Hat eine einst erfolgreiche Oberstaatsanwältin ein Gericht bewusst angelogen und im Dienst das Recht verletzt? Vor dem Landgericht Leipzig läuft derzeit ein Strafprozess, wie man ihn nur selten erlebt. Am Dienstag kam es zu einem mit Spannung erwarteten Treffen: Der Richter, mit dem die Top-Juristin einst eng befreundet war und der dann die Ermittlungen gegen sie ins Rollen brachte, sagte als Zeuge aus.

Elke M. hätte sich wohl nie vorstellen können, dass sie einmal im Gerichtssaal auf der anderen Seite Platz nehmen müsste – als Angeklagte. Jahrelang hockten an gleicher Stelle Drogengangster oder Schutzgelderpresser, von denen sie viele hinter Gitter brachte. Doch nun sitzt sie selbst dort, verteidigt durch zwei renommierte Anwälte, die unter anderen Umständen ihre Gegenspieler wären – und ihr nun beistehen, um letztlich die eigene Reputation zu retten.

Ermittlungen gegen Dealerring wurden zum Fallstrick

Der heute 54-Jährigen, die seit Ende 1993 im Justizdienst beschäftigt war und dann die Karriereleiter bis zur Dezernatsleitung bei der Staatsanwaltschaft erklomm, wurden Fehler in einem komplexen Drogen-Fall zum Verhängnis. Mitte 2015 platzte am Landgericht das Verfahren gegen zwei Männer, die am Transport der seinerzeit legal erwerbbaren Chemikalie Chlorephedrin aus der Schweiz nach Tschechien beteiligt gewesen sein sollen. Ende 2014 hatte das BKA medienwirksam einen Rekordfund der Substanz präsentiert, aus dem Crystal im Wert von 184 Millionen Euro hätte produziert werden können.

Aber der Prozess gegen die zwei mutmaßlichen Bandenmitglieder wurde im Juni 2015 kurz nach Beginn wegen unvollständiger Akten der Staatsanwaltschaft ausgesetzt, die Männer aus der Untersuchungshaft entlassen. Verurteilt wurden sie bis heute nicht. Brisant: Richter Rüdiger Harr, der das Verfahren leitete, war mit Elke M. einst eng befreundet und reichte nun Sachaufsichtsbeschwerde gegen sie ein – in einem Ton, wie sie ihn noch nicht erlebt habe, sagt Claudia Laube, die Leiterin der Leipziger Staatsanwaltschaft.

Rüdiger Harr war es auch, der Elke M. Anfang 2016 in einem parallelen Drogenfall anzeigte. Sie habe die Ermittlungen gegen den Kronzeugen Marcus M., der in einem Hotel nahe der Autobahn bei Schkeuditz kiloweise Crystal erworben hatte, trotz fehlender Voraussetzungen heimlich eingestellt. Zudem soll sie als Zeugin vor seiner Kammer am 18. Dezember 2015 gelogen haben, indem sie behauptete, bei der Vernehmung Marcus M.s im Februar 2015 nicht dabei gewesen zu sein. Elke M. streitet die Vorwürfe dagegen ab. Das eingestellte Verfahren sei ein Missverständnis gewesen, zugleich spricht sie von nervlicher Überlastung wegen des hohen Arbeitsdrucks.

Richter: „Es ging mir darum, klare Entscheidungen zu treffen“

Rüdiger Harr (54), Vorsitzender der 8. Strafkammer am Leipziger Landgericht, bestätigte am Dienstag im Zeugenstand, dass er Elke M. seit dem gemeinsamen Referendariat in den frühen 90er Jahren kannte. „Es hat sich aus meiner Sicht ein gutes, freundschaftliches und vertrauensvolles Verhältnis entwickelt.“ In der schwierigen Anfangszeit hätten sich die jungen Neu-Juristen gegenseitig unterstützt. 2008 sei Elke M. seine Trauzeugin und 2014 Gast auf seinem fünfzigsten Geburtstag gewesen.

Später hätten sich die Freunde von einst allerdings auseinandergelebt. Elke M., die sich auf dem Gebiet der Drogenfahndung profiliert hatte, machte Karriere, doch ihr berufliches Engagement habe wenig Raum gelassen, so Harr. Der Kontakt wurde spärlicher. Ende Mai 2015 habe es die letzten Nachrichten auf WhatsApp gegeben.

Bei ihrer kurzen Zeugenvernehmung im Dezember 2015 habe Elke M. „unsicher und gestresst“ gewirkt. Wenig später seien Ungereimtheiten in den Akten aufgetaucht, und im Januar 2016 habe sich ein Polizeibeamter im Prozess erinnert, dass Elke M. bei der Vernehmung des Kronzeugen Marcus M. anwesend war – entgegen ihrer Erinnerung, nur an einem Vorgespräch teilgenommen zu haben. Daraufhin erstattete Rüdiger Harr per Schreiben an die Staatsanwaltschaft Anzeige. Nach seinem Eindruck habe Elke M. den Kronzeugen vor Strafverfolgung schützen wollen.

Die 6. Strafkammer unter Vorsitz von Richterin Anja Wald (M.) soll für Aufklärung in dem verworrenen Fall sorgen. Auch die Besetzung wurde vor Prozessbeginn geändert, da die Sorge der Befangenheit bestand. Foto: Lucas Böhme
Die 6. Strafkammer unter Vorsitz von Richterin Anja Wald (M.) soll für Aufklärung in dem verworrenen Fall sorgen. Auch die Besetzung wurde vor Prozessbeginn geändert, da die Sorge der Befangenheit bestand. Foto: Lucas Böhme

Warum er Elke M. nicht erst erneut als Zeugin geladen und direkt befragt habe, wollte Oberstaatsanwalt Eberhard Dietrich von Harr wissen. „Die Frage kann ich Ihnen so nicht beantworten. Wir haben es jedenfalls nicht getan. Wir haben keinen Anlass gesehen.“ Harr sprach mit Blick auf die Anzeige auch von einer „besonderen Situation mit den Verteidigern, die die Kammer kritisch im Blick hatten.“

Zur Sachaufsichtsbeschwerde vom Juni 2015 gegen die ehemals enge Freundin meinte er: „Es ging mir darum, klare Entscheidungen zu treffen. Es kann auch mal Entscheidungen geben, die nicht jedem gefallen. Deswegen bin ich immer noch derselbe Richter.“ An viele Details erinnerte sich Harr jedoch nicht mehr. Er habe auch keine Aufzeichnungen oder Notizen vom damaligen Prozess gefertigt.

Für Elke M. stellt sich ihr Gerichtsverfahren, dessen Zustandekommen zunächst ungewiss schien, als Tiefpunkt ihrer Laufbahn und zugleich bitteres Ende einer Freundschaft dar. Sie würdigte Rüdiger Harr keines Blickes, als sie an ihm vorbeilief. Bei einem Schuldspruch wegen Rechtsbeugung, Strafvereitelung im Amt und uneidlicher Falschaussage drohen der 54-Jährigen Haft, Entlassung aus dem Staatsdienst und der Verlust von Pensionsansprüchen. Für den Prozess sind elf weitere Termine bis Dezember angesetzt.

Oberstaatsanwältin auf Anklagebank: „Ich habe irgendwann den Überblick verloren“

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