Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in Leipzig hat am Mittwoch zwei รrzte freigesprochen, die ihre Patienten beim Sterben begleitet hatten. Die Sterbewilligen hatten die tรถdlichen Medikamentendosen selbst eingenommen. Die Staatsanwaltschaft hatte die Mediziner wegen Tรถtungsdelikten und unterlassener Hilfeleistung angeklagt. Sterbehelfer sprechen von einer โepochalenโ Entscheidung. In der รrzteschaft regt sich Kritik.
Der Bundesgerichtshof hatte am Mittwoch รผber zwei Fรคlle zu entscheiden. In dem einen litten zwei รคltere Hamburgerinnen an mehreren nicht lebensbedrohlichen, aber ihre Lebensqualitรคt und persรถnlichen Handlungsmรถglichkeiten zunehmend einschrรคnkenden Krankheiten. Sie wandten sich an einen Sterbehilfeverein, der seine Unterstรผtzung bei ihrer Selbsttรถtung von der Erstattung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens zu ihrer Einsichts- und Urteilsfรคhigkeit abhรคngig machte. Dieses erstellte der Angeklagte, ein Facharzt fรผr Neurologie und Psychiatrie.
Er hatte an der Festigkeit und Wohlerwogenheit der Suizidwรผnsche keine Zweifel. Auf Verlangen der beiden Frauen wohnte der Angeklagte der Einnahme der tรถdlich wirkenden Medikamente bei und unterlieร es auf ihren ausdrรผcklichen Wunsch, nach Eintritt ihrer Bewusstlosigkeit Rettungsmaรnahmen einzuleiten.
In dem anderen Fall hatte der Angeklagte als Hausarzt einer Patientin Zugang zu einem in hoher Dosierung tรถdlich wirkenden Medikament verschafft. Die 44-jรคhrige Berlinerin litt seit ihrer Jugend an einer nicht lebensbedrohlichen, aber starke krampfartige Schmerzen verursachenden Erkrankung und hatte den Angeklagten โ nachdem sie bereits mehrere Selbsttรถtungsversuche unternommen hatte โ um Hilfe beim Sterben gebeten. Der Angeklagte betreute die nach Einnahme des Medikaments Bewusstlose โ wie von ihr zuvor gewรผnscht โ wรคhrend ihres zweieinhalb Tage dauernden Sterbens. Hilfe zur Rettung ihres Lebens leistete er nicht.
Freier Wille im Zentrum der Entscheidung
Beide รrzte waren in den Vorinstanzen freigesprochen worden. Weil die Staatsanwaltschaft Revision einlegte, landeten die Verfahren vor dem 5. Strafsenat in Leipzig. Die Bundesrichter bestรคtigten die Freisprรผche. โEine strafrechtliche Verantwortlichkeit der Angeklagten fรผr ihre im Vorfeld geleisteten Beitrรคge zu den Suiziden hรคtte vorausgesetzt, dass die Frauen nicht in der Lage waren, einen freiverantwortlichen Selbsttรถtungswillen zu bildenโ, begrรผndeten die Richter in einer Mitteilung ihr Urteil.
Die Angeklagten seien nach Eintritt der Bewusstlosigkeit der Suizidentinnen auch nicht zur Rettung ihrer Leben verpflichtet gewesen. Der Angeklagte des Hamburger Verfahrens habe schon nicht die รคrztliche Behandlung der beiden sterbewilligen Frauen รผbernommen, was ihn zu lebensrettenden Maรnahmen hรคtte verpflichten kรถnnen. Der Angeklagte im Berliner Verfahren sei jedenfalls durch die Ausรผbung des Selbstbestimmungsrechts der spรคter Verstorbenen von der Pflicht zur Rettung des Lebens seiner Patientin entbunden gewesen. Dass die รrzte mรถglicherweise berufsrechtliche Pflichten verletzt haben kรถnnten, ist fรผr die Strafbarkeit irrelevant.
