Fragen, fragen, fragen. Anders kommt man nicht zu Zahlen. Und anders entsteht auch kein Bild von den rechtsradikalen Straftaten in Sachsen. Deswegen ist Kerstin Köditz, Sprecherin für antifaschistische Politik der Linksfraktion im Landtag, so hinterher, die Zahlen bei der Staatsregierung abzufragen. Dabei wird sogar ein Effekt sichtbar, der sehr viel mit der medialen Hysterie zu tun hat.
Im vergangenen Jahr wurden sachsenweit 2.144 rechtsmotivierte Straftaten begangen. Das ergibt sich aus Zahlen des Innenministeriums, die Kerstin Köditz regelmäßig abfragt und auswertet.
„Das Fallaufkommen ist damit gegenüber dem Vorjahr zwar um rund acht Prozent gesunken – liegt im langfristigen Vergleich aber nach wie vor auf einem außerordentlich hohen Niveau“, stellt Köditz zu den Zahlen fest.
Was man ergänzen muss. Denn bis 2014 war die Zahl der rechtsmotivierten Delikte in Sachsen mit 1.600 bis 1.700 registrierten Fällen zwar auch schon hoch und zeugte davon, dass etliche rechtsradikale Gruppierungen sich in einigen Regionen ungestört austoben konnten.
Aber als die Bundesrepublik 2015 begann, syrische Flüchtlinge in großem Stil aufzunehmen, nutzten die rechtsradikalen Netzwerke die Lage, um auf allen Kanälen die Stimmung anzuheizen. Auch in den „social media“, deren Funktionsweise viele Politiker und Medienschaffende bis heute nicht begriffen haben. Sie redeten selbst dann noch von „besorgten Bürgern“, wenn die Kampagnenmacher eindeutig dem rechtsradikalen Spektrum zuzuordnen waren. Und in einigen Regionen gewannen diese Stimmungsmacher schnell die Deutungshoheit, weil sich nicht nur verschreckte Bürgermeister wegduckten, sondern eine ganze Landesregierung. Und weil die lokalen Zeitungen immer noch im „besorgte Bürger“-Ton berichteten, weil augenscheinlich auch die ermittelnde Polizei nichts Böses argwöhnte, wenn es immer mehr Angriffe auf geplante Asylbewerberunterkünfte gab.
Dass dahinter organisierte Netzwerke wie die „Gruppe Freital“ steckten, wollte man viel zu lange nicht wahrnehmen. Da brauchte es erst ein deutliches Signal von der Bundesstaatsanwaltschaft. Mittlerweile sind die Mitglieder dieser gewalttätigen Gruppe zu hohen Haftstrafen verurteilt worden.
Was nicht heißt, dass die Stimmungsmacher der radikalen Rechten nicht weitermachen und keine Gelegenheit auslassen, die Stimmungshoheit zurückzugewinnen. Und das nicht nur mit Worten im Internet, sondern auch mit Straftaten im öffentlichen Raum.
2015 war mit 2.415 dieser Straftaten eindeutig das Jahr der größten Hysterie und der größten „Erfolge“ für die Stimmungsmacher von rechts. 2016 sank die Zahl der registrierten Straftaten dann wieder leicht auf 2.330. Und 2017 schlugen nun 2.144 rechtsmotivierte Straftaten zu Buche. Was immer noch deutlich mehr ist als 2014. Und was eben auch heißt, dass die radikalen Rechten nach wie vor diejenigen sind, die aus der Flüchtlingspolitik und der zunehmenden Sprachlosigkeit der Gesellschaft ihre Früchte ziehen wollen. Und zwar genau so, wie es der Vordenker der Neuen Rechten, Götz Kubitschek, im Zusammenhang mit der Dresdner Diskussion von Uwe Tellkamp und Durs Grünbein sagte: Er will die Spaltung der Gesellschaft noch weiter vertiefen und die Risse verstärken. Denn rechtsradikale Rezepte funktionieren erst richtig, wenn eine Gesellschaft in ihre Extreme zerfällt und radikale Meinungen den Diskurs beherrschen.
Also zeigen die radikalen Rechten in Sachsen weiter „Flagge“ und versuchen zu suggerieren, dass sie viele und überall präsent sind.
„Nach absoluten Fallzahlen sind die Städte Dresden (323) und Leipzig (222) obenauf, es folgt der Kreis Bautzen (204)“, sagt Köditz zur regionalen Aufschlüsselung der Straftaten. „Mehr als ein Drittel aller Taten wurde allein in diesen drei Regionen begangen. Bezogen auf die Zahl der Einwohner*innen ist die Fallhäufigkeit in Chemnitz (78 Taten pro 100.000 Einwohner*innen), Bautzen und Nordsachsen (je 67) außergewöhnlich hoch.“
Positiv wertet sie hingegen, dass im Vergleich mit den Vorjahren vor allem in der Sächsischen Schweiz-Osterzgebirge eine deutliche Entspannung eingetreten zu sein scheint.
„Die Zahlen des Innenministeriums zeigen aber auch, wie sich neue Hochburgen herausbilden. So hat in den Kreisen Bautzen und Görlitz, der Stadt Chemnitz und vor allem dem Landkreis Leipzig die Fallhäufigkeit deutlich zugenommen“, stellt Köditz fest. Die Berichte aus Wurzen, wo eine kleine, in der ganzen Region vernetzte Gruppe dafür sorgt, dass hier die Konflikte geschürt werden, zeigen, wie schnell eine Stadt zum Hotspot der Rechtsradikalen werden kann. Dann klingt das selbst in Polizeiberichten so, als wären nur ein paar Jugendliche deutscher Herkunft mit ein paar jungen Männern aus der Asylunterkunft aneinandergeraten – aber tatsächlich waren diese Konflikte regelrecht inszeniert. Hier wollten die gewaltbereiten Rechten aus der Region ihre Duftmarke setzen. Das ist ihnen sichtlich gelungen.
„Bei allen Taten wurden mindesten 72 Menschen verletzt, zwei davon schwer“, stellt Köditz noch fest. „Die meisten Angriffe richten sich gegen ausländische Personen – häufigstes Tatmotiv ist Fremdenfeindlichkeit. Außerdem wurden sieben Taten als Brandanschläge bewertet. Davon richteten sich vier gegen Asyleinrichtungen in Wurzen, Waldheim, Plauen und Meißen, zwei gegen Pkw in Chemnitz und Leipzig sowie einer gegen ein Parteibüro in Dresden.“
Und ihre Erwartungen an den seit Dezember amtierenden Innenminister sind hoch. Von dessen Amtsvorgänger war Köditz zu Recht tief enttäuscht.
„Jetzt ist Innenminister Wöller gefragt. Es genügt nicht, Zahlen zu erheben – man muss daraus auch Schlüsse ziehen und endlich gegensteuern, vor allem in Regionen, in denen sich die rechte Kriminalität ballt“, sagt Kerstin Köditz. „Bisher hat Wöller dazu gar nichts vorgelegt.“
Extreme Rechte in Sachsen wird immer aggressiver und krimineller
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