Natรผrlich ging es bei der ausufernden und am Ende sich als so vรถllig sinnlos erweisenden Kommunikationsรผberwachung im Umfeld von Chemie Leipzig nie wirklich um eine kriminelle Vereinigung im Sinn des Strafgesetzbuches. Auch wenn der viel kritisierte ยง 129 genau so etwas scheinbar zulรคsst: Die Strafermittler, die bei der Ausermittlung einiger durchaus nicht harmloser Straftaten nicht weiterkommen, nutzen diesen Schwamm-Paragraphen einfach โ€“ und scheitern trotzdem. Aber worum ging es tatsรคchlich? Valentin Lippmann hat nachgefragt.

Und er hat ausfรผhrliche Antwort von Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) bekommen. Und es ist wie beim ersten รœberwachungsskandal, der dann von der Staatsanwaltschaft eingestellt werden musste: Man konnte partout keine Spuren fรผr eine kriminelle Vereinigung finden.

โ€žUnter einer kriminellen Vereinigung im Sinne der Vorschrift versteht man einen auf Dauer angelegten Zusammenschluss von mindestens drei Personen, dessen Zweck oder Tรคtigkeit darauf gerichtet ist, Straftaten zu begehenโ€œ, kann man dazu auf Wikipedia lesen. Das wichtigste ist die angenommene Gefahr fรผr die รถffentliche Ordnung und Sicherheit, verbunden mit der verabredeten Absicht, Straftaten zu begehen.

So wie der Paragraph formuliert ist, ist er dehnbar wie Kaugummi.

Der erste Satz lautet: โ€žMit Freiheitsstrafe bis zu fรผnf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Vereinigung grรผndet oder sich an einer Vereinigung als Mitglied beteiligt, deren Zweck oder Tรคtigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im HรถchstmaรŸ mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind. Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine solche Vereinigung unterstรผtzt oder fรผr sie um Mitglieder oder Unterstรผtzer wirbt.โ€œ

Wie Sachsens Ermittler das auslegen, klingt dann in der Antwort von Sebastian Gemkow so: โ€žZur Klarstellung ist ergรคnzend darauf hinzuweisen, dass ein Anfangsverdacht fรผr eine Strafbarkeit nach ยง 129 StGB gerade nicht voraussetzt, dass bereits Straftaten begangen oder zumindest konkret geplant sind. Entscheidend ist, dass Zweck und Ziel der Vereinigung darauf gerichtet sind, mit einem durch die Organisationsstruktur gewรคhrleisteten Gesamtwillen Straftaten zu begehen.โ€œ

Nein, so formuliert es das Gesetz nun gerade nicht. So extra-schwammig.

Da steht nichts von einem Gesamtwillen oder gar einer besonderen Organisationsstruktur.

Wer denkt sich in Sachsen nur so etwas aus?

Dort steht eindeutig, dass der Grรผndungszweck der Vereinigung zรคhlt, nichts anderes: โ€žderen Zweck oder Tรคtigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet istโ€œ. So wie bei der Rote Armee Fraktion (RAF), so wie beim Terrortrio โ€žNSUโ€œ, so wie bei der rechtsextremen Gruppe โ€žFreitalโ€œ: Leute haben sich hier zusammengetan, um gemeinsam Straftaten zu begehen.

Schon bei der ersten รœberwachungsaffรคre konnten die Ermittler diesen Verdacht auch bei ausgreifender Kommunikationsรผberwachung nicht bestรคtigen. Auch die dabei mitgefischten Rechtsanwรคlte, Betreuer, ร„rzte und Journalisten entpuppten sich in keiner Weise als Strippenzieher oder Mitverschworene in einer Vereinigung, die Straftaten plante.

Und beim zweiten Versuch (eigentlich dem dritten, wenn man genauer hinschaut), die Fan-Gruppierung โ€žUltra Youthโ€œ bei Chemie Leipzig dazu zu stilisieren, ist man auch gescheitert.

Auch wenn reale Straftaten am Anfang durchaus ermittlungsrelevant waren.

Waren im ersten Verfahren diverse Straftaten vom 23. Mรคrz 2012 bis Januar 2013 der Anlass, die Ermittlungsmethoden derart auszuweiten, so waren es im jetzt eingestellten Verfahren Straftaten aus dem Jahr 2014, die die Ermittler einer Tรคtergruppe zuzuordnen versuchten. Dabei ging es jedes Mal um Taten aus dem Fan-Umfeld von Chemie Leipzig โ€“ vor allem diverse gewalttรคtige รœbergriffe auf andere Fan-Szenen, insbesondere die von Lok Leipzig. Wobei einige der Vorfรคlle auch politisch konnotiert waren.

