Es sei bitter, aber nicht zu ändern, so der Richter: Aus seiner Sicht reichten die Beweise nicht aus, um den massiv Vorbestraften der Täterschaft zu überführen. Mehr als dreieinhalb Jahre nach dem Säure-Angriff auf die Wohnung des sächsischen Justizministers steht die juristische Bilanz bei null Verurteilungen und die Hintergründe bleiben unklar.
Über dreieinhalb Jahre nach dem nächtlichen Granitstein- und Säureangriff auf die Privatwohnung des sächsischen Justizministers Sebastian Gemkow (40, CDU) in der Südvorstadt sprach das Landgericht einen vorbestraften Hooligan aus dem Umfeld von Lok Leipzig am Donnerstag frei. Trotz einer am Tatort gefundenen DNA-Spur des Angeklagten Thomas K. (32) bestünden nach mehreren Prozesstagen zumindest vernünftige Zweifel an seiner Täterschaft, sagte der Vorsitzende Richter. In erster Instanz war der Beschuldigte 2017 noch zu einer Haftstrafe verurteilt worden, hatte dagegen aber wie die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel eingelegt.
Das isolierte Genmaterial auf einer Christbaumkugel-Packung, mit der die Buttersäure transportiert worden war, sollte sich als zentraler Zankapfel zwischen Anklage und Verteidigung erweisen. Während Staatsanwalt Andreas Ricken jedes Szenario für eine Zufallsübertragung ausschloss und auf zweieinhalb Jahre Gefängnis plädierte, griffen die beiden Verteidiger die Strafverfolgungsbehörden scharf an.
Verteidigung: „Ermittlungen nicht objektiv”
Das Plädoyer der Anklage solle ein Ergebnis rechtfertigen, das offenbar auf keiner objektiven Ermittlung basiere, kritisierte Rechtsanwalt Mario Thomas. Schließlich handele es sich bei der Verpackung um einen Allerweltsgegenstand, zudem gäbe es keinerlei weiteres Belastungsmaterial gegen seinen Mandanten. Sein Kollege Curt-Matthias Engel, der von einem „abartigen Überfall auf Gemkow und seine Familie“ sprach, legte noch einmal nach: „Sie müssen in beide Richtungen ermitteln“, so der renommierte Strafverteidiger aus Leipzig mit Seitenblick auf den Ankläger. Der eindeutige Vorwurf: Die Ermittler hätten eine mögliche Spur zu linken Tätern, die der Verfassungsschutz kurz nach dem Anschlag annahm, nicht weiter verfolgt.
Auch der Vorsitzende Richter Bernd Gicklhorn kam nicht umher, die Argumente der Verteidigung aufzugreifen. So hatte ein Fährtenhund in der Tatnacht eine Spur aufgenommen, die vom Tatort August-Bebel-Straße/Scharnhorststraße bis zu einer Haustür in die Biedermannstraße führte, wo ein als linksextrem eingestufter Mann gemeldet war. Eine Hausbegehung wurde der Hundeführerin jedoch vom Dienstgruppenleiter in der Nacht untersagt und das Alibi des Verdächtigen nicht überprüft. Eine Wohnungsdurchsuchung bei Thomas K. und dessen Freundin Mitte 2016 sowie die Beschlagnahmung von Datenträgern konnten den Tatverdacht nicht erhärten. Anwohner, die in der Tatnacht mehrere Vermummte gesehen hatten, konnten sich an keine besonders markante Gestalt erinnern, obwohl Thomas K. über zwei Meter groß und von kräftiger Statur ist.
Ein Motiv K.s, gegen den Justizminister vorzugehen, habe sich nicht herauskristallisiert, so der Richter. Das Amtsgericht war dagegen von einer Verwechslung ausgegangen: Die Täter hätten eigentlich ein in der Nachbarschaft Gemkows ansässiges Label für linke Szenekleidung attackieren wollen und sich in den Fenstern geirrt. Aus Sicht der Berufungskammer war dies aber ebenso spekulativ wie die Mutmaßung über mögliche Fußball-Rivalitäten zwischen Lok und Chemie als Tathintergrund. „Wenn man nichts weiß, muss man vorsichtig sein, welchen Schluss man zieht”, sagte Richter Gicklhorn über die Beweisführung der ersten Instanz, die Thomas K. noch schuldig gesprochen hatte.
Rätsel um DNA und PKW
Der Seitenhieb bezog sich auch auf die unklare Frage, ob die Täter womöglich in einem PKW zum Tatort gelangten. Denn im ersten Prozess saß neben Thomas K. ein Autohändler aus Nordrhein-Westfalen mit auf der Anklagebank, dessen DNA die Spurensicherung auf einem der Steine vor dem Haus gefunden hatte. Seine Erklärung: Er habe einen Wagen nach Frankreich überführt, der dann nach Leipzig zu den Tätern gelangte. Mutmaßlich wurde das Fahrzeug hier auch von einem Veranstalter rechter Kampfsport-Veranstaltungen und einem Wurzner Neonazi benutzt, mit denen Thomas K. verbunden sein soll. Das Amtsgericht hatte den Autohändler am Ende als unschuldig freigesprochen.
Warum eine DNA in einem Fall zum Freispruch und im anderen zu einer Verurteilung führte, bleibt wohl eine der vielen offenen Fragen in diesem ungewöhnlichen Fall. „Das Verfahren hat gezeigt, dass DNA-Spuren mit allergrößter Vorsicht zu genießen sind“, resümierte Richter Gicklhorn. Und an den Angeklagten gewandt: „Wir sind nicht sicher, dass Sie unschuldig sind. Aber wir haben vernünftige Zweifel. Es gilt, wie für jeden, die Unschuldsvermutung.“
Angeklagter posiert lachend nach Freispruch
Thomas K., der die Plädoyers mit stoischer Ruhe über sich ergehen ließ, legte dann aber jede Zurückhaltung ab und ließ sich an der Eingangstür zum Landgericht Arm in Arm und lachend mit seinen beiden Verteidigern von zufällig vorbeilaufenden Passanten ablichten. Ob die Erleichterung lange anhält, ist fraglich. Nicht nur, weil die Staatsanwaltschaft eine Woche Zeit hat, um Rechtsmittel einzulegen und diese Option prüfen möchte.
Denn Thomas K. soll auch beim Überfall von über 200 Hooligans auf Connewitz am 11. Januar 2016 beteiligt gewesen sein – sein Name findet sich auf der Liste der von der Polizei Festgesetzten. Der Prozess wegen Landfriedensbruchs gegen ihn steht noch aus.
Kurios: Erst vor kurzem verurteilte das Amtsgericht wegen des Angriffs auf Connewitz den 38-Jährigen Jens E. zu einer Haftstrafe. Auch er wird sich bald erneut auf der Anklagebank wiederfinden. Denn seine DNA konnte Ende letzten Jahres dem Tatort des Gemkow-Angriffs zugeordnet werden. Überraschungen in der Zukunft sind also nicht ausgeschlossen.
Säure-Anschlag auf Gemkow-Wohnung: Bricht die Anklage gegen Fußball-Hooligan zusammen?
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