Eigentlich sind es die Naturschutzverbände, die ein verbrieftes Recht haben, gegen Verstöße gegen den Naturschutz vor Gericht zu ziehen. Was sie oft schon aus dem simplen Grund nicht tun, weil ihnen nicht die finanziellen Reserven zur Verfügung stehen, mit denen selbst Kommunen und Länder die Klagen anwaltlich abwehren können. Dass ein staatlicher Amtsträger nun gar gegen ein Umweltinstitut und einen Autoren vor Gericht zieht, wertet auch Menschenrechtskommissarin Dunja Mijatovic als massive Grenzüberschreitung. Der Fall betrifft auch den Journalismus.
Worauf die Menschenrechtskommissarin des Europarats, Dunja Mijatovic, in ihrem am Dienstag, 27. Oktober, veröffentlichten Statement ganz dezidiert eingeht.
„It is high time to tackle a practice which puts pressure both on journalists and on civil society as a whole and dissuades them from critical reporting. This is all the more important at a time when access to information is under strain, with governments seizing emergency powers to ban assemblies, reducing the ability of NGOs and journalists to do field work and sometimes also reining in critical media“, schreibt sie da, wohl wissend, was für ein Ungleichgewicht zwischen staatlichen Institutionen, die mit dem Geld der Steuerzahler agieren können, und Journalisten, aber auch NGOs herrscht, die nicht ansatzweise über diese finanziellen Möglichkeiten verfügen und vor Gericht immer wieder ihre Existenz riskieren, wenn sie sich mit Amtsträgern messen müssen.
Zu deutsch lautet das Zitat: „Es ist höchste Zeit, eine Praxis in Angriff zu nehmen, die sowohl Druck auf Journalisten als auch auf die Zivilgesellschaft insgesamt ausübt und sie von einer kritischen Berichterstattung abhält. Dies ist umso wichtiger in einer Zeit, in der der Zugang zu Informationen unter Druck steht und die Regierungen die Notstandsbefugnisse ergreifen, um Versammlungen zu verbieten, die Fähigkeit von NRO und Journalisten zur Feldarbeit zu verringern und manchmal auch kritische Medien einzuschränken.“
Dunja Mijatovic nennt auch den dramatischen Fall von Daphne Caruana Galizia, die in Malta mit dem Tod dafür bezahlte, dass sie die Machenschaften einiger Regierungsmitglieder genauer unter die Lupe nahm.
Was freilich nur Teil von Mijatovics Analyse ist, die sehr wohl mitbekommen hat, wie auch Regierungen und Regionalverwaltungen dafür sorgen, dass Nichtregierungsorganisationen (NRO) und Medien sich immer seltener trauen, wirklich heiße Eisen anzupacken. Denn da sie auch keinen besonderen Schutz genießen, spielen sie jedes Mal mit ihrer Existenz, wenn sie es wagen, heikle Zustände auch nur zu thematisieren.
In ihrem Beitrag benennt Dunja Mijatovic sehr deutlich, worum es in einem Strategischen Prozess gegen die Beteiligung der Öffentlichkeit (Strategic Lawsuits against Public Participation, SLAPP) geht: „Another common quality of a SLAPP is the power imbalance between the plaintiff and the defendant. Private companies or powerful people usually target individuals, alongside the organisations they belong to or work for, as an attempt to intimidate and silence critical voices, based purely on the financial strength of the complainant“, schreibt sie.
Auf deutsch: „Eine weitere häufige Eigenschaft eines SLAPP ist das Machtgefälle zwischen dem Kläger und dem Angeklagten. Private Unternehmen oder mächtige Personen richten sich in der Regel an Einzelpersonen außerhalb der Organisationen, denen sie angehören oder für die sie arbeiten, um kritische Stimmen einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen, die ausschließlich auf der Finanzkraft des Beschwerdeführers beruhen.“
Genau darum geht es auch in Südtirol bei den Klagen wegen übler Nachrede gegen Karl Bär vom Umweltinstitut München und den Autor von „Das Wunder von Mals“ Alexander Schiebel.
