Als Vorsitzender eines Staatsschutzsenats trägt er schon ein „Staats“ im Nachnamen – ein skurriler Zufall. Doch wer ist der Mann in der Richterrobe eigentlich, der schon so spektakuläre Verfahren führte wie gegen den IS-Mörder von Dresden oder Mitglieder der rechtsextremen Gruppe Freital? Und sich bereits öffentlich als Columbo-Fan und gläubiger Mensch zu erkennen gab? Versuch einer porträthaften Skizze.
Columbo-Fan mit Schwäche
Es sind auch die kleinen Momente im Mammut-Verfahren gegen Lina E. und drei mitangeklagte Männer vor dem Oberlandesgericht Dresden, wenn die Zeichen auf Entspannung stehen. Dann gibt Hans Schlüter-Staats, Vorsitzender der Kammer, auch mal Einblicke, wer er eigentlich ist, was ihn als Menschen ausmacht.Als Lina E.s Anwalt Ulrich von Klinggräff sich am 11. Verhandlungstag für seinen zuweilen harschen Ton gegenüber dem Gericht entschuldigt und zugleich kritisiert, das ständige Hineinreden des Richters in die Fragen der Verteidigung bringe eben schlicht durcheinander, lenkt Schlüter-Staats ein: „Das ist eine kleine Schwäche von mir“, zeigt er sich einsichtig und sichert zu, an sich zu arbeiten.
Und schiebt nach, er sei ein großer Freund von „Columbo“ – jener bekannten US-Serie, wo Peter Falk den gleichnamigen Ermittler spielt. Der kauzige Polizist löst seine Fälle ohne Drohungen und Gewalt, sondern mit beharrlicher Penetranz und gespielter Harmlosigkeit.
Spröder Juristen-Charme
Harmlos zeigt sich Schlüter-Staats dagegen längst nicht immer. In heftigen Wortgefechten mit dem Verteidiger des Angeklagten Jannis R. dreht er diesem auch mal das Mikrofon ab oder wird spürbar ungehalten, als er sich mit den Anwälten darum streitet, wann sie ihre Anträge abgeben dürfen.
„Wenn Sie es als Maßregelung empfinden, dass Sie Ihre Anträge nicht stellen können, wann Sie wollen, kennen Sie die Strafprozessordnung schlecht!“, schleudert er der Verteidigerbank am 10. Verhandlungstag entgegen.
Im Gegensatz zum Ruf seines inzwischen pensionierten Richter-Kollegen Manfred Götzl, der in München über fünf Jahre gegen die Rechtsterroristin Beate Zschäpe und Unterstützer des NSU verhandelte, macht Schlüter-Staats im Prozess nicht den Eindruck eines Cholerikers oder kalten Technokraten. Er strahlt den spröden Charme des Juristen aus, brilliert dabei oft mit profunder Hintergrundkenntnis, die auch vor Zeugen keinen Halt macht.
Den früheren NPD-Kader und Leipziger Ex-Stadtrat Enrico Böhm, einen der Geschädigten und Nebenkläger, nimmt Schlüter-Staats mit seinen Fragen heftig ins Gebet. Am Ende muss Böhm halbherzig zugeben, es könnte sein, dass er als rechtsradikal wahrgenommen werde. Zuvor hatte ihn der Vorsitzende Richter bis hinein in seine Vergangenheit bei den „Blue Caps“, also in Zeiten der Odermannstraße 8 und den Auseinandersetzungen damals, mit Fragen gelöchert.
Von der Wirtschaftskammer zum Staatsschutzsenat
Die Berufung zum Vorsitzenden eines Staatsschutzsenats, für den 1961 geborenen Hans Schlüter-Staats der vielleicht finale Karrieresprung, kam seinen eigenen Plänen im Sommer 2019 eigentlich eher in die Quere.
Damals verhandelte er als Vorsitzender Richter noch Wirtschaftsstrafsachen, musste das Urteil gegen sechs Angeklagte des insolventen Finanzdienstleisters Infinus fertig schreiben, die gutgläubige Geldanleger jahrelang mit einem Schneeballsystem um Millionen-Beträge prellten. Die Männer wurden zu Haftstrafen verdonnert, die Revisionen inzwischen weitgehend verworfen.
Gern hätte Schlüter-Staats, der 2006 auch den ehemaligen Dresdener OBM Ingolf Roßberg (FDP) wegen Untreue und Beihilfe zum Bankrott verurteilte, nach dem Infinus-Prozess eine einfache Berufungskammer vor dem Landgericht übernommen – doch es kam anders.
„Ich bin ein gläubiger Mensch”
Nun sind es die besonders gravierenden Vorwürfe, die auf seinem Schreibtisch landen – Terrorismus, Rechtsextremismus, die Bildung krimineller Vereinigungen. Letzteres ist auch der umstrittene Grund, warum Lina E. und die drei jungen Männer durch die Bundesanwaltschaft direkt vor dem Oberlandesgericht angeklagt wurden: Sie sollen Teil einer Gruppierung gewesen sein, die es sich zum Ziel gemacht habe, Straftaten zu begehen. Aus Sicht der Verteidigung ein gewagtes Konstrukt.
