Ob in einem scheinbar guten oder schlechten Willen das Schreiben entstand, müssen wohl die anonymen Verfasser/-innen erklären. Werden sie aber nicht, tendieren darf man wohl zu einem guten Willen. Doch am Sonntag, 15. November 2020, klebte an vielen Haustüren Leipzigs ein angeblicher Brief von Oberbürgermeister Burkhard Jung, in welchem er zum Melden von leerstehenden Häusern und Wohnungen aufrufen würde. Grund seien 13.000 Flüchtlinge, welche so gerettet und nach Möglichkeit in Leipzig beherbergt werden sollten.
Wollten sie darauf hinweisen, dass sich in Sachsens Flüchtlingsaufnahme nicht genug tut, haben sie zumindest ein zweifelhaftes Mittel gewählt. Mit solchen Aktionen kann man unter weniger engagierten Mitmenschen Angst und Schrecken verbreiten, während andere schnell sehen, dass es ein gefälschter Brief ist. Dritte Auslegung: man lähmt den Einsatz jener, die sich wirklich für Lösungen starkmachen würde -aber vielleicht denk: oh, da wird ja schon was getan.
Die Zahlenangaben beziehen sich auf das Lager Moria in Griechenland und nicht auf die versprochenen Aufnahmezahlen Sachsens oder Leipzigs. Diese mögen noch immer zu niedrig sein, angesichts des dramatischen Elends in Griechenland und die Politik deutlich zu langsam in der Lösung und aus Angst vor Rassisten und anderen nationalistischen bis selbstbezogenen „Querdenkern“.
Doch schafft man Akzeptanz, indem man gefälschte Schreiben an Haustüren heftet?
Öffentlichkeit zumindest haben sie erreicht, die Briefschreiber/-innen. Am Sonntag, 15. November 2020 sah sich die Stadt Leipzig bereits genötigt, den Inhalt und die Urheberschaft auf Twitter zu dementieren. Öffentlichkeit erfährt so auch ein Thema, welches die L-IZ.de interessiert und weshalb wir in der (verlängerten) Aktion „Vergessene Häuser“ bereits seit September 2020 Wohnungsleerstand im Verfall kartografieren.
Mag also sein, dass sich die Schreiber/-innen auch davon haben inspirieren lassen – Danke für das Kompliment, ein wichtiges Thema, die leerstehenden 12.000 Wohnungen im Leipziger Raum bei zunehmender Wohnungsknappheit ebenso ernstzunehmen, wie die Aufnahme von Menschen in Not.
Ob man dafür das Logo der Stadt Leipzig (illegal) benutzen muss, um der Information scheinbare Seriosität zu verleihen, ist zwar guerillamäßig cool, aber bei solchen komplexen Themen dennoch eher fragwürdig.
So wird zwar indirekt auch die Stadt Leipzig kritisiert, aber einige wichtige Informationen vergessen, die also unberechtigte Wut auf allen Seiten schüren könnte. Denn leider ist das Jahr 2020 an vielen Fronten längst zu einem der Fakenews-Jahre überhaupt verkommen – wichtige und korrekte Informationen werden so von Lügen und anderem oft rassistischem und menschenfeindlichem Müll überdeckt, ja teilweise schon verdrängt.
Da ist jede Lüge eine weitere zu viel, auch im besten Willen. Der Kompetente erkennt am Schreiben in Sekunden, dass angelesenes Wissen mit einer Aktionsform gekoppelt ist, welche nicht dem Vorgehen der Stadt Leipzig entspricht. Zumal die Bestandsaufnahme leerstehender Häuser seitens der Kommune noch nicht begonnen hat.
#Fake Aktuell ist ein Brief zum Thema Wohnungsleerstand im Stadtgebiet verteilt worden. Der Brief trägt im Kopf das Stadtwappen und ein Porträt des Oberbürgermeisters und erweckt den Eindruck eines amtlichen Schreibens der Stadtverwaltung. Dieser Brief ist eine Fälschung.
— Stadt Leipzig (@StadtLeipzig) November 15, 2020
Es mag zudem in der Demokratie langsam gehen, doch der Stadtrat befasst sich längst dank einer Studie Ende 2019 und einigen Anträgen dazu mit dem Leerstand in Leipzig. Und dieser ist eben vorrangig unter privaten Immobilienbesitzern zu finden, die mal kein Geld zur Sanierung haben mögen, mal Erbstreitigkeiten austragen und mal eben auch einfach spekulieren. Was mit den städtischen Maßnahmen baldmöglichst eingedämmt werden könnte, wenn alle – neben dem nötigen Neubau – miteinander ins Gespräch kommen.
Was feststeht: die Schreiber lesen Zeitung, mutmaßlich die L-IZ.de. Sie können also auch statt falsche Briefe an Haustüren zu hängen dabei helfen, wie alle anderen noch bis Ende November 2020 Fotos und Adressen von leerstehenden Häusern an uns über redaktion@l-iz.de senden.
Wir prüfen diese und kartieren diese nach, um das Problem für alle sichtbar zu machen. Das nächste Update folgt am Freitag, 20.11.2020.
Die Leerstands-Karte bislang
„Vergessene“ Häuser in Leipzig: Impressionen des Verfalls + Bildergalerie, Update 13.10.2020 & Übersichtskarte
https://www.l-iz.de/politik/leipzig/2020/10/Vergessene-Haeuser-in-Leipzig-Impressionen-des-Verfalls-347491
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