Marcel M. (39) könnte beinahe ein Glückspilz sein. Der Leipziger schnappte sich am 28. Juli 2019 kurzerhand das Motorrad eines Kumpels, baute mit der Maschine einen schweren Unfall und kam knapp mit dem Leben davon. Unglücklicherweise mussten ihm die Ärzte den rechten Arm amputieren. Und dann nahm sich zu allem Überfluss auch noch die sächsische Justiz seines Falles an.
Er hätte es besser wissen müssen. Der gelernte Hotelfachmann wusste an jenem schicksalhaften Sommertag, dass er gar keinen Motorradführerschein besaß. Und dass das Motorrad nicht haftpflichtversichert gewesen ist. Dessen Besitzer Nino F. war nicht ohne Grund gegen die Spritztour seines Bekannten. Trotzdem nahm sich der langjährige Drogenkonsument das Zweirad für eine kurze Rundfahrt im Nordwesten Leipzigs.
In einer leichten Rechtskurve verlor Marcel M. die Kontrolle über das Bike. Und über sein Leben. Seit dem Unfall fühlt sich Marcel M. arbeitsunfähig. Über seinen Antrag auf Erwerbsunfähigkeitsrente sei noch nicht entschieden, erzählte er am Dienstag, 8. Juni 2021 dem Gericht. Betäubungsmittel konsumiere er heute bloß noch gelegentlich. Im April 2020 erwischten ihn Polizisten am Stannebeinplatz mit fast fünf Gramm Crystal im Gepäck.
Sein Verteidiger Ingo Stolzenburg sprach von einer polytoxischen Mehrfachabhängigkeit. Seit dem 13. Lebensjahr konsumiere sein Mandant diverse verbotene Substanzen. Seit dem Unfall leidet der frühere Barkeeper an Phantomschmerzen. Er entwickelte zusätzlich eine schwere Depression. Den gelernten Beruf wird er nie wieder ausüben können.
Muss so einer trotzdem bestraft werden?
Oder sind die Folgen der Tat nicht Strafe genug? „Ja!”, sagte die Staatsanwaltschaft und klagte ihn an. „Ja, aber…“, sagte das Amtsgericht und sprach ein ausgesprochen mildes Urteil. 80 Tagessätze Geldstrafe.
„Zu wenig“, befand die Staatsanwaltschaft und legte Berufung ein. Aufgrund vieler Vorstrafen solle eine Freiheitsstrafe her. „Herr M. hat retrospektiv betrachtet viel Glück gehabt, dass er nicht ums Leben gekommen ist“, betonte sein Verteidiger während der Berufungsverhandlung. Marcel M. selbst gelobte Besserung. „Ich habe keine Lust auf Gefängnis.“
Er nehme regelmäßig Termine bei Suchtberatung und Bewährungshilfe wahr, möchte sein Leben in den Griff bekommen. In seiner Freizeit kümmere er sich viel um seinen Schrebergarten.
In Ausnahmefällen kann das Gericht von Strafe absehen, wenn die Folgen der Tat, die den Täter getroffen haben, so schwer sind, dass die Verhängung einer Strafe offensichtlich verfehlt wäre. Diese Voraussetzungen lagen in diesem Fall nicht vor. Allerdings ließ sich die Berufungskammer um die Vorsitzende Gabriele Plewnia-Schmidt von diesem Rechtsgedanken leiten, als sie das erstinstanzliche Urteil und damit die Geldstrafe bestätigte.
In Anbetracht der Umstände eine nachvollziehbare Entscheidung.
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