungen in Connewitz. Die Pressemitteilung vom Morgen spricht von โBrandstiftung und Sachbeschรคdigungโ. Welche das genau sein sollen, ob es sich um alte Fรคlle, wie den Brand vom 3. Oktober auf der CG Group-Baustelle an der Prager Straรe oder neue Fรคlle rings um entzรผndete Autos in Leipzig handelt, ist noch unklar.
Eine weitere Pressemitteilung zu den Funden der Razzia soll jedoch noch heute folgen, so Schulz. Schon wรคhrend des Telefonates gibt es polizeiliche Personenkontrollen in Connewitz auf offener Straรe.
Interview mit Tom Bernhardt (LKA Sachsen, Pressesprecher) vor Ort
Video: LZ
Anruf in Dresden
Bei einem ersten Telefonat zu den Durchsuchungen ist auch Sabine Wylegalla, Sprecherin und Staatsanwรคltin bei der Generalstaatsanwaltschaft Dresden, eher รผberrascht, โwas manchmal so alles schon geschrieben stehtโ. Gemeint nicht nur die seit 7:36 Uhr behaupteten Zusammenhรคnge in der โWeltโ und auch sonst generell, wenn es um Verfahren gegen das sogenannte linksextreme Milieu in Leipzig geht.
Die Quote an durchgesteckten Ermittlungs-Informationen vor allem an rechtsextreme Medien bis hin zur konservativen โWeltโ ist seit 2021 nicht nur bei den Verfahren um โLina E.โ und โHenry A.โ extrem hoch, auch heute berichtet die โWeltโ quasi mit Razzia-Start, was Wylegalla im Telefonat vorerst nicht bestรคtigen will.
Man sei aus Dresdner Sicht nur fรผr zwei Durchsuchungen in Connewitz zustรคndig, beide wegen sogenannter โStrafvereitelungโ. Worum es genauer geht, wird als schriftliche Antwort vereinbart, die LZ wartet nun.
Explizit ausgeschlossen ist es somit zwar nicht, dass es quasi รผber Eck doch um die Ermittlungen zu โLina E.โ oder andere Straftaten gegen Rechtsextremisten gehen kรถnnte, aber eine Bestรคtigung klingt auch anders. Von Erkenntnissen zur Fahndung nach Johann G., dem Lebensgefรคhrten von Lina E., ist hier auch erst einmal keine Rede.
Fest steht auch: Spรคtestens seit der letzten Wohnungsdurchsuchung bei Henry A. 2021 ist bekannt, dass zumindest dem LKA Sachsen mittlerweile kleinste Indizien genรผgen, um fรผr solche Durchsuchungen einen richterlichen Beschluss zu erhalten. Zuletzt war es ein offenkundig konstruierter Vorwurf gegen den Verwaltungsmitarbeiter der Stadt Leipzig, mit Drogen zu handeln.
Wenn es um Ermittlungen in politisch linken Zusammenhรคngen in Leipzig geht, steht offenbar zunehmend der Druckaufbau und eine Strategie der kleinen Anlรคsse mit Hoffnung auf weitere Zufallsfunde im Zentrum der Ermittlungen der Polizei. Bei Henry A. jedenfalls war man heute ausnahmsweise mal nicht erneut in der Wohnung, wie der Dauerverfolgte umgehend an die LZ meldete.
Update 14:30 Uhr: รberraschung fรผr Henry A.
Obwohl man dieses Mal keine (dann 3. innerhalb eines Jahres) Wohnungsdurchsuchung beim Dauerverfolgten Henry A. (hier die Reihe โUnschuldig verfolgtโ 1โ6) durchfรผhrte, ist er auf Nachfrage der LZ bei der Generalstaatsanwaltschaft Dresden angeblich doch wieder betroffen. Er und ein weiterer Beschuldigter, Paul M., sollen angeblich Johann G., dem Freund Lina E.s dabei geholfen haben, sich der Strafverfolgung zu entziehen oder โsich verborgen zu haltenโ.
Johann G. ist seit Bekanntwerden der Ermittlungen gegen ihn und Lina E. abgetaucht und wird derzeit von der Polizei gesucht.
Diesbezรผglich erweisen sich also die รผberraschend zeitigen Kenntnisse der โWeltโ als korrekt, wenn man hier offenbar von der Suche nach einem โVersteckโ in Connewitz ausging.
Dass dies mittlerweile der 17. Ermittlungsvorwurf gegen den ehemaligen Vorstand der BSG Chemie in den letzten acht Jahren ist und alle zuvor erhobenen Vorwรผrfe trotz langwieriger รberwachungen des Beschuldigten nicht bewiesen werden konnten, hรคlt die Ermittler des LKA Sachsen offenkundig nicht davon ab, immer noch einen Vorwurf obenauf zu legen.
Zu den Vorfรคllen nach Bekanntwerden der โ215er Listeโ der Tรคter von Connewitz ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hingegen nicht. Damit mรผssten die drei Durchsuchungen, welche auf das Konto der Staatsanwaltschat Leipzig gehen, sich entweder darum drehen oder sie waren ein Hirngespinst der โWeltโ.
Die Antworten der Generalstaatsanwaltschaft Dresden, Pressesprecherin Sabine Wylegalla
Welche Strafvorwรผrfe verfolgt mit den benannten Durchsuchungen die Generalstaatsanwaltschaft Dresden gegen wie viele Beschuldigte unter dem Begriff โStrafvereitelungโ konkret?
Die Generalstaatsanwaltschaft fรผhrt gegen die Beschuldigten Paul M. und Henry A. Ermittlungsverfahren jeweils wegen des Vorwurfs der Strafvereitelung. Den Beschuldigten wird jeweils vorgeworfen, den anderweitig Verfolgten G. dabei unterstรผtzt zu haben, sich verborgen zu halten.
Sind bei diesen Vorwรผrfen die Straftatkomplexe Lina E. und/oder der รberfall vom 11. Januar 2016 auf den Bereich Wolfgang-Heinze-Straรe und die nachfolgend bekannt gewordene Liste von dringend Tatverdรคchtigen in diesem Fall tangiert oder direkt betroffen?
Die genannten Tatkomplexe sind nicht vom Tatvorwurf, der Grundlage der heutigen Durchsuchung der Generalstaatsanwaltschaft Dresden war, tangiert.
Geht die Generalstaatsanwaltschaft Dresden dem Vorwurf von (Lina E. et. al NICHT zur Last gelegten) Straftaten wie beispielsweise den รberfall auf die Wohnung von Ex-JN-Kader Istvan R. am 13. November 2016 mit dieser Durchsuchung nach?
Nein.
Umfasst die Durchsuchung bei zwei Beschuldigten durch die Generalstaatsanwaltschaft Dresden eine oder mehrere Straftaten, welche unter Umstรคnden gegen die bekannt gewordenen 215 Tatverdรคchtigen vom 11. Januar 2016 verรผbt wurden? Wenn ja, welche?
Nein.
Weitere Informationen zu den Funden der Razzien und dem Protest am Tag danach finden Sie hier auf L-IZ.de
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Wenn sie doch Mal bei Rechtsextremisten so einen โFleiรโ vorlegen wรผrden!