Vier Männer müssen sich seit Mittwoch vor dem Landgericht Leipzig wegen versuchten Mordes verantworten. Das Quartett soll am 2. April 2020 in Sellerhausen-Stünz einen 19-Jährigen niedergeschossen und einen 28-Jährigen mit einer Machete angegriffen haben. Die Hintergründe der Tat lagen zunächst im Dunkeln. Die Staatsanwaltschaft geht mittlerweile von Rivalitäten in der Drogenszene aus. Doch der Prozess droht zu platzen, bevor die Anklage verlesen wurde.
Tobt in Leipzigs Drogenszene ein Bandenkrieg? Das Kompositum weckt beim Leser spätestens seit dem Netflix-Erfolgen der „Narcos“ düsterste Assoziationen und wird deshalb im Boulevard inflationär häufig benutzt. Anders als die „Leipziger Volkszeitung“ in ihrer Vorberichterstattung assoziiert, ist der Leipziger Nordosten jedoch noch immer nicht das neue Medellin geworden.Die Fakten, wie sie die Staatsanwaltschaft angeklagt hat, sprechen für eine Auseinandersetzung zwischen rivalisieren Betäubungsmittelhändlern, die für einen der Beteiligten fast tödlich endete.
Am 2. April fielen in einer Wohnung in der Sybelstraße Schüsse. Das Opfer (19) wurde in den Bauch getroffen, überlebte den Angriff schwer verletzt. Die Staatsanwaltschaft nimmt an, dass sich Mohammed Y. (36), Saif F. (25), Wael H. (21) und Ashraf G. (26) im Frühjahr 2020 mit einem Dutzend Komplizen zusammengeschlossen hatten, um Machtansprüche in der Betäubungsmittelkriminalität rund um die Eisenbahnstraße zu behaupten.
Der Angriff galt demnach möglichen Konkurrenten.
Die 3. Strafkammer erwartet eine zeitaufwendige Hauptverhandlung. Der Vorsitzende Richter Bernd Gicklhorn hat bis Jahresende schon 24 Termine anberaumt. Weitere könnten folgen. Dass es dem Gericht gelingen wird, die Hintergründe der Tat vollständig aufzuklären, darf zumindest angezweifelt werden.
Erfahrungsgemäß hält sich das Milieu gegenüber Richtern und Staatsanwälten sogar unter Androhung von Beugehaft äußerst bedeckt. Möglicherweise platzt der Prozess schon, bevor er richtig Fahrt aufnehmen konnte.
Am Mittwoch beantragte Verteidiger Mario Thomas noch vor Verlesung der Anklage die Aussetzung der Hauptverhandlung. Begründung: Die seitens des Gerichts getroffenen Corona-Maßnahmen seien unzureichend für eine Verhandlung, an der samt Zuschauern weit mehr als 40 Personen teilnehmen würden.
Der Antrag stieß nicht nur auf Gegenliebe. Rechtsanwalt Curt-Matthias Engel schlug vor, die Verhandlung notfalls ins Gewandhaus oder die Neue Messe zu verlegen. „Es kann nicht sein, dass Gerichtsverhandlungen nicht mehr stattfinden. Mein Mandant hat einen Anspruch auf das beschleunigte Verfahren.“
Hintergrund: Ist ein Angeklagter inhaftiert, sind die Gerichte infolge der Unschuldsvermutung gehalten, die Hauptverhandlung so rasch wie möglich über die Bühne zu bringen. Bei gravierenden Verstößen, die die Justiz zu vertreten hat, ist er freizulassen.
Von den vier Angeklagten sitzen drei seit über einem Jahr in Untersuchungshaft. Sollte die Kammer die Verhandlung aussetzen, käme das Trio wahrscheinlich auf freien Fuß und könnte untertauchen. Gicklhorn und seine Richterkollegen stehen deshalb vor einer schwierigen Abwägungsentscheidung.
Der Strafanspruch des Staates konkurriert mit der Unschuldsvermutung und dem Beschleunigungsgebot. Das Gericht möchte sich bis 6. Mai Zeit nehmen.
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