In Dresden ist am Mittwoch, dem 8. September, der Strafprozess gegen die Leipzigerin Lina E. und drei weitere Angeklagte gestartet. Den Angeklagten werden unter anderem Kรถrperverletzungen und die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Konkret geht es um Angriffe auf Personen aus der Neonazi-Szene. Bereits nach wenigen Minuten wurde die Hauptverhandlung wegen mehrerer Antrรคge seitens der Verteidigung unterbrochen.
Diese stรถrt sich unter anderem daran, dass sich direkt hinter ihr der Publikumsbereich befindet. Sie fรผrchtet somit Einsicht in vertrauliche Unterlagen. Zudem beklagt die Verteidigung, dass Gerichtsakten unvollstรคndig seien. Dazu wolle man einen ausfรผhrlichen Nachweis fรผhren. Auรerdem verlangt die Verteidigung einen eigenen Protokollfรผhrer.Der Verhandlungstag begann damit, dass prominente Neonazis aus der NPD ein Foto aus dem Gerichtssaal auf Twitter verรถffentlichten. Dem Journalisten Edgar Lopez bestรคtigte das Oberlandesgericht, dass das Foto mutmaรlich aus dem Verhandlungsbereich stamme. Laut Einschรคtzung von Beobachtern wurde es aus dem Bereich der Nebenklage aufgenommen. Dort befindet sich unter anderem Szeneanwalt Martin Kohlmann.
Kohlmann musste damals sein Handy an den folgenden Prozesstagen abgeben und bekam es nur in Sitzungspausen ausgehรคndigt.
Ob er auch diesmal der Urheber des Fotos ist, ist unklar. Aber das Foto kommt aus Richtung der Nebenklagebank.
Mal sehen wie das Gericht diesmal damit umgeht.โ Tim Mรถnch (@moenchtim) September 8, 2021
Vor dem Gerichtsgebรคude veranstalteten mehrere Dutzend Personen eine Solidaritรคtskundgebung fรผr die Angeklagten. Zu hรถren war unter anderem eine Gruรbotschaft von Lina E.s Mutter. In den vergangenen Tagen hatte es von antifaschistischen Gruppen aus ganz Deutschland Solidaritรคtsbekundungen gegeben. Als die Angeklagten in den Gerichtssaal gefรผhrt wurden, gab es lauten Applaus aus dem Publikum.
Video: LZ
Bis zur Verhandlungspause gegen 11 Uhr war die Anklage noch nicht verlesen worden. Vorgeworfen werden den Angeklagten unter anderem Angriffe auf prominente Neonazis in Sachsen und Thรผringen sowie auf deren Immobilien. Der Prozess sorgt bundesweit fรผr Beachtung. Laut manchen Medien handelt es sich um den grรถรten Prozess dieser Art gegen angebliche โLinksextremistenโ seit der RAF.
Linke wiederum vermuten einen politisch motivierten Prozess, in dem es darum gehen soll, Antifaschismus zu kriminalisieren und ein Zeichen โgegen linke Gewaltโ zu setzen. Der Prozess wird voraussichtlich mehrere Monate dauern.
Update von 14:20 Uhr
Das Gericht will sich zunรคchst nicht mit den Antrรคgen der Verteidigung befassen. Diese hat daraufhin einen Befangenheitsantrag gestellt, mit dem sich demnรคchst andere Richter/-innen befassen mรผssen. Unterdessen haben Vertreter/-innen der Generalbundesanwaltschaft die Anklage verlesen. Die meisten Details sind spรคtestens seit dieser Woche bekannt, als einige Medien erneut mit Verweis auf Insider-Informationen berichteten.
Lina E. soll โ wie bekannt โ die Kommandofรผhrerin bei den Angriffen auf Neonazis gewesen sein. Es gibt insgesamt acht Anklagen. Dazu zรคhlt auch der Angriff auf den ehemaligen Leipziger NPD-Stadtrat Enrico Bรถhm. Noch relativ neu sind die Informationen, dass bei Lina E. mehrere Fotos gefunden worden sein sollen, die nachweisen, dass sie potenzielle Opfer ausgespรคht habe.
Zudem seien sowohl bei ihr als auch bei anderen Angeklagten โanonymisierte SIM-Kartenโ gefunden worden. Diese wurden in sogenannten Aktionstelefonen verwendet, so die Bezeichnung der Anklageschrift.
Bei den meisten Angriffen seien vier bis sechs Personen aktiv gewesen; bei jenem in Wurzen auf Rรผckkehrer von einer Nazidemo in Dresden seien es hingegen 15 bis 20 gewesen. โIn รberzahl Menschen anzugreifen, die mutmaรlich zur rechten Szene gehรถrenโ, sei das Ziel der โkriminellen Vereinigungโ rund um Lina E. gewesen.
