Alle Jahre wieder? In diesem Jahr war das Silvesterfest am Connewitzer Kreuz anders, was durchaus ein Anlass war, mal innezuhalten und nachzurecherchieren. Und in Schritt 1 zu fragen, wie der wirkliche Ablauf war, an dessen Ende nach einer versuchten Festnahme ein 38-jähriger Polizeibeamter am Morgen des 1. Januar 2020 gegen 0:15 Uhr verletzt und bewusstlos auf dem Connewitzer Kreuz, am Eingang der Bornaischen Straße, liegen blieb. Am heutigen 2. Januar konnte unsere Redaktion neben verschiedensten Schilderungen vor allem Einblick in ein privates Video nehmen, welches den Angriff auf die Beamten zeigt.
Ein einzelner Mann schiebt einen brennenden Einkaufswagen etwa fünf Meter übers Connewitzer Kreuz, das Gefährt kommt zum Stehen, kippt um, brennt weiter. Einsatzbeamte sind in dieser Szene mit Blick Richtung Selnecker Straße nicht zu sehen.Wo später die Polizei berichten wird, hier habe ein Versuch stattgefunden, diesen in eine Einsatzeinheit zu schieben, ist von dieser nichts zu sehen. Von einer aktiven Gefährdung von Beamten ist hier eher nicht auszugehen. Den brennenden Einkaufswagen hingegen gibt es nicht zum ersten Mal, er ist so etwas wie ein makaberes Jahresend-Ritual am Connewitzer Kreuz zu Silvester.
Dann entfernen sich mehrere Personen aus dem Bild. Szenenwechsel, Schwenk der Kamera, Blick auf die Gegenseite des Platzes, Bornaische Straße.
Warum die beiden Einsatzbeamten, einer mit und der später schwer verletzte Beamte ohne Helm auf dem Kopf, einen eher krabbelnden als gehenden Mann auf Höhe des Gemüsestandes versuchen, allein in Gewahrsam zu nehmen, ist unklar. Das LKA Sachsen spricht seit dem heutigen 2. Januar 2019 in einem ersten Statement hierbei von einer Festnahme, welche mit dem brennenden Einkaufswagen in Verbindung stehen würde.
Es ist eine untypische Einsatzsituation, normalerweise finden Ingewahrsamnahmen durch Bereitschaftseinheiten mit umgebenden Beamten zur Absicherung statt, Videobegleitung zur Beweisführung inklusive. All dies fehlt, weitere Beamte sind in dieser Szene nicht zu sehen.
Als sie versuchen, ihn auf dem Connewitzer Kreuz stadtauswärts Richtung Bornaische Straße zu bringen, kommt es zu einer Art Solidarisierung der Umstehenden. „Ihr Wichser“ und „Verpisst Euch“-Rufe schallen um die beiden Beamten herum. Fast zeitgleich erfolgt der erste Angriff durch vermummte Personen. Auf sie und einen weiteren Beamten, der – an der Situation noch völlig unbeteiligt – von der Mittelinsel am Connewitzer Kreuz förmlich heruntergetreten wird.
Kurz hintereinander springen mehrere teils mit Sturmhauben vermummte Männer den drei Beamten so jeweils mindestens einmal in den Rücken, offenbar entschlossen, angesichts der kurzzeitigen, zahlenmäßigen Überlegenheit hier eine Art „Gefangenenbefreiung“ zu starten.
Weitere Beamte sind noch immer nicht zu sehen, die Gewaltspirale dreht sich, ein anderer ebenfalls vermummter Mann schießt mit einer Rakete in Richtung der noch immer nur zu zweit mit der Festnahme und nun auch der Selbstverteidigung befassten Beamten. Beim Tritt in den Rücken hat der an der Festnahme nicht beteiligte Beamte seinen Helm verloren, ob vom Kopf oder aus der Hand ist nicht zu sehen.
Ein weiterer Vermummter nimmt den Helm umgehend von der Straße auf und wirft diesen aus maximal drei Metern Entfernung auf die Beamten, welche soeben noch mit dem Abführen eines Tatverdächtigen befasst waren und nun Ziel massiver Angriffe, wiederholter Tritte und Böllerbewurf sind. Ob der Helmwerfer jemanden trifft, ist nicht zu sehen, doch beide Beamte liegen am Boden und versuchen wieder aufzustehen.
Nur einem gelingt es. Beim Aufrappeln tritt ein weiterer Angreifer mindestens einmal nach dem anderen, der Beamte ohne Helm bleibt nun regungslos liegen.
All dies geschieht innerhalb von etwa 10 Sekunden, dann kommen weitere Polizisten ihren drei Kollegen zu Hilfe und versuchen gleichzeitig, erste Verhaftungen durchzuführen. Weitere werden bis kurz vor 2 Uhr an diesem Silvestermorgen folgen (siehe L-IZ-Video zu den Szenen danach in Teil 2). Dabei dürfte es sich jedoch weniger um die an diesem konkreten Angriff Beteiligte handeln, auch das LKA Sachsen spricht seit heute von weiteren, minder schweren Taten nach diesem Übergriff.
Die letzten Sequenzen des Videos zeigen, wie sich die Einsatzeinheit Richtung Selnecker Straße zurückzieht, den verletzten Kollegen untergehakt wegziehend, noch immer hat er das Bewusstsein nicht zurückerlangt. Später wird bekannt, dass er in der Universitätsklinik Leipzig zeitnah am Ohr operiert werden musste, die Wirkung des Trittes jedenfalls ist in den Videosequenzen anzunehmen.
Der Beamte befindet sich nach wie vor im Krankenhaus. Die Staatsanwaltschaft Leipzig hat den Tatvorwurf dazu nun als „versuchten Mord“ eingestuft.
Die Informationen seitens des LKA Sachsen und der Staatsanwaltschaft vom 2. Januar 2019
Derzeit meldet das LKA Sachsen, dass „durch die Staatsanwaltschaft Leipzig und die SOKO LinX des Landeskriminalamtes … aktuell 14 Strafverfahren geführt“ werden.
Der Beamte sei „schwer verletzt und musste zur Behandlung in das Universitätsklinikum Leipzig verbracht werden, wo er stationär aufgenommen wurde. Der Beamte befindet sich auch weiterhin im Krankenhaus. Dieser Sachverhalt wurde durch die Staatsanwaltschaft Leipzig unter Berücksichtigung der bisher vorliegenden Erkenntnisse zum mutmaßlichen Tatgeschehen als versuchter Mord und gefährliche Körperverletzung bewertet.“
Die beiden anderen oben beschriebenen Beamten „wurden ebenfalls nicht unerheblich verletzt und mussten ärztlich behandelt werden.“
Im Nachgang sei es, so das LKA weiter, „an verschiedenen Orten am Connewitzer Kreuz zu weiteren Angriffen auf die eingesetzten Beamten, vor allem durch Flaschenwürfe und Entzünden von Pyrotechnik“ gekommen.
„Es wurden zwölf weitere Ermittlungsverfahren gegen jeweils eine beschuldigte Person eingeleitet und zudem ein Verfahren wegen Landfriedenbruchs.“
Dabei seien „zwei der Tatverdächtigen … am Morgen des 1. Januar 2019 wieder entlassen“ worden, „zehn weitere tatverdächtige Personen (1 x w, 25; 9 x m, 20-32) wurden vorläufig festgenommen. Nach Prüfung durch die Staatsanwaltschaft wurde entschieden, dass sechs der Beschuldigten mangels Haftgründen zu entlassen sind. Die Ermittlungen gegen diese Beschuldigten insbesondere wegen der Tatvorwürfe des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte und der versuchten gefährlichen Körperverletzung dauern an.“
Darüber hinaus hat die Staatsanwaltschaft „beim Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Leipzig gegen drei Beschuldigte (m, 29-32) jeweils den Erlass eines Haftbefehls beantragt. Tatvorwürfe sind hier wegen verschiedener Sachverhalte unter anderem der tätliche Angriff auf Vollstreckungsbeamte, versuchte und vollendete Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Gegen einen Beschuldigten (m, 27) wurde wegen des Tatvorwurfs des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte und vorsätzlicher Körperverletzung der Erlass eines Hauptverhandlungshaftbefehls zur Durchführung eines beschleunigten Verfahrens beantragt.“
Am morgigen 3. Januar 2019 soll es eine Pressekonferenz zum Einsatzgeschehen unter Beteiligung von Sachsens Innenminister Roland Wöller und Landespolizeipräsident Horst Kretzschmar geben.
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