Die Ermittlungen des Generalbundesanwalts gegen die Leipziger Studentin Lina E. und mindestens acht weitere Beschuldigte beschäftigt seit November unzählige Medien. Das „Compact-Magazin“ meint bei seinen „investigativen“ Recherchen in Leipzig auf ganz heiße Spuren gestoßen zu sein. Ein Teil der jüngsten Veröffentlichungen dazu ist mittlerweile Gegenstand presserechtlicher Auseinandersetzungen. Die Landtagsabgeordnete Juliane Nagel (Linke) soll einen der maßgeblich Beschuldigten im Gefängnis besucht haben. Eine Behauptung, gegen welche sie juristisch vorgeht. Und ein Ex-Stadtrat soll ein Opfer der Connewitzerin Lina E. geworden sein.
Möchte man als Journalist/-in investigativ zu Strafverfahren wie dem gegen Lina E. recherchieren, könnte man auf die Idee kommen, sich in einschlägigen, rechten Leipziger Kreisen umzuhören. Für das „Compact-Magazin“ ein kurzer Draht, in eben jenen dürfte das Blatt um Jürgen Elsässer bestens bekannt sein.
Darunter offenbar auch Enrico Böhm, 38, Familienvater und mehrfach vorbestrafter Gewalttäter. Insgesamt stand der gelernte Mediengestalter mit Stand 2019 seit 2007 sechzehnmal vor Gericht, unter anderem wegen Bedrohung, Leistungserschleichung, Körperverletzung, Umgangs mit explosionsgefährlichen Stoffen und Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.
In der Messestadt ist Böhm auch bekannt als Aktivist bei der rechtsextremen Initiative „Wir für Leipzig“, zuvor Vorsitzender des NPD-Kreisverbands Leipzig und davor als rechtsextremer Hooligan.
Vor Gericht zeigt sich der Mann meist reuevoll, bei einem Verfahren bekam er 2015 nach einem Angriff auf eine ihm zum Tatzeitpunkt unbekannte Radfahrerin eine „gute Sozialprognose“ attestiert und entging so erneut einer Haftstrafe.
Aktuell ermittelt die Staatsanwaltschaft Leipzig wieder gegen Böhm. Der Mann, der von 2014 bis 2019 anfangs für die NPD, später parteilos im Leipziger Stadtrat saß, soll zusammen mit dem Neonazi Adrian Preißinger volksverhetzende Schriften über dessen Kleinstverlag „Der Schelm“ vertrieben haben. Preißinger selbst gilt als abgetaucht, lebt vermutlich irgendwo im Ausland und entzieht sich so bislang den Ermittlungsbehörden.
Kurzum: Der Rechtsextremist nimmt es mit den deutschen Strafgesetzen selbst nicht so genau und mutiert laut der Gerichtsschreiben, die der Leipziger Zeitung vorliegen, in der juristischen Auseinandersetzung zwischen der Landtagsabgeordneten Juliane Nagel und dem „Compact Magazin“ zu einer Art Hauptzeugen gegen Nagel.
Für „Compact“ selbst wird Böhm vor allem als Opfer von Interesse gewesen sein. Am 2. Oktober 2018 griffen Vermummte den damaligen Stadtrat in unmittelbarer Nähe seiner Wohnung im Stadtteil Gohlis an. Die Angreifer versetzten Böhm nach Polizeiangaben mehrere Schläge und versprühten Pfefferspray. Die Ermittler ordnen die Attacke der Gruppe um Lina E. bisher zwar nicht zu, dafür tut es „Compact“.
Angeblich habe laut „Compact“-Autor Marcel Dettmer eine zufällig anwesende Polizistin eine Frau unter den Tätern erkannt und ein später angefertigtes Phantombild passe zu der Studentin. Tatsächlich zeigt die Zeichnung, die das Magazin veröffentlicht hat, eine beliebig erscheinende junge Frau mit Mütze und längerem Haupthaar.
Doch der Compact-Autor spricht sogar von einem persönlichen Tatmotiv aufgrund einer angeblichen Zufallsbegegnung. Und zieht aus dieser die Linie zur Landtagsabgeordneten Juliane Nagel.
Eine zufällige Begegnung als Motiv?
Böhm hatte kurz vor dem Überfall auf sich in der Jugendstrafanstalt Regis-Breitingen Felix F. besucht. Der Neonazi aus dem Umfeld der rechtsextremen „Freien Kameradschaft Dresden“ verbüßte dort eine Jugendstrafe. Zur gleichen Zeit soll Lina E. dort ihren damaligen Lebensgefährten Johann G. besucht haben. Angeblich habe Böhm nach dem Besuch Lina E. vor Ort beobachtet.
„Offenbar reichte das, um ihn zur Zielscheibe zu machen“, meint „Compact“. Böhms langjährigen Aktivismus und seine Straftaten erwähnt Dettmer wohlweislich nicht.
Damit nicht genug. An anderer Stelle berichtete „Compact“, die Landtagsabgeordnete Juliane Nagel, für Böhm seit Jahren eine Art Intimfeindin, habe Johann G. ebenfalls in Regis-Breitingen besucht. Die Linken-Politikerin bestreitet dies und geht gerichtlich gegen die mutmaßliche Falschbehauptung vor.
Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer gab sich vor der ersten Entscheidung im einstweiligen Verfügungsverfahren vergangene Woche siegessicher. Schließlich könne seine Redaktion zwei Zeugen aufbieten. Vertreten durch den Dresdner Rechtsanwalt Frank Hannig legte „Compact“ dem Landgericht Leipzig eidesstattliche Versicherungen vor. Von Enrico Böhm und Felix F.