Das Urteil stieร prompt auf Kritik
โDas Urteil des Bundesgerichtshofs zum รคrztlich unterstรผtzten Suizid lรถst keine Probleme, sondern schafft neueโ, sagte Rudolf Henke. Der Vorsitzende der รrzte-Vereinigung Marburger Bund sprach in einem ersten Statement von einem evidenten Widerspruch zum รคrztlichen Berufsrecht. โWenn wir รrztinnen und รrzte in unseren Grundsรคtzen von Sterbebegleitung sprechen, meinen wir Beistand und Fรผrsorge fรผr Menschen, die den Tod vor Augen haben. Sterbebegleitung kann und darf aber keine Hilfe zur Selbsttรถtung sein. Unsere รคrztliche Aufgabe ist es, Leben zu erhalten und Leiden zu lindern. Die Mitwirkung an der Selbsttรถtung ist keine solche รคrztliche Aufgabe. Unsere Berufsordnung lรคsst daran keinen Zweifel: รrztinnen und รrzte dรผrfen keine Hilfe zur Selbsttรถtung leisten.โ
Enttรคuschung auch bei der Deutschen Stiftung fรผr Patientenschutz. โDie Entscheidung des Bundesgerichtshofs macht รผberdeutlich, wie wichtig das Verbot der geschรคftsmรครigen Fรถrderung der Selbsttรถtung istโ, erklรคrte Eugen Brysch gegenรผber der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Vor dem Bundesverfassungsgericht wurde im April รผber die Verfassungsmรครigkeit des Sterbehilfeverbots verhandelt. Eine Entscheidung wird im Laufe des Jahres erwartet.
Fรผr den Verein โSterbehilfe Deutschlandโ bedeutet die Entscheidung eine โepochale Abkehrโ von der frรผheren BGH-Rechtsprechung. Im Jahr 1984 hatte der BGH entschieden, dass der Sterbehelfer zur Lebensrettung verpflichtet ist, sobald der Suizident bewusstlos geworden sei. โMit dieser unwรผrdigen Situation ist nun Schlussโ, schreibt der Verein in einer Pressemitteilung. โSterbehelfer dรผrfen kรผnftig beim Sterbenden bleiben, weil dessen Sterbewunsch auch nach Eintritt der Bewusstlosigkeit beachtlich bleibt. Mit der heutigen Entscheidung hat der Bundesgerichtshof eine jahrzehntelange Rechtsunsicherheit beseitigt.
BGH, AZ 5 StR 132/18 und 5 StR 393/18
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Es gibt 2 Kommentare
Es ist aber nicht vereinbar mit der Bigotterie der diversen Kirchen und anderen Moralpredigern, es ist nicht vereinbar mit den Gewinnerzielungsabsichten diverser Pflegeheim- und Palliativstationenbetreiber bzw Klinik- und Heimkonzernen.
So mancher Komapatient oder vor sich hindรคmmernder Heimbewohner ist die Folge missglรผckter Suizidversuche.
Ich persรถnlich habe Hochachtung vor denen, die um die Humanitรคt ihres selbstgewรคhlten Todes kรคmpfen. Wenn sowas endlich legal wรผrde, dann brรคuchte sich niemand mehr vor den Zug werfen oder andere โspektakulรคreโ Versuche zu unternehmen, bei denen auch oft andere Menschen allein durch den Anblick zu Schaden kommen. Nur mal als Beispiel schwer traumatisierte Lokfรผhrer.
Ich versteh die Kritik nicht, was wรคre denn die Alternative? Dass sich jemand, der unbedingt sterben will, dann selbst und evtl ungewollt schmerzhaft tรถtet, oder gar mit bleibenden Schรคden รผberlebt, nur weil kein Arzt dabei sein darf? Ist es so nicht humaner und dadurch viel eher mit dem Berufsethos eines Arztes vereinbar?