Am Ende wusste sich der- oder diejenige keinen Rat mehr und gab die Informationen zum grรถรten Korruptionsfall in der jรผngeren Polizeigeschichte Sachsens an die Dresdner Morgenpost weiter. Sonst hรคtte Sachsens Innenminister das โFahrradgateโ wohl weiter unter der Decke gehalten. Aber damit wird eine/-r Polizeibedienste/-r in Sachsen natรผrlich zum Whistleblower. Und was tut Sachsens Polizei? Sie sucht die undichte Stelle.
Das ist die simple Antwort auf eine ganz spezielle Anfrage des Landtagsabgeordneten Marco Bรถhme (Die Linke) an die sรคchsische Staatsregierung, auf die jetzt stellvertretend Kultusminister Christian Piwarz antwortete. Nur zur Erinnerung: Seit einem Jahr wissen die zustรคndigen Stellen im sรคchsischen Beamtenapparat รผber unrechtmรครigen Weiterverkauf von beschlagnahmten Fahrrรคdern durch mindestens eine Beamtin in der โZentraB Fahrradโ.
Aus einer Auskunft von Innenminister Roland Wรถller vom 13. Juli 2020: โEine Polizeibeamtin der Polizeidirektion Leipzig steht in Verdacht, als Asservatenverantwortliche der zentralen Asservatenstelle des Kommissariates 26 ,Massendelikteโ der Polizeidirektion Leipzig, Arbeitsbereich Zentrale Bearbeitung Fahrradkriminalitรคt (ZentraB ,Fahrradโ), im Zeitraum von spรคtestens Januar 2015 bis mindestens September 2018 Fahrrรคder aus dem Bestand der Asservatenstelle unrechtmรครig gegen Entgelt an Dritte verรคuรert zu haben. Davon sollen andere Sachbearbeiter und Vorgesetzte Kenntnis gehabt haben. Zu den Kรคufern der Fahrrรคder gehรถren neben anderen auch Beamte und Angestellte der Polizei sowie zumindest ein verbeamteter Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft Leipzig.โ
Was aber erst im Juni durch einen Bericht der โMorgenpostโ รถffentlich wurde. Mittlerweile wird ja heftig darรผber debattiert, zu welchem Zeitpunkt die beiden zustรคndigen Minister des Innern und der Justiz รผber das โFahrradgateโ informiert wurden.
Auch hierzu wurde ja ein internes Schreiben an die Dresdner Morgenpoost durchgereicht, โeine schriftliche Fรผhrungsinformation der PD Leipzig an das Staatsministerium des Innernโ vom 27. Dezember 2020, die letztlich klarstellt, dass mindestens Innenminister Roland Wรถller seit Dezember รผber die Ausmaรe des Fahrradgates informiert war.
Bis dahin, so betont die Staatsregierung, wรคre als hรถchste Instanz nur Landespolizeiprรคsident Horst Kretzschmar รผber die Vorgรคnge informiert gewesen. Und selbst die dringende Mahnung aus Leipzig, mit der Sache an die รffentlichkeit zu gehen, รคnderte ja nichts. Die Sache blieb unter Verschluss, obwohl zwischenzeitlich gegen รผber 100 Polizeibedienstete ermittelt wurde. Was Marco Bรถhme bei seinen vielen Fragen noch nicht angefragt hat, ist natรผrlich, ob es zwischenzeitlich nicht auch Hinweise an die polizeieigene Korruptionshotline gegeben hat.
Was ja noch nicht bedeutet, dass die dortigen Polizeibeamten aktiv wurden. Kam der Fall gar erst durch solch einen Anruf zustande? Das erfรคhrt man nicht. In Sachen Transparenz und รffentlichkeitsarbeit ist die sรคchsische Polizei genauso verschlossen wie der sรคchsische Verfassungsschutz.
