Die Veröffentlichung des Haftbefehls gegen einen der Männer, die in der Nacht zu Sonntag am Rande des Chemnitzer Stadtfests den Deutsch-Kubaner Daniel H. (35) getötet haben sollen, schlug hohe Wellen. Das Dokument war zuerst auf Social-Media-Kanälen der Wählervereinigung „Pro Chemnitz“ erschienen. Am Donnerstag gestand der Dresdner Justizvollzugsbeamte Daniel Z. (39), den Haftbefehl fotografiert und weitergegeben zu haben.
Bis gestern stand Daniel Z. mit beiden Beinen fest im Leben. Als Beamter hatte er ein festes Einkommen und einen krisenfesten Job. Nun drohen dem JVA-Aufseher wegen Verrats von Dienstgeheimnissen nicht nur bis zu fünf Jahren Haft. Der Mann hätte schon bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ab einem Jahr die sichere Kündigung in der Tasche. Außerdem verlöre er sämtliche Pensionsansprüche. So sieht es das deutsche Beamtenrecht vor. Warum der Justizbeamte die rosige Lebensperspektive für die Veröffentlichung eines Haftbefehls hinschmiss, dessen Inhalt früher oder später ohnehin öffentlich publik gewesen wäre, ist ein Rätsel.
Über seinen Verteidiger, den Dresdner Rechtsanwalt Frank Hannig (zu einer Geschichte von corrective.org), veröffentlichte er am Donnerstag eine persönliche Erklärung, nachdem diverse Objektuntersuchungen seit Dienstag die Ermittler bereits zu seiner Arbeitsstätte in die JVA Dresden und seine Nähe geführt hatten. Dem Schreiben nach sei es ihm um Transparenz gegangen. „Mir war dabei klar, dass ich damit Dienstpflichten verletze und ich habe auch gewusst, dass ich dadurch mit hoher Wahrscheinlichkeit meinen Job verlieren werde“, schreibt Z.
„Ich möchte, dass die Öffentlichkeit weiß, was geschehen ist. Ich möchte, dass die Spekulationen über einen möglichen Tatablauf ein Ende haben und ich möchte, dass die Medien nicht mehr die Hoheit haben, den tatsächlichen Tatablauf infrage zu stellen, zu manipulieren oder auf einen ihnen jeweils genehme Art und Weise zu verdrehen. Ich möchte, dass die gesamte Öffentlichkeit ausschließlich die zum heutigen Zeitpunkt bekannten harten Fakten kennt.“
Der Haftbefehl lieferte allerdings zum Tathergang keine Informationen, die nicht schon durch die Staatsanwaltschaft bis Montagabend mitgeteilt worden waren. Entgegen der implizierten Medienschelte des Beamten hatten vor allem rechtsextreme Medien und Facebookseiten die Spekulationen befeuert und allerlei Unwahrheiten in die Welt gesetzt, um Hass auf Asylsuchende allgemein zu schüren. Den Haftbefehl benutzten die Rechten, um den Hass weiter anzuheizen.
Insbesondere der Umstand, dass der Beschuldigte erheblich vorbestraft sei, schlachten sie nach Bekanntwerden des Dokumentes genüsslich aus.
Die Erklärung lässt zwischen den Zeilen anklingen, genau dies könne von Daniel Z. intendiert gewesen sein. „Ich bin als Justizvollzugsbeamter tagtäglich im Brennpunkt eines Geschehens, das es in unserem Land vor einigen Jahren in dieser Intensität und Weise nicht gegeben hat“, schreibt er.
„Trotzdem beobachte ich jeden Tag, dass die meisten Menschen über die Veränderungen in unserem Land belogen werden oder die Wahrheit nicht wahrhaben wollen. Zumindest im Hinblick auf den Totschlag oder Mord von Chemnitz wollte ich aber nicht mehr Teil dieser schweigenden Masse sein, sondern dafür sorgen, dass die Wahrheit, und ausschließlich die Wahrheit ans Tageslicht kommt.“
Warum er den Haftbefehl “Pro Chemnitz” zuspielte, verrät er nicht. Die Initiative war an der Organisation der fremdenfeindlichen Proteste zu Wochenbeginn beteiligt und hatte nach einer kurzzeitigen, ebenfalls rechtswidrigen Veröffentlichung des Dokumentes dieses wieder gelöscht. Auch hierin ermitteln nun die Behörden.