Das klingt dann zum Beispiel so: โ€žDurch eine unbestimmte Zahl schwarz gekleideter und vermummter Personen, die der Anhรคngerschaft der BSG Chemie Leipzig zuzurechnen sind und zu denen auch mindestens ein mutmaรŸlicher Anhรคnger der Gruppierung ,Ultra Youthโ€˜ gehรถrte, wurden in der Vorspielphase des Landespokalspiels SG LVB Leipzig gegen 1. FC Lokomotive Leipzig am 16. August 2014 an mindestens zwei Tatorten, unter anderem auf der Kurt-Eisner-StraรŸe in Leipzig, Anhรคnger des 1. FC Lokomotive Leipzig angegriffen und verletzt. Zudem kam es zu Sachbeschรคdigungen.โ€œ

Man hat es also in fast allen Fรคllen mit Gewaltattacken im gewaltbereiten FuรŸball-Fan-Milieu zu tun. Und es darf durchaus bezweifelt werden, ob Richter der Vermutung folgen wรผrden, die hier aktive Fan-Gruppierung sei extra dazu gegrรผndet worden, um gemeinsam Straftaten zu begehen. Das wird dem Problem garantiert nicht gerecht, auch und gerade weil es solche Ultra-Fan-Gruppierungen lรคngst bei fast allen FuรŸballvereinen gibt. Sie sind Sammelbecken fรผr FuรŸballanhรคnger, die nach wie vor in der Fan-Szene auch den gewalttรคtigen Kick suchen und dabei insbesondere die Anhรคnger โ€žverfeindeterโ€œ FuรŸballclubs aufs Korn nehmen.

Das ist ein besonderes Phรคnomen, das die Polizei auch mit der Arbeit an lauter Fรคllen zudeckt, bei denen die Ermittler nicht wirklich weiterkommen. Denn auf wirkliche Kooperation in diesem Milieu kรถnnen sie ja nicht rechnen.

Und auch die รœberfallenen sind oft nicht bereit, mit der Polizei wirklich zu reden, so wie bei einem Vorfall am 30. Mรคrz 2014: โ€žDurch ca. 15 Personen, die der Anhรคngerschaft der BSG Chemie Leipzig zuzuordnen sind, wurden am 30. Mรคrz 2014 gegen 04:00 Uhr am Connewitzer Kreuz in Leipzig drei Personen gemeinschaftlich angegriffen und geschlagen. Die Geschรคdigten wurden verletzt. Eine รคrztliche Begutachtung wurde von allen Geschรคdigten, welche Fans des 1. FC Lokomotive Leipzig sind, aber abgelehnt. Zwei angeklagte mutmaรŸliche Mitglieder der Gruppierung โ€šUltra Youthึฅ wurden am 13. Juni 2016 durch das Amtsgericht freigesprochen.โ€œ

Einige der Beschuldigten gerieten auch in anderen Ermittlungsverfahren in den Fokus der Ermittler โ€“ so auch im Verfahren um die โ€žAntifa-Sportgruppeโ€œ.

Aber ganz augenscheinlich eignet sich die Konstruktion โ€žkriminelle Vereinigungโ€œ nicht wirklich, um selbst die gewaltaffine FuรŸball-Fan-Szene zu erfassen. Aber irgendwie klingt Gemkows Antwort danach, als wรผrde man die Daten aus der Kommunikationsรผberwachung zumindest gegen die Hauptbeschuldigten weiter nutzen und eben nicht lรถschen.

Gemkow: โ€žAndererseits werden die durch die TelekommunikationsรผberwachungsmaรŸnahmen erlangten personenbezogenen Daten gemรครŸ ยง 101 Absatz 8 StPO gelรถscht, sobald sie nicht mehr zur Strafverfolgung oder fรผr eine etwaige gerichtliche รœberprรผfung der MaรŸnahme erforderlich sind. Aus diesem Grund dรผrfte der weit รผberwiegende Teil der Drittbetroffenen in den Akten zu abgeschlossenen Ermittlungsverfahren nicht mehr recherchierbar sein.โ€œ

Der Rest scheint die Strafverfolgungsbehรถrden dann doch zu interessieren.

Justizminister hat der Landtagsabgeordneten Juliane Nagel jetzt zum รœberwachungsskandal geantwortet

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