Es war nicht überraschend, dass Seyit C. der Gang ins Gefängnis erspart bleiben wird – sowohl Anklage als auch Verteidigung hatten auf Bewährung plädiert. Auf den Raser, der vor gut drei Jahren den 16-jährigen Ruben W. am Ranstädter Steinweg mit seinem PKW erfasste und tödlich verletzte, kommen nun dennoch Auflagen zu, die laut Richterin sein Leben „drastisch verändern“ werden.

Zusammenprall am Ranstädter Steinweg

Ruhig und mit gesenktem Kopf nahm Seyit C. am Montagmorgen vor dem Leipziger Amtsgericht sein Urteil entgegen. Richterin Heike Gunter-Gröne sprach den 33-Jährigen unter anderem der fahrlässigen Tötung schuldig und verhängte eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten Haft, die zur Bewährung ausgesetzt werden.

Es war der Abend des 12. Februar 2019 um 19:22 Uhr, als Seyit C., der mit zwei Kumpels unterwegs war, am Steuer seines leistungsstarken Mercedes E 63 AMG auf dem Weg Richtung Innenstadt an der Jahnallee den 16 Jahre alten Ruben W. erfasste. Der Teenager hatte aus Richtung Thomasiusstraße kommend bei Fußgänger-Rotlicht eilig die Fahrbahn überquert, offenbar, um eine Straßenbahn noch zu erreichen.

Fahrverbot, Geld- und Arbeitsauflagen

Der Junge stieß frontal mit dem heranrasenden Wagen zusammen und verstarb am nächsten Morgen in der Klinik. Eine Auslesung des Steuergeräts ergab später, dass der PKW beim Zusammenprall 87 km/h schnell fuhr. Daher wäre der Unfall auch bei dem Rotlicht-Verstoß des Opfers zeitlich vermeidbar gewesen, weil der Punkt der Kollision bei geringerer Geschwindigkeit erst später erreicht worden wäre – so das eindeutige Fazit von Dekra-Gutachter Peter Zwicker (60) am ersten Prozesstag.

Dieser Bewertung schloss sich das Gericht an. Seyit C. muss sich während der dreijährigen Bewährungszeit der Aufsicht eines Bewährungshelfers unterstellen, jeden Wohnsitzwechsel dem Gericht mitteilen und bis 1. Oktober 2022 150 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten.

Zusätzlich kommen ein mindestens zweijähriges Fahrverbot und eine Geldauflage von 10.000 Euro auf den jungen Mann zu. Demnach hat er bis 1. Juni 2022 zum einen 5.000 Euro an den Bundesverband Verwaiste Eltern und trauernde Geschwister zu zahlen, bis 1. September jeweils weitere 2.500 Euro an das Ariowitsch-Haus und den Ökolöwen.

Ruben starb 2019 auf der Jahnallee, weil ein Raser noch auf der Straße unterwegs war. Foto: Michael Freitag
Ruben starb 2019 auf der Jahnallee, weil ein Raser noch auf der Straße unterwegs war. Foto: Michael Freitag

Angeklagter fuhr ohne Fahrerlaubnis weiter

In die Gesamtstrafe flossen auch das Fahren ohne Fahrerlaubnis, ein Verstoß gegen das Waffengesetz und Urkundenfälschung mit ein. Denn selbst nach der freiwilligen Abgabe seines Führerscheins war Seyit C. weiter Auto gefahren und zweimal am Steuer erwischt worden.

Im April 2020 erlitten Polizeibeamte einen Stromschlag, als sie einen als Taschenlampe getarnten Elektroschocker aus Seyit C.s PKW in Augenschein nahmen, bei einer weiteren Kontrolle im September 2020 legte er einen polnischen Führerschein vor, der als Fälschung entlarvt wurde.

Charakterlich ungeeignet als Autofahrer

Dieses Nachtatverhalten und seine Vorstrafen sprächen massiv gegen den Angeklagten, führte Amtsrichterin Gunter-Gröne aus. „Sie selbst haben alle Register gezogen, mehr charakterliche Ungeeignetheit kann ich gar nicht ausführen“, erklärte sie dem Mann ihre Entscheidung zum Entzug der Fahrerlaubnis. „Ich überwache diese Bewährung. Wenn Sie dagegen verstoßen, können Sie mit dem Widerruf rechnen“, kündigte sie zudem an.

Zugunsten des Angeklagten wurden andererseits sein Geständnis und seine Entschuldigung an die Angehörigen gewertet, zudem habe er am Unfallort unmittelbar Erste Hilfe geleistet.

Die Richterin folgte mit ihrem Urteil dem Antrag von Staatsanwaltschaft und Verteidigung.

Vater des Opfers kritisiert Lippenbekenntnisse

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig – theoretisch bleibt nun eine Woche Zeit, um Berufung oder Revision einzulegen. Dies halte er allerdings für wenig wahrscheinlich, so Carsten Brunzel, einer von Seyit C.s Verteidigern, gegenüber der Presse. Sein Mandant bereue das Geschehene zutiefst und es würde ihn sehr belasten, erklärte der Anwalt.

Anders sieht dies Matthias M., der Vater des getöteten Ruben, der dem Prozess gemeinsam mit seiner Frau als Nebenkläger beiwohnte. Er sprach von „Lippenbekenntnissen“ des Angeklagten und dass in fast drei Jahren vorab nie das Signal einer Entschuldigung gekommen sei.

Das Ende der Verhandlung helfe nun ein wenig, zumindest mit der juristischen Aufarbeitung abschließen zu können. Aber: „Mit dem Tod unseres Kindes werden wir nicht abschließen können.“

Hinweis der Redaktion in eigener Sache

Seit der „Coronakrise“ haben wir unser Archiv für alle Leser geöffnet. Es gibt also seither auch für Nichtabonnenten alle Artikel der letzten Jahre auf L-IZ.de zu entdecken. Über die tagesaktuellen Berichte hinaus ganz ohne Paywall.

Unterstützen Sie lokalen/regionalen Journalismus und so unsere tägliche Arbeit vor Ort in Leipzig. Mit dem Abschluss eines Freikäufer-Abonnements (zur Abonnentenseite) sichern Sie den täglichen, frei verfügbaren Zugang zu wichtigen Informationen in Leipzig und unsere Arbeit für Sie.

Vielen Dank dafür.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar