Nachdem im vergangenen Juli eine Abschiebung an der Eisenbahnstraรe eskaliert war, hat am Montag, den 6. Januar, der Prozess gegen zwei Angeklagte begonnen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen schweren Landfriedensbruch vor. Der erste Verhandlungstag verlief weitgehend unspektakulรคr, endete jedoch mit einer รberraschung: Ein Polizeizeuge hat offenbar Verbindungen zum rechtsradikalen โImperiumโ-Kampfsportteam.
Mehr als acht Stunden waren bereits vergangen, seit am Montag, den 6. Januar, am Amtsgericht Leipzig der erste Prozess wegen der Ausschreitungen bei einer Abschiebung an der Eisenbahnstraรe begonnen hatte. Es sah nach einem eher ereignisarmen ersten Verhandlungstag aus โ geprรคgt von einer langen Pause und wenigen Zeugenvernehmungen, die jedoch viele Stunden dauerten.
Kurz vor dem absehbaren Ende dieses Tages bat Strafverteidiger Christian Mucha den letzten Zeugen โ ein junger Polizeimeister โ nach vorn, um einen Blick auf ein Foto zu werfen. Der Polizist identifizierte sich darauf selbst und nannte die Namen einiger anderer Personen. Mucha erklรคrte daraufhin, dass auf dem Foto neben einem weiteren Polizisten mehrere Mitglieder des rechtsradikalen โImperiumโ-Kampfsportteams zu sehen seien.
Wohl an Naziaktionen beteiligt
Dieses trainiert laut Recherchen des antifaschistischen โLadenschlussbรผndnissesโ seit 2017 auf dem Areal in der Kamenzer Straรe 10 und 12. Im Zweiten Weltkrieg befand sich dort ein Auรenlager fรผr Frauen des KZ Buchenwald. Mehrere Mitglieder des Teams sollen sich im Januar 2016 an den Neonaziausschreitungen in Connewitz und im Sommer 2018 an den rechtsradikalen Aufmรคrschen in Chemnitz beteiligt haben.
Ob der als Zeuge erschienene Polizist selbst zum โImperiumโ-Team gehรถrt oder zumindest wusste, mit wem er sich fotografieren lรคsst, ist nicht bekannt.
Sowohl Richter Peter Weber als auch der Vertreter der Staatsanwaltschaft zeigten wenig Interesse an dieser Enthรผllung. Hatten sie zuvor stundenlang fast kommentarlos die ausdauernden Zeugenvernehmungen der beiden Strafverteidiger hingenommen, wollten sie nun keinen Zusammenhang zum aktuellen Strafverfahren erkennen. Der Zeuge durfte den Gerichtssaal deshalb zรผgig verlassen.
Die etwa 20 verbliebenen Besucher/-innen der Verhandlung reagierten teilweise empรถrt auf das Verhalten der Staatsdiener. Richter Weber forderte die Anwesenden daraufhin erneut dazu auf, sich vollkommen ruhig zu verhalten. Schon in den Stunden zuvor hatte er mehrmals mit einem Ordnungsgeld gedroht, weil sich Besucher/-innen kurz leise unterhalten hatten oder auf eine witzige Situation mit Kichern reagierten.
Mehr als 30 Personen waren in den ersten Stunden dieses Verhandlungstages anwesend. Die linksradikale Gruppe โCopWatch LEโ hatte zuvor angekรผndigt, den Prozess beobachten zu wollen. Im vergangenen Juli hatte sich die Gruppe ausfรผhrlich mit der Eskalation wรคhrend der Abschiebung im Leipziger Osten beschรคftigt. Vor dem Gerichtssaal gab es umfangreiche Personenkontrollen. Teilweise mussten Interessierte die Schuhe ausziehen.
Angeklagte sollen Steine und Flaschen geworfen haben
Angeklagt sind zwei Personen, die in der Nacht vom 9. auf den 10. Juli 2019 nahe der Eisenbahnstraรe mit Steinen und Flaschen auf Beamte und deren Fahrzeuge geworfen haben sollen. Sie sollen dabei zwar keine Polizist/-innen getroffen haben, aber eine unbekannte Frau.
Anlass fรผr die Ausschreitungen war die Abschiebung eines Syrers. Hunderte Aktivist/-innen blockierten zunรคchst das Polizeiauto. Der Syrer wurde daraufhin in ein anderes Auto und schlieรlich zum Flughafen gebracht. Anschlieรend kam es zu massiver Gewalt. Die Polizei wurde mit Gegenstรคnden beworfen, ging ihrerseits aber auch brutal gegen Aktivist/-innen vor. Beide Seiten beklagten mehrere Verletzte. Laut Anklage betrรคgt der Sachschaden knapp 20.000 Euro.
Die beiden Angeklagten รคuรerten sich am ersten Tag nicht zu den Vorwรผrfen. Einer der beiden soll in einer frรผheren Zeugenvernehmung gesagt haben, in Deutschland bei einer Freundin zu Besuch gewesen zu sein. Er hรคtte an dem Abend erst ein Bier getrunken, dann von der Abschiebung erfahren und dort schlieรlich eine Flasche geworfen, die wohl keine Person traf.
Sein Verteidiger Mucha kritisierte diese Vernehmung scharf. Sein Mandant sei unter anderem fehlerhaft belehrt worden, weil er die Sprache kaum verstanden habe. Zudem habe er keinen Verteidiger erhalten und sei wegen Verletzungen sowie Alkohol- und Drogenkonsums nicht vernehmungsfรคhig gewesen. Fast zwei Monate musste der Angeklagte in Untersuchungshaft verbringen. Der zweite Angeklagte โ ein angeblich alleinerziehender Vater โ ist dort noch immer.
Vernehmungen dauerten bis zu zwei Stunden
Lediglich vier Zeugen, bei denen es sich ausnahmslos um Polizisten handelte, kamen an diesem Tag zu Wort. Die Vernehmungen dauerten bis zu zwei Stunden pro Person. Insbesondere die beiden Strafverteidiger stellten zahlreiche Fragen, die unter anderem Details zum Polizeieinsatz und zu mรถglichem Fehlverhalten der Beamten betrafen.
Ein solches vermutet Mucha offenbar vor allem bei jenem Polizisten, der auf dem Foto mit rechtsradikalen Kampfsportlern zu sehen ist. Dieser war direkt an der Verhaftung seines Mandanten beteiligt. Genau wie ein anderer Polizist will er gesehen haben, wie der Angeklagte eine Flasche warf.
Bislang sieht es so aus, als ob auch bei den kommenden Terminen nur Polizisten als Zeugen vernommen werden. Die Verhandlung soll am 24. Januar und am 17. Februar fortgesetzt werden.
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Protokoll einer Eskalation: Wie eine Abschiebung in einer Straรenschlacht endete + Video
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Es gibt 13 Kommentare
Dieser Kampfsportverein ist so bekannt und die Mitglieder immer wieder an rechten Aktionen beteiligt, dass ein Polizist dort bestimmt nicht โaus Versehenโ trainiert. Und der Ort ist fรผr so einen Verein garantiert auch nicht zufรคllig gewรคhlt.
Zu Saschok. Soweit wรผrde ich nicht gehen. Und ob jemand wo einfach nur gewohnt hat oder ob auf einem Areal 5000 Menschen als Zwangsarbeiterinnen untergebracht und grรถรtenteils ermordet wurden (wenn auch an anderer Stelle, wenn ich das recht verstanden habe) ist schon ein Unterschied.
Der Unterschied zwischen โWohnenโ und โZwangsarbeit und Ermordungโ sollte doch nachvollziehbar sein?
Apropos politische Hypersensibilitรคt: Also ich hab vor wenigen Jahren erst mit einem noch lebenden Zeugen des Massakers von Abtnaundorf gesprochen. Der auch sehr ausfรผhrlich erzรคhlt hat, was er als Kind dort gesehen hat. Bedeutet, die Menschen leben teilweise noch, die das (in welcher Form auch immer) miterlebt haben. Und ihre Kinder natรผrlich auch.
Also ich finde es angemessen, daher sowas zu berรผcksichtigen, allein schon um die Gefรผhle der Zeitzeugen und deren direkten Nachkommen nicht zu verletzen.
Hier der Link zum Massaker von Abtnaundorf, ist ja nicht weit weg von Schรถnefeld.
https://de.wikipedia.org/wiki/Massaker_von_Abtnaundorf
Zu J. Mit dieser Logik wรคren ja kaum Immobilien, die eine traurige Vergangenheit haben mehr vermietbar. Das Waldstraรenviertel, welches รผberwiegend jรผdisches Eigentum war, wobei die Juden dann unter den Nazis ermordet worden sind wรคre kaum noch vermietbar bei einer solchen politischen Hypersensibilitรคt. Die Argumentation ist unsinnig und weltfremd.
Zum letzten Beitrag von Saschok. Die Frage, die sich mir hier stellt, ist doch eher, wuรte dieses Kampfsportteam von der Geschichte dieses Areals, als sie dort hinzogen?
Wenn ja, und sie es vรถllig bewuรt getan haben, ist es schon sehr ekelig und wรผrde tief blicken lassen.
Wenn nein, handelt es sich bei dem Umstand eventuell um einen bizarren Zufall, dann aber stellt sich mir die Frage, warum man dann an dem Standort festhรคlt? Wenn man so schnell keine neuen Rรคume finden sollte, ist das eine Sache, aber wenn so ein Kampfsportteam nun bewuรt an diesem Areal festhรคlt, lรคsst auch dies tief blicken und deutet mindest auf Geschichtsvergessenheit und -ignoranz hin.
Und wenn Leipziger Polizisten dort mit trainieren (?) bedeutet dies, dass auch unter den Leipziger Polizisten offenbar Menschen sind, die sehr geschichtsvergessen und -ignorant sind.
Da all diese Fragen sich nicht aus dem Artikel klรคren lassen, kann man hier aber momentan auch kein Framing vorwerfen.
Nachtrag:
https://www.l-iz.de/leben/gesellschaft/2018/05/Ladenschlussbuendnis-demonstriert-mit-200-Personen-vor-Naziobjekten-in-der-Kamenzer-Strasse-216987
Ich lese in diesem Artikel, es gรคbe durchaus auch eine kleine Tafel an dem Gebรคude:
โAuf einer kleinen Tafel vor dem Gebรคude ist zu lesen, dass hier mehr als 5.000 Frauen zur Zwangsarbeit untergebracht waren. Wer nicht mehr arbeiten konnte, wurde nach Auschwitz deportiert. Die Tafel war in den vergangenen Jahren mehrmals von Unbekannten beschรคdigt beziehungsweise entfernt und zeitweise sogar durch eine NS-relativierende Tafel ersetzt worden.โ
Vielleicht ist die Tafel auch zu klein? Vielleicht sollte man diese Tafel bspw. 3ร3 Meter groร machen. Kann ja sein, dass diese Leute von diesem Kampfsportteam nicht so gute Augen haben und diese Tafel รผbersehen haben?
Vielleicht sollte die Leipziger Polizei auch mal ein paar Betriebsausflรผge in ehemalige KZ machen, mit Begleitung von Historikern, ist ja dann Fรถrderung von Allgemeinbildung und kann zum Schaden nicht sein, seinen Horizont etwas zu erweitern.
Der letzte Hinweis der Redaktion versetzt den Leser jetzt in die Lage praktisch zu erfahren was Framing ist. Dahingehend ist der Artikel mitsamt den Kommentaren wirklich vollstรคndig.
Lieber Saschok,
ich habe schon erlebt, dass wir wegen weggelassener Infos (niemand weiร alles) kritisiert wurden. Aber wegen โzu vielโ Infos noch nicht.
Machen wir es doch so: wem das relevant erscheint, der nimmt es als relevant wahr. Wem nicht, der nicht. Ist so ein Ding mit der jeweils ganz eigenen Leserperspektive (und jetzt eher nicht โtendenziรถsโ, sondern nur vollstรคndig).
LG M.F.
Und die Information, daร es sich um die Kamenzer Straรe 10 und 12 handelt, in der sich ein Auรenlager eines KZโs befand, hilft mir und sicher auch einigen wenigen anderen Lesern, einzuordnen, um welches โKampfsportzentrumโ es hier genau geht, mit dem der Zeuge in Verbindung gebracht wird. Das alles gehรถrt zu einen vollstรคndigen Bild.
Es geht um die Frage, ob ein bestimmter Zeuge Mitglied oder Sympathisant der rechten Kampfsportszene ist. Das ist nicht ganz unwichtig, um seine Aussagen in diesem Prozess zu bewerten und somit fรผr den Artikel relevant, nicht politisch tendenziรถs und unsinnig.
Mit der Logik, dass die rechte Kampfsportszene ein ehemaliges KZ nutzt und man daraus politischen Tendenzen fรผr den Prozess ableiten will, zumindest ist diese Information ja im LIZ-Artikel und von Ellen tendenziรถs genutzt worden, erklรคrte zum Beispiel dann auch, weshalb der Antifastรผtzpunkt Conne Island ein ehemaliges Ausbildungszentrum der Hitlerjugend nutzt. Beide Informationen sind politisch tendenziรถs und unsinnig.
๐
@Saschok
Wenn neonazistische Kampf-โSportlerโ Orte fรผr sich vereinnahmen, an denen Menschen im Namen des Nationalsozialismus unsรคgliches Leid erfahren mussten,
ist dieser Ort und seine Geschichte sehr wohl von Relevanz.
Und das nicht nur fรผr den Hintergrund und das Umfeld des aktuellen Polizei-Zeugen.
https://www.l-iz.de/politik/leipzig/2019/12/Leipzig-soll-rechten-Treff-in-der-Kamenzer-Strasse-schliessen-309471
Naja, und dass es in der Sรผdvorstadt eine Justitzvollzugsanstalt GAB,
und sich im Nebengebรคude die zentrale Hinrichtungsstรคtte der DDR befand,
kรถnnte man bei genug Abonnenten, sicher mal einen Artikel dazu schreiben.
Aber das wird weder โschรถnโ, noch sehe ich einen Bezug zum aktuellen Gerichtsprozess(?).
Wem dieses Thema am Herzen liegt, solange einfach bei Wikipedia lesen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Justizvollzugsanstalt_Leipzig
Und Dankeschรถn, lieber Renรฉ Loch, auch immer wieder fรผr die relevante Einordnung des Geschehens.
Sorry, ich verstehe nicht, was genau mir dieser Kommentar mitteilen soll.
Dass sich in der Kamenzer Straรe 10 und 12 ein Auรenlager eines KZโs befand, hat sehr viel mit dem Prozess zu tun, glaubt man bei der LIZ wahrscheinlich.
Dass sich in der Sรผdvorstadt eine Justitzvollzugsanstalt befinde,t ist auch keine relevante Information, kann man ja aber im nรคchsten passenden Artikel auch schรถn verwenden.