Letzterer versicherte, er habe sich infolge mehrfacher Konflikte mit Johann G. an das Justizpersonal gewandt. Seitens eines Bediensteten sei ihm mitgeteilt worden, Nagel habe G. mehrfach in der Jugendstrafanstalt besucht. Dies habe F. wiederum Böhm erzählt, der davon nach seiner Darstellung den LKA-Staatsschützer Christian M. (Name ist d. Red. bekannt) in Kenntnis gesetzt haben will.
Später möchte Böhm sich bei dem Polizisten erkundigt haben, ob er die Information verifizieren konnte. Dies habe der Ermittler M. ihm gegenüber bejaht.
Vertrauenswürdigkeiten? Neonazi gegen Beamten
Das Landgericht glaubte den beiden Neonazis diese Story nicht, nannte sie „Hörensagen“ und verurteilte „Compact“ auf Unterlassung, Besuche von Juliane Nagel bei Johann G. weiter zu behaupten. Elsässer kündigte an, die Entscheidung nicht auf sich beruhen zu lassen, sondern das Hauptsacheverfahren zu erzwingen.
„Ich freue mich darauf, in hoffentlich recht kurzer Frist der Antifa-Schutzpatronin Auge in Auge vor Gericht gegenüberzustehen“, schrieb der Chefredakteur am Freitag, 7. Mai 2021. „Compact“ beabsichtige außerdem, Nagel wegen falscher eidesstattlicher Versicherung anzuzeigen.
Das könnte sich allerdings als Bumerang erweisen. Sollte dabei herauskommen, dass die Abgeordnete die Wahrheit erklärt hat, dürften die beiden „Compact“-Informanten selbst ins Visier der Ermittler geraten. Insbesondere Böhms Version der Dinge steht auf tönernen Füßen.
Sollte Staatsschützer Christian M. die Angaben nicht bestätigen, stünde das Wort eines mehrfach Vorbestraften gegen das eines Kriminalbeamten. Allein der Umstand, dass sich der LKA-Ermittler mit der Bestätigung von Böhms Variante der Geschichte des Verrats von Dienstgeheimnissen schuldig bekennen könnte, spricht eher dagegen.
Es scheint ganz so, als sei Elsässer bereit, seinen „Kronzeugen“ den Strafverfolgern vor die Füße zu werfen, um den vermeintlichen „Skandal“ um einen angeblichen Knastbesuch ein paar Wochen länger ausschlachten zu können.
Enrico Böhm Opfer der Gruppe um Lina E.?
Das Medium, das sich als ein Sprachrohr der AfD präsentiert und seit 2020 vom Bundesamt für Verfassungsschutz als Verdachtsfall gelistet wird, müht sich sichtlich, eine Brücke von Böhm zu den Ermittlungen gegen Lina E. zu schlagen.
Denn DNA-Spuren, die am Tatort des Angriffs gegen den Hooligan gesichert wurden, führten die Ermittler offenbar zu einem gewissen Justus W. Ein linker Aktivist aus Leipzig, der immer wieder mal mit dem Gesetz in Konflikt geraten war. Bei der Durchsuchung von dessen Wohnung entdeckten die Staatsschützer zufällig eine nicht unerhebliche Menge an Betäubungsmitteln.
„Compact“ behauptet, der 35-Jährige sei einer von insgesamt zehn Beschuldigten in dem Verfahren gegen die Gruppe um Lina E. Bei der Studentin hätten die Ermittler nämlich rund 4.000 Euro in Bar gefunden.
„Compact“-Autor Dettmer mutmaßt, die Gruppe um Lina E. und Johann G. könne ihre Aktivitäten mit dem Verkauf von Betäubungsmitteln finanziert haben. Diese These ist rein spekulativ und entbehrt anscheinend jeder sachlichen Grundlage. Konkrete Anhaltspunkte existieren keine. Trotzdem behauptet „Compact“, der Generalbundesanwalt ermittele auch gegen Justus W. als Teil einer Gruppe um Lina E. – ohne einen Beleg zu liefern.
Zusätzlich veröffentlichte das Magazin im Internet Fotos des Aktivisten, die dem Anschein nach einer Polizeiakte entnommen wurden. Im Namen der Bilddatei findet sich sogar der Nachname des Mannes.
Ob gegen den Leipziger Justus W. wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung ermittelt wird, ließ sich bislang nicht verifizieren. Anfang November 2020 führte der Generalbundesanwalt das Verfahren gegen neun Beschuldigte. Justus W. befand sich zu diesem Zeitpunkt nicht unter den Verdächtigen.
Die Bundesanwaltschaft hüllt sich bislang gegenüber der Leipziger Zeitung zu allen weitergehenden Fragen rings um den Fall Lina E. in Schweigen. „Ich bitte um Verständnis, dass wir uns auch gerade vor dem Hintergrund der laufenden Ermittlungen derzeit nicht zu Detailfragen äußern können“, teilte Staatsanwalt Markus Schmitt mit.
Raum für Spekulationen also und wilde Geschichten ohne Ende.
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Keine Kommentare bisher
Sie betreiben hier doch bloß “damage control”. Bei jedem Pups gegen “Flüchtlinge” oder Linke wird sofort die AfD und co. verdächtigt, hier will natürlich niemand nie je auch nur irgendwen angegriffen haben. Es ist die Strafe für die Sex- und Geldsucht, der nun auch ein Zitelmann verfallen ist. J. D. Unwin wußte schon 1934 in “Sex and Culture” — er selbst war Freudianer u. Marxist –, daß sexuelle Promiskuität Symptom von zivilisatorischem Niedergang ist. Nie gab es Hochkulturen, die gleichzeitig bestialisch prassten, wie’s der Westen heute hält. Entweder entfesselte Geilheit und Masseneinwanderung oder — Wasserspülung. Beides geht nicht.