Worum es bei Haftbefehlen geht …
Die Ermittlung der Wahrheit ist in Strafverfahren allerdings Sache der Staatsanwaltschaft, Verteidiger und der Gerichte, nicht die eines Justizvollzugsbeamten. Haftbefehle beruhen nicht selten auf vorläufigen Thesen, erste Ermittlungsergebnisse und Mutmaßungen, die durch lose Fakten-Fragmente gestützt werden. Im Falle des Hauptverdächtigen Yousif A. ist der Geist somit aus der Flasche, Spiegel Online berichtet am heutigen Freitag jedenfalls bereits über die Art seiner Vorstrafen, einen mutmaßlichen Suizidversuch und den Hergang seines bislang abgelehnten Asylverfahrens.
Veröffentlichung und Verbreitung von Haftbefehlen selbst stehen vor allem unter Strafe, da die von der Polizei und Staatsanwaltschaft zusammengetragenen Vorwürfe noch nicht Gegenstand der Gerichtsverhandlung waren oder das Verfahren bei anderslautenden Ermittlungen in der Folge eingestellt wurde. Insbesondere aber, um die weiteren Ermittlungen nicht zu gefährden, welche belastende oder entlastende Indizien erbringen können. Eine gesetzliche Regelegung, welche demnach eine öffentliche Vorverurteilungen ebenso vermeiden soll, wie sie einen geordneten Prozessverlauf sicherstellen soll.
Ob der Beamte also nicht letztlich sogar zum Vorteil des derzeit Beschuldigten gehandelt hat, ist derzeit unklar.
Daniel Z. wurde in der Folge im ersten Schritt noch am Donnerstag vorläufig vom Dienst suspendiert und hofft nun auf ein faires Verfahren. In der Folge äußerte sich bereits Sachsen Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) zum Verhalten des Beamten: „Die Weitergabe von vertraulichen Dokumenten eines Strafverfahrens ist verantwortungslos und stellt einen schwerwiegenden Vorwurf dar. Die Staatsanwaltschaft Dresden hat seit gestern umfangreiche Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt, sodass ich davon ausgehe, dass der Fahndungsdruck auf den betroffenen Bediensteten derart hoch war, dass er sich jetzt stellte“, so Gemkow.
„Wir können es in keiner Weise dulden, wenn ein Bediensteter so etwas tut und werden konsequent dagegen vorgehen. Das sind wir auch der übergroßen Zahl der Bediensteten schuldig, die jeden Tag unter aktuell schwierigen Bedingungen loyal und rechtstreu arbeiten.“
Nach dem “Hutbürger”-Skandal um den mittlerweile auf eine polizeifernere Tätigkeit abgeordneten LKA-Angestellten, welcher am Rande einer Pegida-Anti-Merkel-Demo in Dresden ein ZDF-Fernsehteam verbal attackiert hatte, bereits der zweite Fall von mangelnder Kenntnis grund- und strafgesetzlicher Regeln eines vom Freistaat bezahlten Mitarbeiters, hier gar im Beamtenstatus. In dem bereits im Netz kursierenden Geständnis von Daniel Z. zur Weitergabe des Haftbefehls formuliert er neben seinem vorgeblichen Wunsch der Wahrheitsfindung: “Mir war allerdings nicht klar, dass ich mich mit dem Veröffentlichen dieses Dokumentes möglicherweise auch strafbar gemacht habe.”
Nach den Forderungen, Polizeibeamte im Nachgang an die “Hutbürger”-Affäre endlich deutlich besser in den Bereichen Presserecht zu schulen, stellt sich diese Frage nun offenbar auch im sächsischen Justizvollzugssystem, wenn es um simpelste Rechtsnormen im Rahmen von Strafermittlungen geht.
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