Eine neue Information gibt es auch im Fall des Fotos, das im Gerichtssaal aufgenommen und an Neonazis der NPD weitergeleitet wurde. Laut รผbereinstimmenden Berichten handelt es sich um Martin Kohlmann, einem Anwalt der Nebenklage, der das Foto angefertigt haben soll. Das Gericht habe deshalb sein Mobiltelefon bis zum Ende des Verhandlungstages eingezogen. Weitere Konsequenzen sind bislang nicht bekannt.
Nachfolgend wird noch ein zweiter Text zu den Einlassungen der Verteidigung erscheinen, in welchen es neben der medialen Vorverurteilung um den ยง 129 ging, welcher der Verteidigung nicht sachgemรคร erscheint. Auรerdem ging es um ein Thema, welches L-IZ Leser/-innen sehr bekannt sein dรผrfte. Wie schon bei Henry A. wurden auch im Fall von Lina E. bis zum Prozessbeginn mutmaรliche Ermittlungsergebnisse an konservative bis rechte Medien weitergegeben.
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Es gibt 6 Kommentare
Sehr guter sachlicher Stil, der mir richtig gut gefรคllt. Da offenbar die Beweisaufnahme erst in naher Zukunft beginnen kann, wenn die Antrรคge der Verteidigung entschieden sind, ist eine Bewertung auch noch gar nicht mรถglich. Auรerdem kochten die Emotionen eh vorher schon hoch, weshalb ja die Verteidigungsseite zum Nachdenken รผber eine mรถgliche Vorverurteilung anregt. Ich bin gespannt auf den Fortgang und lese gerne hier weiter, bleibt gerne so beobachtend/beschreibend ohne Wertung.
@Stefan: da hast du mich sicherlich miรverstanden.
Die Brutalitรคt ist die gleiche, ob von rechts oder links oder vom Fussball-Hool. Mal freundlich eine aufs Maul bekommen, das war frรผher mal โ heute ist es gleich lebensgefรคhrlich. Es ist nicht mehr so, dass man sich als โLinkerโ ein biรchen kloppt oder mal ne Scheibe einschlรคgt, nein es geht gleich in die Vollen, und es wird noch ideologisch verbrรคmt.
Der Satz
>Dass von Rechts mehr Gewalt ausgeht, mag in der Menge stimmen, aber nicht in der Brutalitรคt.
zeigt, wie gut das gewรผnschte Framing in Sachsen schon funktioniert.
Die Glatzen sind doch voll lieb, hรผtet Euch aber vor bunten Haaren. Morde von rechts sind auch nicht brutal. Das ist alles nur linksgrรผnes Gutmenschengewรคsch. Nur Einzelfรคlle.
Ja, das war tatsรคchlich auch mein erster Gedanke, als ich las, dass sie aus Kassel hierher kam. Aber ob das so symptomatisch war wie bei den West-Glatzen, die zu uns kamen, weiร und glaube ich nicht so recht.
Ich wรผnschte, diese ganzen Soli-Schmierereien wรผrden von den Verursachern wieder entfernt wenn das Verfahren vorbei ist. Aber das macht natรผrlich niemand. So ist das Stelzenhaus seit 2013 (?) beschmiert und so wird es mit den ganzen Free-Lina-Schriftzรผgen auch sein. โGrafitti machen graue Wรคnde lebendigโโฆ.nicht in diesem Fall.
โLina E. &Co.โ passt aber leider genau in das Klischee von โzugezogenen Linkschaoten in Connewitzโ, und wenn dann tatsรคchlich รผbelste Gewalttaten von ihr verรผbt und/oder organisiert wurden, hat das auch nichts mehr mit zivilem Ungehorsam zu tun, sondern ist einfach nur รผble Gewalt.
Dass von Rechts mehr Gewalt ausgeht, mag in der Menge stimmen, aber nicht in der Brutalitรคt. Das rechte Gewalt โnormalerโ ist, und daher darรผber weniger berichtet wird, stimmt in Sachsen sicherlich.
Wenn Staat und Justiz endlich mal was gegen die Rechtsextremen unternehmen wรผrde, gรคbe es keine Linksextremisten. Wobei von Rechtsextremisten eindeutig mehr Gefahr ausgeht. Nach dem 3. Reich wurde gesagt: โNie wieder Faschismusโ. Wenn sich die Mehrheit der Zivilgesellschaft nicht wehrt, sind wir auf dem besten Weg zum Faschismus oder anderen radikalen Formen. Warum haben die Justiz und die Medien (auch รR) nicht so ein Tamtam gemacht, als Connewitz von Rechtsextremen verwรผstet wurde? Es besteht auch Meinungsmache gegen Lina E. auch von den รffentlich Rechtlichen, gestern MDR! Bis jetzt wurde ihr nichts nachgewiesen und bis dahin gilt wie fรผr alle die Unschuldsvermutung!