Am 22. November beschloss das Brandenburgische Oberlandesgericht, dass die Ermittlungen gegen zwei Beamte im sogenannten โFรผrstenwalde-Verfahrenโ wieder aufgenommen werden mรผssen, nachdem sie trotz deutlicher Beweise von der Staatsanwaltschaft Frankfurt / Oder eingestellt worden waren. Im Februar 2020 kam es in der Fรผrstenwalder โBonava-Arenaโ im Vorfeld eines Auswรคrtsspiels der BSG Chemie Leipzig zu einer schweren Kรถrperverletzung.
Die beiden beschuldigten Polizisten rissen einen jungen Chemie-Fan rabiat vom Zaun. Warum die Beamten in einer eigentlich beruhigten Situation so agierten, wird eine der Schlรผsselfragen des anstehenden Verfahrens sein. Der BSGler erlitt massive Verletzungen, unter anderem einen langen offenen Riss am Oberschenkel. Durch die schnelle Notversorgung durch eine Krankenschwester konnte Dramatischeres verhindert werden. Festgehalten wurden die Szenen auf einer Videoaufnahme. Diese ist laut des โRechtshilfekollektiv Chemie Leipzigโ von sehr guter Qualitรคt und zeigt, wie die Beschuldigten den Fan โmit viel Vehemenz und Kraft am Bein ziehenโ. Mit dem anderen Bein hรคngt der Geschรคdigte in diesem Moment auf dem Zaun, der mit den spitzen Zacken den Oberschenkel knapp neben der Hauptschlagader aufreiรt.
Unzureichende Videoanalyse und wichtige Zeugen nicht gehรถrt
Diese Szene haben auch zahlreiche Zeug/-innen vor Ort wahrgenommen. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt/Oder stellte die Ermittlungen wegen Kรถrperverletzung im Amt dennoch ein. Eine โkonkrete nachweisbare Kรถrperverletzungshandlungโ sei nicht zu erkennen.
Schon damals kritisierte das โRechtshilfekollektiv Chemie Leipzigโ die frรผhzeitige Einstellung: โVom Ermittlungseifer, den Staatsanwaltschaft und Polizei ansonsten bei vermeintlichen Fanvergehen an den Tag legen, war dieses Mal keine Spurโ, so Pressesprecherin Miriam Feldmann. โMehrere Zeug/-innen wurden nicht gehรถrt, die Videoaufnahmen nicht umfรคnglich ausgewertet, die Argumente der Anwรคlte der Polizisten wurden nahezu wortwรถrtlich im Einstellungsbescheid durch den Staatsanwalt repetiertโ.
Wie das Kollektiv erklรคrt, seien nicht mal die wichtigsten Zeug/-innen wie die Ersthelferin, weitere Helfer/-innen und Offizielle befragt wurden. Auรerdem musste der Anwalt des verletzten Fans in Eigenregie Standbilder und Slow-Motion-Fassungen des Videos anfertigen โ eigentlich eine genuine Aufgabe der Ermittler.
Das Klageerzwingungsverfahren der Fanhilfe war nun von Erfolg gekrรถnt. Das Oberlandesgericht beklagt, dass die Ermittlungen โunzureichendโ waren. Neben dem Ignorieren von wichtigen Zeugenaussagen wird die einseitige Ermittlungsstrategie kritisiert. Auch, dass die vorliegenden Bildaufnahmen in keiner Weise durch einen Sachverstรคndigen beurteilt wurden, obwohl sich dies โzwecks nรคherer und prรคziserer Erkenntnisse nahezu aufdrรคngteโ, bemรคngelt das OLG in seinem Beschluss.
โDie erreichte Anordnung zur Wiederaufnahme, die unser Rechtsanwalt Christian Friedrich gegen die Staatsanwaltschaft auf den Weg gebracht hat, ist fรผr uns ein groรer und auรergewรถhnlicher Erfolgโ, erklรคrt Miriam Feldmann. โMit deutlichen und klaren Worten hat das hรถchste Gericht des Bundeslandes die zustรคndigen Ermittlungsbehรถrden abgemahnt und ihnen auf den Weg gegeben, endlich richtig gegen die beiden beschuldigten Polizisten zu ermitteln.โ
Rabiater Umgang mit Fuรballfans nicht unรผblich
Das Fรผrstenwalde-Verfahren war Thema landesweiter Berichtserstattung und auch der brandenburgische Landtag beschรคftige sich damit. Dazu erklรคrten die Landtagsabgeordneten der Linksfraktionen Isabelle Vandre (Brandenburg) und Marika Tรคndler-Walenta (Sachsen) damals: โIm Jahr 2019 gab es in Brandenburg insgesamt 58 Anzeigen gegen Polizeibeamte wegen Kรถrperverletzung im Amt. (โฆ) Zu Anklagen oder gar Verurteilungen kam es aber nur im niedrigen einstelligen Bereich. Diese Verfahrensweise ist sinnbildlich fรผr den Umgang mit Fuรballfans.โ
Daher erhofft sich das โRechtskollektivโ von dem Beschluss des OLG eine weitreichende Verรคnderung der Ermittlungskultur gegen Polizeibeamte, vor allem im Bezug auf Fuรballfans: โDer bisherige Status Quo im Umgang mit dem Vorfall war vor allem geprรคgt durch Ignoranz, Widerwillen und durch eine auf Abwehrreflexe eingeรผbte Polizeikultur. Wir hoffen, dass dies sich ab jetzt grundlegend รคndert.โ
Das โRechtshilfekollektiv Chemie Leipzigโ will als Institution โHilfe zur Selbsthilfeโ anbieten. Sie sind Teil einer รผbergreifenden Solidargemeinschaft zur Unterstรผtzung von Fans der BSG, die aufgrund von Ereignissen rund um die Spiele des Vereins Probleme mit der Justiz bekommen haben.
Als prรคgend und quasi Initial fรผr die Notwendigkeit einer Unterstรผtzungsinstanz gilt fรผr das โRechtskollektivโ der vollkommen aus dem Ruder gelaufene Polizeieinsatz in Zwenkau im September 2013. Damals misshandelten PolizistInnen einer BFE-Einheit BSG-Fans vor laufenden Kameras. Der Einsatz erlangte bundesweite Aufmerksamkeit.
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