Am Samstag, 7. Juli, teilte das Rechtshilfekollektiv Chemie Leipzig mit, dass nun auch das zweite Ermittlungsverfahren „wegen der Bildung Krimineller Vereinigungen“ gegen mehrere Anhänger der BSG Chemie eingestellt wurde. Und zwar nach Paragraph 170 der Strafprozessordnung: Es gab keinen nachvollziehbaren „Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage“. Die Staatsanwaltschaft musste das Verfahren einstellen. Die Betroffenen wurden benachrichtigt. Aber das ist der Leipziger Landtagsabgeordneten Juliane Nagel (Die Linke) zu wenig.

Das Rechtshilfekollektiv Chemie Leipzig hatte am Samstag bekanntgemacht, dass das Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bildung krimineller Vereinigungen (§ 129 StGB) gegen mindestens 20 Menschen, die Ultra-Gruppierungen beim Verein BSG Chemie Leipzig zugerechnet werden, im Juni eingestellt wurde. Das Verfahren, das von der Generalstaatsanwaltschaft Dresden unter dem Aktenzeichen Az 370 Js 108/15 geführt wurde, lief vermutlich fast drei Jahre.

Schon 2016 war ein solches Verfahren nach drei Jahren eingestellt worden, das sich gegen 14 Personen gerichtet hatte – darunter auch einen Fansozialarbeiter des offiziellen Fanprojektes in Leipzig. Im Zuge der Aufarbeitung dieses Verfahrens kam zum Vorschein, dass auch zahlreiche Berufsgeheimnisträger wie Rechtsanwältinnen und -anwälte, Journalistinnen und Journalisten sowie Ärztinnen und Ärzte von den umfassenden Überwachungsmaßnahmen betroffen waren.

Die Leipziger Landtagsabgeordnete Juliane Nagel hat kürzlich eine Kleine Anfrage (Drucksache 6/13957) eingereicht, mit der sie die Dimensionen und Grundlagen des neuerlichen Ermittlungsverfahrens gegen linke Fußballfans in Erfahrung bringen will. Als sie die Anfrage am 30. Juni einreichte, wusste sie noch nichts von der Verfahrenseinstellung in Leipzig.

Aber schon das vorhergehende Verfahren hatte ja gezeigt, dass die sächsische Staatsanwaltschaft nur zu leicht bereit ist, die volle Breite der Abhörmaßnahmen einzuleiten, wenn sie auch nur die Vermutung hat, im linken Fußballmilieu könnten sich Gruppen bilden, die sich gleich noch für gemeinsame Straftaten verabreden. Diese Verdachtsbasis ermöglicht der viel kritisierte Paragraph 129 der Strafprozessordnung.

„Es ist skandalös, wie lax die sächsischen Ermittlungsbehörden ein weiteres Mal den Tatvorwurf der Bildung krimineller Vereinigungen gebraucht haben. Dass nun scheinbar einer Ultra-Gruppierung unterstellt wurde, konzertiert Straftaten geplant und durchgeführt zu haben, stellt wiederum eine neue Qualität in Sachen Kriminalisierungswut des sächsischen Staates dar“, kommentiert Juliane Nagel nun diesen zweiten Versuch, irgendwie mit umfassenden Abhörmaßnahmen im Umfeld des BSG Chemie fündig zu werden. Doch wie beim ersten Mal fand sich kein Fakt, der den anwaltlichen Verdacht bestätigte.

§ 129 Strafgesetzbuch ermächtigt die Behörden, weitreichende Überwachungsmaßnahmen (Telekommunikationsüberwachung, Observation, Erhebung von Verkehrsdaten, technische Ermittlung bei Mobilfunkendgeräten etc.) vorzunehmen und das auf einer – auch in diesem Fall – dünnen Indizienbasis.

„Deshalb wird der § 129 zu Recht als ‚Schnüffelparagraph‘ bezeichnet“, sagt Juliane Nagel. „Es kann mit Fug und Recht behauptet werden, dass es hier wie beim Vorgängerverfahren vor allem darum ging, Menschen und Strukturen auszuspionieren, die einer linken Szene zugerechnet werden. Getroffen hat es wiederum auch Teile der Fußballfanszene und zahlreiche Dritte, die nun per Schreiben über die Abhörmaßnahmen informiert werden.“

Aber wieder einmal fehlen jegliche Informationen, die das wirkliche Ausmaß dieser neuerlichen Abhöraktion sichtbar machen.

„Wie weit das Verfahren reichte, ist noch unklar. Klar ist nur, dass es im Sande verlief, auf Kosten der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen“, sagt die Landtagsabgeordnete. „Wir werden alles daran setzen, seine Dimension öffentlich zu machen. Die Staatsregierung und die Justiz müssen ihrer Aufsichtspflicht gegenüber den Behörden endlich nachkommen, damit solche Willkür nicht wieder vorkommt!“

Debatte rings um das neue Polizeigesetz und Überwachung in Sachsen mit Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU, links) am 14. Juni 2018

Video von der Fragerunde bei der SPD-Veranstaltung “GesprächsMitte” vom 14. Juni 2018 in Leipzig. Vlnr. Roland Wöller (CDU), Dirk Panter (MdL, SPD) und Heiko Oswald (Stadtrat Leipzig, SPD). Thema Überwachung der BSG Chemie ab Minute 25:50. Video: L-IZ.de

Auch das zweite Verfahren im Umfeld von Chemie Leipzig wegen Bildung einer Kriminellen Vereinigung wurde eingestellt

Auch das zweite Verfahren im Umfeld von Chemie Leipzig wegen Bildung einer Kriminellen Vereinigung wurde eingestellt

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