Man hat zwar eine Korruptionshotline, bei der auch Beamte sich melden kรถnnen. Aber der auch im Landtag ausgetragene Streit รผber eine wirklich unabhรคngige Ombuds- und Beschwerdestelle erzรคhlt bislang genug รผber die Schwierigkeiten des Innenministeriums mit wirklich unabhรคngigen Korruptionsermittlern.
Interessant ist auch die Lรผcke zwischen dem September 2018 (bis dahin gingen die Fahrradverkรคufe mindestens weiter) und der tatsรคchlich von der PD Leipzig ergangenen Strafanzeige vom Juli 2019: โAufgrund einer Strafanzeige der Polizeidirektion Leipzig vom 5. Juli 2019 wurde durch die Staatsanwaltschaft Leipzig am 9. Juli 2019 ein Ermittlungsverfahren gegen eine Beschuldigte aus dem Bereich der Polizeidirektion Leipzig zunรคchst wegen des Vorwurfs der Untreue, spรคter wegen der Tatvorwรผrfe der Vorteilsannahme/Bestechlichkeit und Unterschlagung, eingeleitet. Die Ermittlungen in diesem Verfahren wurden am 11. Juli 2019 auf zwei weitere Beschuldigte wegen des Tatvorwurfs der Vorteilsgewรคhrung erweitert.โ
Was passierte in der Zwischenzeit?
Und warum ging die Polizei damit nicht proaktiv an die รffentlichkeit? Ging sie einfach davon aus, dass Polizisten eisern schweigen, egal, was in ihren Reihen passiert? Das wรคre ein sehr fataler Korpsgeist und wรผrde nichts Gutes erzรคhlen รผber die Verantwortung, die der sรคchsische Polizeiapparat gegenรผber der Gesellschaft empfindet, die er eigentlich vor kriminellen Machenschaften schรผtzen soll.
Warum der Landespolizeiprรคsident die Information nicht weitergab, begrรผndete Roland Wรถller am 13. Juli so: โBezogen auf den zweiten Teil der Frage ist zunรคchst darauf hinzuweisen, dass aufgrund des Ermittlungstandes im Juli 2019 die mรถgliche Dimension des Sachverhaltes weder bekannt noch absehbar war. Vor dem Hintergrund, dass das Landeskriminalamt Sachsen unter der Verfahrensleitung der Staatsanwaltschaft Leipzig die Ermittlungen รผbernommen hatte, bestand fรผr den Landespolizeiprรคsidenten seinerzeit keine Veranlassung, darรผber hinausgehende Maรnahmen zu treffen.โ
Was eben auch bedeutet, dass auch der Polizeiapparat selbst nichts รผber den Fortgang der Ermittlungen erfuhr. Und das bis Juni 2020, als jemand in diesem unheimlich verschwiegenen Apparat die Nase voll hatte und den Fall an die Dresdner Morgenpost durchsteckte.
Und diesen Jemand sucht die Polizei jetzt mit emsiger Verbissenheit.
Denn โ wie Christian Piwarz breitbrรผstig mitteilt: โDer Sachverhalt ist nach den derzeitigen Erkenntnissen durch eine Verletzung des Dienstgeheimnisses an die รffentlichkeit gelangt.โ
Sachsen ist also beim Thema Korruptionsprรคvention keinen Millimeter weitergekommen. Die eigene Antikorruptionshotline erfreut sich irgendwie keines besonders groรen Vertrauens, gerade bei Bediensteten des Innenministeriums. Nur zehn von 276 Beschwerden stammten 2019 direkt von Polizeibediensteten.
Also bleibt ihnen, wenn sie korruptive Vorgรคnge sehen, scheinbar nur der anonyme Weg an die Presse. Womit sie dann sofort selbst zum Gesuchten werden. Denn auch Sachsens Staatsregierung kennt kein Pardon, so eine Information gleich mal zum โGeheimnisverratโ im schweren Fall zu erklรคren.
