Gegen frühen Nachmittag des 26. Oktober 2021 steht LZ-Reporter Lucas Böhme an der Bornaischen Straße und fragt sich vor allem eines. Ist die Durchsuchungsmaßnahme, welche da gerade in der Stockartstraße abläuft, tatsächlich wieder bei Henry A.? Durch einen Augenzeugen, welcher in unmittelbarer Nähe wohnt, wird trotz abgesperrter Straße klar, dass es so ist. Henry A. bestätigt kurz darauf den Vorgang. Der Vorwurf lautet auf Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz. Der Ausgang der Durchsuchung ist jedoch eher ein weiteres Indiz für die „Polizeiarbeit“ der „Soko LinX“. Ein Drogenspürhund widerlegt ihre Phantasien.

Es ist 23 Uhr und die Polizei fährt im Nachgang an die Durchsuchung des 26. Oktober 2021 massiv Streife in Connewitz. Die Angst vor Reaktionen auf die weitere Wohnungsdurchsuchung bei Henry A. aus dem Viertel ist nicht ganz unberechtigt, ob die Durchsuchung am heutigen Tage noch Polizeiermittlungen (zum Livebericht) oder schlicht ein Willkürakt unter Benutzung eines Amtsrichters war, könnten später Gerichte klären.Nachdem man bei einer ersten Durchsuchung am 28. April 2021 keinerlei weitere Anhaltspunkte für eine Beteiligung von A. an einem Überfall auf Lokfans am 1. September 2019 am Bahnhof Neukieritzsch fand, konstruierte man in der Folge eine angebliche „Unterschlagung von Bauakten“ gegen das ehemalige Vorstandsmitglied der BSG Chemie.

Als diese nun ergebnislos und durch Aussagen seiner Vorgesetzten entlastend für Henry A. auszugehen droht, folgte heute die nächste Durchsuchung – dieses Mal wegen angeblichem Handels mit Betäubungsmitteln.

Ein Hund widerlegt die „Soko LinX“

Als die Beamten nach knapp sieben Stunden seine Wohnung verlassen haben, meldet sich ein müder Henry A. auf Nachfrage bei der LZ. Erneut mussten er und seine Familie heute seit 13 Uhr eine weitere Durchsuchungsmaßnahme über sich ergehen lassen. Dazu hatten ihn sogar Polizeibeamte an einer Straßenbahnhaltestelle „eingesammelt“, wie A. beim Telefonat mit der LZ erzählt – woher sie seinen Standort kannten, weiß er nicht.

Der Grund für den neuerlichen Eingriff in die Unverletzbarkeit der Wohnung soll laut Henry A. nach Angaben der Polizeibeamten ein Chatverlauf auf dem am 28. April 2021 polizeilich beschlagnahmten Smartphone sein. Ein Smartphone, welches längst Gegenstand der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Chemnitz gegen das LKA Sachsen und einen ersten Beamten namens Patrick H. ist.

Einer der vielen Gründe: Inhalte von diesem wurden im Mai 2021 an die Stadt Leipzig, Henry A.s Arbeitgeber, als eine Art Eigenbezichtigung Henry A.s verschickt, während sich das Gerät längst in den Händen der „Soko LinX“ des LKA Sachsen befand.

In diesem konfiszierten Smartphone von Henry A. wollen die Beamten der „Soko LinX“ nun, vier Monate nach der Beschlagnahme, eine angebliche Drogen-Verkaufsanbahnung zwischen Henry A. und einem Dritten in einem gespeicherten Chat nachgelesen haben.

Eine Interpretation, die der heute im Einsatz befindliche Drogenspürhund nach Auskunft von Henry A. nicht bestätigte: er fand keine Spuren von Rauschmitteln in A.s Wohnung, seiner Kleidung oder anderen Gegenständen. Ein Befund, der schon bei wenigen Gramm Cannabiskonsums oder Verkaufs sicher ein anderer gewesen wäre.

Zynisch betrachtet: Wenigstens wissen die Beamten der „Soko LinX“ nun, dass sie am 28. April 2021 nichts übersehen hatten: auch bei der damals 14-stündigen, also wohl äußerst gründlichen Durchsuchung waren keinerlei Drogenfunde in A.s eher kleinen Wohnung, dem Kellerbereich oder der näheren Umgebung registriert worden. Wobei letzteres Blumenkästen und einen kleinen Garten im Hinterhof meint, welche die Beamten umgruben.

Die angeblichen Indizien, welche eine neuerliche Durchsuchung der Wohnung von A., seiner Lebensgefährtin und einem gemeinsamen Kleinkind rechtfertigen sollen, haben auch am heutigen 26. Oktober 2021 zu keinen weiteren Beweisen geführt. Dafür darf er nun wieder einmal dank der unbewiesenen Beschuldigung von LKA-Ermittlern gegen ihn seine Wohnung aufräumen, die erneut in einem Zustand „wie nach einem Bombenangriff“ sei, so A.

Ein Hammer, der nur noch Nägel sieht

Ein Zustand, den Henry A. dank des hohen Verfolgungseifers einiger Ermittler schon länger in seinem Leben kennt. Seit knapp acht Jahren erlebt er erst eine langjährige Überwachungsmaßnahme im Rahmen des sogenannten „BSG Chemie Falls“ gegen sich als einen der Hauptbeschuldigten, welche 2017 ans Licht kommt. Mit dabei schon damals Patrick H. als leitender Ermittlungsbeamter, die Strukturen heißen damals noch „Operatives Abwehrzentrum“ (OAZ), dann „Polizeilichen Terror- und Extremismus-Abwehrzentrum“ (PTAZ), dann „Soko LinX“.

In der Zeit danach folgt eine Reihe von Ermittlungen aus sogenannten „Beifängen“ dieser Lauschaktion und seit März 2021 wird Henry A. wahlweise bezichtigt, Beteiligter an einem Landfriedensbruch, ein Aktendieb oder Drogendealer zu sein.

Keiner der Tatvorwürfe der vergangenen Jahre kam je über das Stadium der Polizeiermittlungen hinaus, es wurden keinerlei Anklagen gegen Henry A. erhoben und es gibt demzufolge keine Verurteilung des bis heute Unschuldigen.

Und auch die neuen Vorwürfe zerplatzen gerade wie Seifenblasen, die Staatsanwaltschaft Leipzig ist längst damit beschäftigt, Henry A. eine Verfahrenseinstellung nach der anderen zu übersenden. Und auch der Vorwurf des Drogenhandels wird nach den heutigen Ergebnissen wohl niemals einen Gerichtssaal erreichen.

Den Hintergrund der heutigen Polizeimaßnahmen darf man mittlerweile getrost im fast schon fanatischen Ermittlungseifer der Beamten der „Soko LinX“ suchen.

Denn obwohl LKA Sachsen-Sprecher Tom Bernhardt heute gegenüber LZ betonte, dass es sich bei der Polizeimaßnahme nicht um einen politischen Hintergrund handeln solle, geht doch der Vorwurf auf die angeblichen Ermittlungen der „Soko LinX“ gegen angebliche linksextremistische Strukturen und das beschlagnahmte Handy vom 28. April 2021 zurück.

Und damit auf eine Ermittlungseinheit, die offenbar so stark politisch vorformatiert ist, dass sie mittlerweile wie ein Hammer funktioniert, der in allem nur noch linke Nägel sieht. Die möglichen „Überschneidungen“, von denen Bernhardt jedenfalls heute sprach, sind eher eine lange Linie, an dessen bisherigen Ende die Verfolgung eines Unschuldigen steht.

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