In anderen Fällen, die Schlüter-Staats führte, war die Sachlage dagegen eindeutig. Im Mai 2021 wandte er sich nach dem Urteil direkt an Abdullah al H., jenen 21-jährigen Mann aus Syrien, der im Oktober 2020 ein homosexuelles Touristenpaar in Dresden aus islamistischer Gesinnung mit Messern attackiert hatte. Der ältere der beiden Männer, ein 55-Jähriger, überlebte den Angriff nicht.
Er habe lange überlegt, ob er das äußern solle, so Schlüter-Staats an den jungen Mann gerichtet: „Ich bin selbst ein gläubiger Mensch und deshalb sage ich Ihnen: Das, was Sie getan haben, ist wahrlich gotteslästerlich gewesen.“ Es sei als Sünde kaum zu übertreffen, sich zum Herrn über Leben und Tod von Menschen aufzuspielen, die Gott geschaffen habe, und dafür auch noch den Namen jenes Gottes nutzen zu wollen.
Schlüter-Staats, Gruppe Freital & Co.
Darf ein Richter so weit gehen, staatliche Rechtsprechung und private Religiösität vermengen? Man mag darüber streiten. Aber vielleicht ist es zumindest nachvollziehbar, als Art und Weise, mit einer derart abscheulichen, sinnlosen Tat irgendwie umzugehen und den Angeklagten vielleicht noch auf irgendeine Weise in seinem Kopf zu erreichen.
Ob das gelingen wird, bleibt ebenso offen wie bei den Mitgliedern und Unterstützern der rechtsextremen Gruppe Freital, gegen die der Senat von Schlüter-Staats im Frühjahr 2021 ebenfalls seine Urteile sprach. Die Neonazi-Truppe war für Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte und deren Unterstützer im Jahr 2015 verantwortlich, schon im März 2018 wurden acht Angeklagte zu Gefängnisstrafen zwischen vier und zehn Jahren verurteilt.
Man könne eine Gesinnung nicht wie einen alten Mantel ablegen, der Weg, sich menschlich und emotional neu zu orientieren sei weit, so Schlüter-Staats. Im Fall der rechtsradikalen Gruppe „Revolution Chemnitz”, die sich auch vor seiner Kammer verantworten musste, erteilte er den Strafverteidigern eine Abfuhr. Die hatte ihre Mandantschaft als schlicht zu dumm für Gewalttaten hinstellen wollen. Schlüter-Staats dazu: „Selbst verwirrte Köpfe sind gefährlich.”
Übernahme der Extremismus-Theorie?
Dass er harte, zuweilen polemische Kritik hört, dürfte ihn als Richter kaum verschrecken. Im Infinus-Prozess musste Schlüter-Staats Attacken der Verteidigung hinnehmen, die Kammer sei „voreingenommen bis zum Erbrechen“ gewesen. Im Lina-Prozess fällt er auf, weil er im Streit mit den Verteidigern um die Rolle der ermittelnden Polizei schon mal erinnert, wie Beamte im Netz an den Pranger gestellt würden.
Oder wie aktuell am 18. September 2021 bei der „Wir sind alle linx“-Demo in Leipzig ein hochrangiger Fahnder auf einem Transparent mit der Drohung bedacht wird, bald läge er im Kofferraum.
Überhaupt, lässt Schlüter-Staats durchblicken, müsse die Polizei häufig linke und rechte Gruppen voneinander fernhalten. „Das ist kein Job, den irgendeiner gerne macht.“ Einen Verteidiger bringt das zu der Aussage, er stelle mit Erschrecken die Übernahme der Extremismus-Theorie fest. Schlüter-Staats weist das zurück.
Kompliziertes Bild
Sein Deutungsmuster, soweit er es nach außen preisgibt, kommt längst nicht bei allen gut an. Und auch nicht seine Art: Es sei vielleicht nicht böse gemeint, aber erscheine arrogant, wenn er auch gegenüber Zeugen immer wieder mit seiner Herkunft aus der alten Bundesrepublik kokettiere, sagt jemand über Schlüter-Staats.
Einen kampferprobten Richter wie ihn, der sich schon manche Auseinandersetzung lieferte, dürfte all die Kritik auch der Verteidigung, dass er etwa die vermutlichen „Durchstechereien“ seitens der Soko LinX im Vorfeld der Verhandlung nicht ernst nehme, wohl kaum zum Umfallen bringen.
Die Gemengelage im Lina-Prozess – sie ist und bleibt kompliziert. Das Bild, das man von Schlüter-Staats gewinnen kann, ebenfalls.
Hinweis der Redaktion in eigener Sache
Seit der „Coronakrise“ haben wir unser Archiv für alle Leser geöffnet. Es gibt also seither auch für Nichtabonnenten alle Artikel der letzten Jahre auf L-IZ.de zu entdecken. Über die tagesaktuellen Berichte hinaus ganz ohne Paywall.
Unterstützen Sie lokalen/regionalen Journalismus und so unsere tägliche Arbeit vor Ort in Leipzig. Mit dem Abschluss eines Freikäufer-Abonnements (zur Abonnentenseite) sichern Sie den täglichen, frei verfügbaren Zugang zu wichtigen Informationen in Leipzig und unsere Arbeit für Sie.
Vielen Dank dafür.
Keine Kommentare bisher