Der Berufungsprozess um den Säure-Angriff auf die Wohnung des sächsischen Justizministers Sebastian Gemkow (CDU) droht zum Debakel für die Staatsanwaltschaft zu werden. Die Zweifel des Gerichts an der Täterschaft eines rechten Fußball-Hooligans wachsen. Die Verteidigung überraschte mit mehreren Beweisanträgen.
Stehen die sächsischen Strafverfolger über dreieinhalb Jahre nach dem Angriff auf die Privatwohnung des sächsischen Justizministers Sebastian Gemkow bald bei null Verurteilungen? Nachdem das Amtsgericht bereits im September 2017 einen Verdächtigen freisprach, könnte womöglich auch der zweite Angeklagte straffrei ausgehen.
„Mehr an Beweisen haben wir nicht. Was valide ist, haben wir fünfmal umgedreht“, stellte der Vorsitzende Richter Bernd Gicklhorn am Mittwoch nüchtern fest. Die Botschaft des Kommentars war klar: Es ist zweifelhaft, ob die aktuelle Beweislast für einen Schuldspruch reicht.
Am dritten Tag der Berufungsverhandlung gegen den rechten Fußball-Hooligan Thomas K. (32), der 2015 am Anschlag auf die Privatwohnung des sächsischen Justizministers Sebastian Gemkow beteiligt gewesen sein soll, sagten drei Gutachter der polizeilichen Spurensicherung aus.
Spur 16 und die mysteriöse DNA
Vor allem die DNA des massiv vorbestraften Thomas K. auf einer Verpackung für Christbaumkugeln, mit der die Säure an den Tatort gelangte, scheint als zentraler Beweis der Ermittler ins Straucheln zu geraten. Zwar vermochte Thomas K. selbst dafür keine Erklärung zu liefern. Allerdings schloss der Sachverständige des LKA Sachsen Ralf N. (49) im Zeugenstand auch eine Zufallsübertragung bei der entscheidenden Spur Nummer 16 nicht dezidiert aus. So könne menschliches Erbgut etwa durch Körperkontakt weitertransportiert werden und auch an Gegenständen haften.
Von einer solch sogenannten Sekundärübertragung war das Amtsgericht im Falle des zweiten Angeklagten im ersten Prozess noch ausgegangen. Der Autohändler aus dem nordrhein-westfälischen Meckenheim hatte seine DNA-Spur auf einem am Tatort aufgefundenen Granitstein hinterlassen, erklärte dies jedoch mit einem PKW, der kurz zuvor von ihm nach Frankreich verkauft worden und dann nach Leipzig gelangt sei. Er selbst sei noch nie in Leipzig gewesen, kenne weder Thomas K. noch den sächsischen Justizminister. Der Mann wurde auch aufgrund anderer Indizien freigesprochen, Thomas K. dagegen zu mehr als zwei Jahren Haft verurteilt.
Das könnte sich nun ändern. Das zweiköpfige Verteidigerteam überraschte dann noch mit weiteren Beweisanträgen. So soll nach dem Willen der Anwälte der sächsische Verfassungsschutz-Präsident Gordian Meyer-Plath als Zeuge aussagen, um zu belegen, dass die „Schlapphüte“ schon Anfang 2016 von einem linksextremistischen Tathintergrund ausgingen. Außerdem würden ärztliche Atteste ein Knieleiden das Angeklagten belegen, das ihm eine schnelles Wegrennen vom Tatort unmöglich gemacht habe.
Ungereimtheiten, Zweifel, Fragezeichen
Am Ende verlas der Vorsitzende die Antwort des damaligen sächsischen Innenministers Markus Ulbig (CDU) auf eine Anfrage der linken Landtagsabgeordneten Kerstin Köditz von Anfang 2016, wonach die Begehungsweise des Anschlags trotz fehlendem Bekennerschreibens auf einen linken Hintergrund der Tat deuteten. Auch ärztliche Atteste des Angeklagten kamen zur Sprache.
Indizien deuten in dem Fall durchaus auf tiefere Verwicklungen. So wurde der Mercedes, mit dem die DNA des Autoverkäufers im ersten Prozess nach Leipzig gelangt sein soll, mutmaßlich auch von einem Wurzner Kampfsportler aus dem Freundeskreis von Thomas K. genutzt. Den Verdacht nährt ein Blitzerfoto des Wagens von 2015, dessen Fahrer auf dem Bild eine gewisse Ähnlichkeit mit Benjamin B. aufweisen soll, einem bekannten Protagonisten der Freefighter-Szene. Auch der Name eines Veranstalters von Kampfsport-Veranstaltungen fiel in diesem Zusammenhang.
Einen Antrag des Staatsanwalts zur Vernehmung beider Männer stellte Richter Gicklhorn jedoch vorerst zurück, ebenso die Beweisanträge der Verteidigung. Einen Vorstoß, noch am Mittwoch ein Urteil zu sprechen, lehnte der Anklagevertreter wiederum ab – er will noch eine weitere Zeugin vernehmen, die bislang nicht befragt wurde und die nächtlichen Angreifer vor Gemkows Wohnung als Autonome erkannt haben will.
Der Richter übte heftige Kritik an den Anklägern für die späte Benennung der neuen Zeugin, musste jedoch unwillig zustimmen.
Manches spricht momentan dafür, dass die Staatsanwaltschaft, die womöglich in Kürze ihren zweiten Angeklagten in einem brisanten Verfahren verliert, nun auf Zeit spielt. Dass es im Prozess noch eine Wende geben wird, scheint unwahrscheinlich. So wurde auch eine durch einen Fährtenhund aufgenommene Spur, die zu einem vorbestraften Mann in die Connewitzer Biedermannstraße führt, offenbar von den Ermittlern nie weiter verfolgt. Das Alibi des Mannes, der in der Tatnacht im Westwerk gewesen sein will, sei nicht geprüft worden, kritisieren die Verteidiger.
Voraussichtlich am 4. Juli wird das Landgericht sein Urteil sprechen. Unabhängig davon steht Thomas K. bald ein neuer Prozess wegen Landfriedensbruchs bevor, denn der umtriebige Hooligan soll auch beim Überfall auf Connewitz am 11. Januar 2016 dabei gewesen sein.
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