Piwarz: โEs wurden Ermittlungen wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht gemรคร ยง 353b Strafgesetzbuch eingeleitet, welche sich derzeit gegen Unbekannt richten.โ
Da wirkt es nur peinlich, wenn die Polizei dann nach Verรถffentlichung des Skandals extra auch noch eine eigene Antikorruptionshotline bei der PD Leipzig einrichtet. Eigentlich das stille Eingestรคndnis, dass das 2015 eingefรผhrte Antikorrutionsgesetz in sรคchsischen Behรถrden nicht wirklich greift und das Antikorruptions-Telefon der sรคchsischen Polizei nicht wirklich emsig angenommen wird.
Die Einrichtung der neuen Antikorruptions-Hotline in Leipzig wirkt nicht viel vertrauenswรผrdiger, wenn man die Antwort der Staastsregierung dazu liest: โMit Wirkung vom 25. Juni 2020 wurde bei der Polizeidirektion Leipzig das ,Anti-Korruptions-Telefonโ (0341 96644444) eingerichtet. An diese Stelle kรถnnen sich alle Bรผrgerinnen und Bรผrger sowie Bedienstete wenden, um Hinweise auf mรถgliche korruptive Vorgรคnge zu geben. Die Einrichtung erfolgte zunรคchst bei der Polizeidirektion Leipzig, um nach Auswertung der Erkenntnisse eine Entscheidung รผber eine landesweite Implementierung treffen zu kรถnnen.โ
Da werden sich auch die Beamten, denen Vetternwirtschaft und Korruption anstรถรig sind, eher fragen, ob ein Anruf unter dieser Nummer wirklich gut wรคre fรผr die eigene Laufbahn oder das gute Klima in der Abteilung.
Denn von Transparenz ist in der Antwort nichts zu lesen: โSรคmtliche Hinweise zu mรถglichen Korruptionsvorgรคngen werden zunรคchst dokumentiert. Anschlieรend erfolgt die Vorlage der Sachverhalte unter Einbeziehung des Antikorruptionsbeauftragten der Dienststelle an die Kriminalpolizeiinspektion der Polizeidirektion Leipzig. Diese prรผft in Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft die Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen. Sofern eine disziplinarrechtliche Relevanz gegeben ist, erfolgt zudem eine Information an den Leiter der Polizeidirektion. Dieser wird darรผber hinaus monatlich รผber eingegangene Hinweise sowie veranlasste Maรnahmen unterrichtet.โ
Gibt es dann wenigstens irgendwann irgendwo Informationen รผber den Ausgang solcher Untersuchungen?
Nicht wirklich, teilt die Staatsregierung mit und verweist auf die โJahresberichte der Zentralen Beschwerdestelle der sรคchsischen Polizeiโ. Aber die Beschwerdestelle berichtet nur summarisch, wie viele Beschwerden bearbeitet, als relevant akzeptiert und โ im Ernstfall โ auch an die Staatsanwaltschaft รผbergeben wurden. Von 276 im Jahr 2019 eingereichten Beschwerden โsind in zehn Fรคllen strafrechtliche Ermittlungen gegen Polizeibeamte eingeleitet und der jeweiligen Staatsanwaltschaft zur Entscheidung vorgelegt worden.โ
In fรผnf Fรคllen gab es Disziplinarmaรnahmen. Aber das bleibt alles intern. โรber die Anliegen mit รถrtlichem Bezug entscheiden die betroffenen Polizeidienststellen. Zu bedeutsamen Sachverhalten erfolgen Rรผckkopplungen hinsichtlich der Umsetzung an die Beschwerdestelleโ, heiรt es im Jahresbericht 2019. Eine Information der รffentlichkeit im besonders schweren Fall ist nicht vorgesehen. Logisch, dass auch die Landtagsfraktionen eine Menge Fragen haben.
Fehlt Sachsens Innenminister Roland Wรถller das Gespรผr fรผr Korruption oder steckt der Fehler in der sรคchsischen Polizeipolitik?
Die neue Leipziger Zeitung Nr. 81: Von verwirrten Mรคnnern, richtigem Kaffee und dem Schrei der Prachthirsche nach Liebe
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