Eine typische SLAPP-Klage, so Mijatovic. Diese unverhältnismäßigen Klagen würden strategisch eingesetzt, um kritische Stimmen einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen. Aus Sicht von Mijatovic stellen SLAPPs eine erhebliche und wachsende Bedrohung für das Recht auf freie Meinungsäußerung in einigen europäischen Staaten dar. Zudem würden durch sie das Justizsystem und die Rechtsstaatlichkeit im Allgemeinen missbraucht. Die Menschenrechtskommissarin ruft die Mitgliedstaaten des Europarats auf – somit auch Italien – Maßnahmen gegen derartige Klagen zu ergreifen.
Karl Bär, Agrarreferent im Umweltinstitut München, kommentiert die Stellungnahme der Menschenrechtskommissarin mit den Worten: „Die Menschenrechtskommissarin des Europarats sieht die Anzeigen gegen mich, unseren Vorstand sowie Alexander Schiebel und seinen Verleger ganz klar als einen Angriff auf die Meinungsfreiheit. Der Südtiroler Landesrat Arnold Schuler und die dortige Obstwirtschaft müssen ihre unsäglichen Anzeigen wegen übler Nachrede endlich zurückziehen. Nicht unsere Kampagnen oder das Buch ,Das Wunder von Mals‘ waren Grenzüberschreitungen, sondern die Strafanzeigen wegen Kritik am Pestizideinsatz.“
Nicola Canestrini, Rechtsanwalt von Bär und Schiebel, ergänzt: „Auf höchster Ebene wurde anerkannt, dass meine Mandanten rechtlich schikaniert werden, um sie zum Schweigen zu bringen. Dem haben wir uns entgegengesetzt. Diese Prozesse sind schon jetzt ein Meilenstein im Kampf um die Meinungsfreiheit.“
Um strategische Klagen zu verhindern, fordert Menschenrechtskommissarin Mijatovic unter anderem die lokalen Gerichte auf, SLAPPs frühzeitig abzuweisen. Auch müsste der Missbrauch von Klagen künftig bestraft werden, insbesondere durch die Umkehrung der Verfahrenskosten. Von SLAPPs betroffene Personen müssten zudem praktisch unterstützt werden.
Hintergrund des Prozesses: Anlass der Klage gegen Karl Bär war die Aktion „Pestizidtirol“ des Umweltinstituts München im Sommer 2017. Die Umweltorganisation platzierte ein Plakat in der Münchner U-Bahn, das eine Tourismus-Marketing-Kampagne Südtirols ironisch verfremdete. Zusammen mit einer Website hatte die Aktion zum Ziel, auf den hohen Pestizideinsatz in der beliebten Urlaubsregion aufmerksam zu machen.
Der Vorwurf der üblen Nachrede im Fall von Schiebel und seinem Herausgeber, dem oekom verlag, bezieht sich auf eine Textpassage des Buches „Das Wunder von Mals“, in welcher der Autor den Pestizideinsatz in Südtirol anprangert. Den Betroffenen drohen bei einer Niederlage nicht nur eine Haft- und Geldstrafe, sondern auch mögliche Schadensersatzforderungen von Landwirt/-innen in Millionenhöhe und damit der finanzielle Ruin.
SLAPPs sind von mächtigen Akteur/-innen (zum Beispiel Unternehmen, Beamt/-innen in privater Eigenschaft oder hochrangigen Personen) angestrengte Klagen, um diejenigen einzuschüchtern oder zum Schweigen zu bringen, die im öffentlichen Interesse Missstände benennen. Typische Opfer sind Personen mit einer Überwachungsfunktion, zum Beispiel Journalist/-innen, Aktivist/-innen oder Wissenschaftler/-innen.
Merkmale eines SLAPP-Falles sind unter anderem die unverhältnismäßige und aggressive Wahl der Mittel im Vergleich zum angeblichen Vergehen. Meist werden eher Einzelpersonen statt ganzer Organisationen angezeigt und die Klagen entbehren einer faktischen oder rechtlichen Grundlage. Italien ist ein Hotspot solcher strategischer Klagen. Dort werden jährlich mehr als 6.000 beziehungsweise zwei Drittel der Verleumdungsklagen gegen Journalist/-innen und Medien von Richter/-innen als unbegründet abgewiesen.
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