Das Derby vom 22. November 2017 hat für beide Leipziger Vereine ein langes Nachspiel. Bei der BSG Chemie geht man bereits gegen das Urteil des Nordostdeutschen Fußballverbandes (NOFV) vom 22. Januar 2018 juristisch vor. Während Lokomotive Leipzig vor allem wegen eines angesägten Zaunes und einem Übergriffversuch auf den gegnerischen Block im Bruno-Plache-Stadion zu einer Geldstrafe von 12.000 Euro verurteilt wurde, mussten die Chemiker wegen „unsportlichen Verhaltens seiner Anhänger in drei Fällen“ eine 10.000-Euro-Strafe entgegennehmen. Neben weiteren Ermittlungen waren zudem die Polizei und die Staatsanwaltschaft Leipzig mit den antisemitischen Rufen während des mehrfach unterbrochenen Spiels beschäftigt.
Leicht gemacht haben es sich die Beamten der Polizeidirektion sicher nicht. Neben dem eigenen Film-Material späterer Szenen an diesem 22. November 2017 haben die Ermittler auch die Liveübertragung des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) gesichtet und die „Stelle in der MDR-Liveübertragung (ab 29. Spielminute/Link siehe unten) durch die Kriminalpolizei“ ausgewertet. Dies teilte Polizeisprecher Uwe Voigt der L-IZ.de auf Nachfrage mit.
Und die Ermittler räumen ein, dass gerade das MDR-Material Rufe hören lasse, die seitens einiger Lok-Anhänger Schmähungen antisemitischen Ursprungs darstellen dürften. Voigt weiter: „Während der Livemoderation im Hintergrund ist hörbar, wie zweimal gerufen wird `Zigeuner, Juden, Ultras Chemie`.“ Ein weiteres Wort wie „`Türken`, ist für die Sachbearbeiter nicht verständlich zu hören“, so Voigt. Der genaue Ort der Rufenden auf Lok-Seite im Stadion sei nicht lokalisierbar gewesen, doch die Rufe gab es – auch später noch einmal im Verlauf des Spieles.
Um Ermittlungen von Amts wegen einleiten zu können, haben die Beamten zudem bei der Staatsanwaltschaft Leipzig um Einschätzung der Strafwürdigkeit der Rufe gebeten und erhalten. Das Fazit seitens Staatsanwalt Tobias Merkel: „Die einfachen aneinandergereihten Ausrufe `Türken, Zigeuner, Juden, Ultras Chemie` erfüllen nicht die geforderten Vorrausetzungen eines Straftatbestandes.“, so die Polizei abschließend.
Während die strafrechtliche Verfolgung zu weiteren Straftaten am 22. November 2017 noch läuft, dürfte dieser Vorgang damit irritierend schnell abgeschlossen sein.
Widerspruch seitens BSG Chemie läuft
Zum Urteil des Nordostdeutschen Fußballverbandes (NOFV) hingegen teilte der Vorstand der BSG Chemie am 6. Februar mit: „Die BSG Chemie Leipzig hat gegen das Urteil des NOFV bezüglich der Ereignisse beim `Derby` Lokomotive Leipzig gegen BSG Chemie Leipzig am 22. November 2017 nach juristischer Prüfung fristgerecht Berufung eingelegt und begründet.“ Um eine Minderung des Strafmaßes zu erreichen, führt der Verein unter anderem an, dass die „Verhältnismäßigkeit und Höhe der Strafen des NOFV-Gerichts, vor allem in Hinsicht auf die realen Ereignisse und eine mögliche existenzielle Gefährdung des Vereins durch die Strafhöhe“ fraglich sei. Hinzu käme die wiederholte „Ignoranz rassistischer und antisemitischer Schmähungen, diesmal gegenüber der BSG Chemie“ im Urteil.
Weiterhin hatte der NOFV mit Textbausteinen im Urteil argumentiert, so dass die BSG davon ausgeht, dass sich das „Verbandsgericht der Auffassung des Vereins weitgehend anschließt und somit eine deutliche Reduzierung des Strafmaßes erfolgen wird“. Tatsächlich darf man, wie auch vor einem normalen Gericht, eine eigene Einschätzung der Fußball-“Richter” erwarten.
In der Tat ist es zudem sehr fraglich, wieso überhaupt die nunmehr polizeilich belegten Titulierungen als “Zigeuner” oder eben „Juden“ zur Schmähung des Gegners genutzt werden und laut Staatsanwaltschaft Leipzig wie vorliegend bislang straffrei auch genutzt werden können. Im Kontext rings um das Derby betrachtet, ist ein antisemitischer Hintergrund bei einigen Lok”fans” klar: bereits im Vorfeld war es ihrerseits zu einer antisemitischen Netzkampagne gegen die BSG ebenso gekommen, wie zu diversen Sprayereien in Leipzig. Der Rückbezug auf die Gräuel des dritten Reiches rings um das Derby ist ebenfalls gegeben, da im Netz unter anderem Bilder von Anne Frank, versehen mit dem Spruch „JDN CHM“, genutzt wurden.
In der Summe ist also diese Art der antisemitischen Hetze im Umfeld eines Fußballspiels in Leipzig straffrei. Keine guten Nachrichten für die Verantwortlichen in beiden Vereinen. Während so die Position von Chemie im Streit mit dem NOFV geschwächt wird, kann man sich bei Lok im schlimmsten Fall schon mal darauf vorbereiten, solche Rufe öfter zu erleben.
Das Urteil des NOFV auf der Netzseite der BSG Chemie im Wortlaut
Es gibt 2 Kommentare
Richtig.
Dass die Staatsanwaltschaft keine strafbare Handlungen (im Sinne des Strafrechts) in diesen antisemitischen Sprechchören sieht, heißt aber nicht, dass bei Zuordenbarkeit zu einzelnen Personen/Gruppierungen keine Haus- bzw. Stadionverbote oder aber Auftrittsverbote (z. B. für Fangruppierungen) resultieren können…