Polizeieinsätze wie diesen erleben die Menschen in der Eisenbahnstraße wohl regelmäßig: Jemand wird kontrolliert, es gibt Streit, einige Beobachter/-innen kommen dazu, noch mehr Polizei kommt dazu und am Ende landet der Fall vor Gericht. So war es auch am 25. September 2018, als Arian M.* in eine Auseinandersetzung mit einem Beamten geriet oder – je nach Sichtweise – diese gezielt suchte. Vor Gericht stand Aussage gegen Aussage und am Ende fehlte ein Video.
Unumstritten ist so viel: Eine Person wehrte sich irgendwann nach 20 Uhr – es war schon dunkel – gegen eine körperliche Maßnahme durch drei Polizist/-innen. Es ging ruppig zur Sache. Während sich um das Geschehen herum eine Menschenmenge bildete, in der sich auch Arian M. befand, traf Verstärkung mit drei weiteren Polizist/-innen ein, darunter Mario H.* als Absicherung der Maßnahme.Aus seiner Sicht stach Arian M. aus der Menge heraus: „Er hat sich lautstark beschwert und wollte an mir vorbei.“ Zunächst habe er sich durch leichte Stöße zurückdrängen lassen, doch dann gab es Gerangel und Beleidigungen durch den Angeklagten, der damals 24 Jahre alt war.
Polizeieinsatz gefilmt
Weil andere Polizist/-innen davor warnten, dass irgendwo ein Messer im Spiel sei, zog Mario H. sein Pfefferspray, drohte den Anwesenden mit Gebrauch, setzte es aber nicht ein. Danach habe Arian M. damit begonnen, das Geschehen zu filmen. Aus Sicht des Polizisten eine „völlig legitime“ Aktion.
Arian M. schilderte das Geschehen anders: Er habe damals einen Laden in unmittelbarer Umgebung betrieben, sei nach draußen gegangen und habe sich über den aus seiner Sicht unverhältnismäßigen Polizeieinsatz geärgert. Maximal habe er einen Beamten am Arm berührt. Auf beiden Seiten sei es „emotional“ gewesen. Schubsereien und Beleidigungen streitet er ab. Im Gegenteil: Polizist/-innen hätten ihn provoziert.
Zweiter Polizist hat nichts mitbekommen
Neben Mario H. erschien nur ein weiterer Polizist als Zeuge vor Gericht. Dieser war nach eigenen Angaben jedoch so sehr mit dem eigentlichen Zweck des Polizeieinsatzes beschäftigt, dass er das Drumherum kaum mitbekommen habe. Bei der Identitätsfeststellung habe sich der Angeklagte jedoch „kooperativ und freundlich“ verhalten.
Der Vertreter der Staatsanwaltschaft erklärte, dass ihm die Aussage des Hauptzeugen reiche. Damit sei der tätliche Angriff auf einen Polizisten in Tateinheit mit Beleidigung erwiesen. Die drei Zeug/-innen, die die Verteidigung präsentierte, hätten den Angeklagten nicht entlasten beziehungsweise das Geschehen kaum wahrnehmen können. Das stimmt allerdings nur teilweise.
Ein Zeuge ist sich sicher
Während zwei Zeuginnen, darunter eine Schwester des Angeklagten, tatsächlich nicht viel mehr gesehen haben wollen, als dass Arian M. an eine Wand gedrückt wurde, war sich ein dritter Zeuge sicher: Der Angeklagte habe „zu 100 Prozent“ niemanden geschlagen. Dieser Zeuge hatte den von Arian M. betriebenen Laden wenige Sekunden nach dem Angeklagten verlassen. Dass es eine Berührung gegeben haben könnte, wollte er jedoch nicht ausschließen.
Fragen wirft zudem das beschlagnahmte Handy auf. Laut Arian M. wollte die Polizei verhindern, dass er das Geschehen filmt oder seine Aufnahmen später verwendet werden können. Die Polizei wiederum erklärte, dass sein Handy als mögliches Beweismittel beschlagnahmt wurde. Der Vorschlag, sich im Gerichtssaal das Video auf dem Handy anzuschauen, scheiterte zunächst an einem leeren Akku und einem fehlenden Ladekabel.
Video verschwunden und doch wieder da
Kurz darauf entstand ein neues Problem: Das Handy war zwar eingeschaltet, aber das Video nicht mehr vorhanden. Fündig wurde man schließlich in einem Ordner für gelöschte Daten. Unklar ist, warum das Video dort landete. War es Arian M., müsste er es noch vor Ort gelöscht haben. Anschließend befand sich das Handy ausschließlich bei den Ermittlungsbehörden. Einen großen Mehrwert für die Beweisaufnahme hatte das Video aber nicht.
Während die Staatsanwaltschaft eine Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 40 Euro forderte, plädierte der Verteidiger auf unschuldig. Er stellte die Aussage des Polizisten als unglaubwürdig dar. Auch der Angeklagte Arian M. zeigte sich überrascht, dass sich die Staatsanwaltschaft nur auf diese Aussage stütze.
Normalerweise wäre bei einem solchen Verlauf zu erwarten gewesen, dass der Richter nach wenigen Minuten Bedenkzeit den Angeklagten schuldig spricht. Doch es geschah weder das eine noch das andere. Stattdessen vertagte er die Entscheidung auf Donnerstag – ein ungewöhnliches Vorgehen. Damit ist aber klar: Noch kann der Angeklagte auf einen überraschenden Freispruch hoffen.
*Namen von der Redaktion geändert
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