Nicht jeder kam noch hinein, als die Veranstaltung der Dokumentationsseite „Chronik. LE“ kurz nach 19 Uhr startete. Das Interesse am Thema „Überfall am 11. Januar 2016“ war zu groß für den proppevollen Saal im UT Connewitz an diesem 10. Januar 2018. Pünktlich zum Vorabend des zweijährigen „Jubiläums“ platzte zumindest die Meldung herein, dass nunmehr 41 Klagen gegen gesamt 82 Beteiligte des Zerstörungszuges durch die Wolfgang-Heinze-Straße von vor zwei Jahren erhoben wurden. Und weitere folgen werden. Hoffnung auf hohe Strafen für die teils langjährig in der Neonaziszene beheimateten Randalierer hatte an diesem Abend dennoch keiner. Besonderes Vertrauen in die Strafverfolgungsbehörden wohl auch nicht.
Doch der Abend startete vor der eigentlichen Aufarbeitung mit einer wichtigen Erinnerung an die Nacht, als in Connewitz der Überfall und die Zerstörungen in bislang unbekanntem Ausmaß stattfanden. Nach einem Anwohnervideo, welches die gespenstische und brutale Szenerie eines einheitlich schwarzgekleideten Pulks von teils 250 bewaffneten Personen am 11.01. kurz nach 19 Uhr wiedergab, erinnerten sich auf dem Podium erst einmal alle, wo sie an diesem Abend waren. Ein Aufruf, sich zumindest bei Chronik.LE mit den eigenen Erinnerungen aus dieser Nacht zu melden, folgte später zurecht.
Neben Vertretern vom Fußballverein Roter Stern und Ivo von der Alternativen Wohnungsgenossenschaft Connewitz (AWC) hatten dazu auf dem Podium Heike Kleffner (Mitherausgeberin des Buches „Unter Sachsen“), die Stadträtin und Landtagsabgeordnete Juliane Nagel (Die Linke) und Steven Hummel, Pressesprecher von chronik.LE Platz genommen.
Die meisten waren nicht selbst vor Ort, schließlich befanden sich viele an diesem Tag zur Gegendemonstration zum einjährigen Bestehen von Legida im Leipziger Zentrum, Journalistin und Buchautorin Kleffner (ua. „Generation Hoyerswerda“) zu Hause am Schreibtisch. Beeindruckend deshalb vor allem die Schilderungen des Vorstandsmitglieds der AWC.
Ivo dürfte einer der ersten an diesem Abend gewesen sein, der langsam aber dann mit wachsendem Entsetzen wahrnahm, was sich da auf der Wolfgang-Heinze-Straße zusammenbraute. Anfangs habe er sich zufällig gerade auf der Straße stehend noch gewundert, dass eine für ihn, aus der Ferne gesehen, im Erscheinungsbild und persönlicher Erwartungshaltung „linke Demo“ so schweigend und ohne Parolen angelaufen kam. Das Frontbanner hatte er zu diesem Zeitpunkt noch als eines irgendwie „für Weltoffenheit“ erkannt. Um nach einem lauten Ruf „Los jetzt!“ aus der „Demo“ heraus einer der ersten Zeugen der organisierten Zerstörungswut der Rechten und eines Besseren belehrt zu werden.
Seinen Schilderungen nach war es etwas, was er sich nicht hatte vorstellen können und sich nun dennoch vor seinen Augen abspielte. Und erst mit dem Eintreffen der ersten Polizeibeamten in der Nähe der Biedermannstraße und der Einkesselung der Randalierer (vorerst) endete.
Nachdem er erst einmal Abstand zwischen sich und den da bereits Schaufenster einschlagenden Mob gebracht hatte, kehrte er zurück, filmte selbst ein paar wacklige Bilder, auf denen jedoch bis auf eine extreme Geräuschkulisse wenig zu erkennen ist. Gleichzeitig war er eher damit beschäftigt, andere hinzukommende Anwohner auf der Straße mit dem Ruf „Nazis, das sind Nazis“ zu warnen.
Fast zur gleichen Zeit stimmte der vorbestrafte Sänger Hannes Ostendorf (u.a. „Kategorie C“) auf der Legida-Bühne im Zentrum sein „Happy Birthday“ für die an diesem Tag rund 1.000 Teilnehmer der mittlerweile auf vielleicht 150 Anhänger geschrumpften rassistischen „Bewegung“ rings um den damaligen Anführer Markus Johnke und den Legida-Schatzmeister Arndt Hohnstädter an. Für nicht wenige an diesem Abend im UT Connewitz ein gewisser Hinweis, dass es Verbindungen zwischen der Aktion in Connewitz und Legida selbst geben müsse. Zumindest hofft angesichts der – laut L-IZ – Informationen – voraussichtlich wohl erst ab 2019 anstehenden Prozesse unter anderem Juliane Nagel durchaus auf weitere Erkenntnisse, ob hier wirklich zwei durchorganisierte Ereignisse wie die Demonstration und der Zerstörungszug durch die Heinze-Straße nur zufällig parallel stattfanden.
Wahrnehmungen
Es geht wohl vor allem längst um eine möglichst genaue Erinnerung an die Vorgänge in dieser bislang einzigartig den Novemberpogromen von 1938 ähnlichen Nacht in Leipzig. So habe natürlich kein paralleler Überfall auf Plagwitz stattgefunden, schilderte eine Gesprächsteilnehmerin von der Gruppe „Antifa Klein-Paris“. Doch die Panik angesichts der „Verwüstungen auf der Wolfgang-Heinze-Straße“, der „wahllos kaputtgehauenen Fensterscheiben“, einer brennenden Wohnung und der fassungslosen Anwohner auf der Straße ist eine im Nachgang erklärbare, jedoch unbegründete Angstreaktion in dieser Nacht.
Nicht unbegründet hingegen die weiteren Schilderungen von Ivo von der Alternativen Wohnungsgenossenschaft Connewitz (AWC) zum weiteren Vorgehen der Polizei in der Folge der Festsetzung und (nach einer Identitätsfeststellung in der Polizeidirektion Dimitroffstraße) Eskortierung der Randalierer von der Wolfgang-Heinze-Straße. So seien Einsatzeinheiten direkt in die Stöckartstraße gefahren und haben – trotz mehrfacher verbaler Intervention auch von ihm und anderen – begonnen, dort gewaltsam gegen „die aufgeregten Bewohner, die sich vor den Häusern sammelten“ vorzugehen. So habe die Polizei auch Menschen „aus Hinterhöfen rausgezerrt“. Das eigentliche Feindbild nach der Festnahme der rechten Gruppe schien demnach klar zu sein.
Vielleicht ist aber auch der normale Einsatzbeamte aufgrund seiner Vorbildung schon lange nicht mehr in der Lage, einen Rechtsextremisten von Anwohnern zu unterscheiden? In jedem Fall ein Ergebnis jahrzehntelanger Verheerungen im demokratischen Verständnis in Sachsen – in welchem eben diese Polizei geboren wurde und agiert. Es soll in dieser Nacht übrigens Angriffe laut Darstellungen der Polizei auf eben diese Beamte gegeben haben, als sie die rechten Schläger aus dem Viertel brachten – Unrecht gebahr offenbar weiteres Unrecht.
Vom Damals ins Heute
Angesichts dieser und weiterer Schilderungen anwesender Menschen im Publikum wird rückblickend immer fragwürdiger, wie in Sachsen der „mediale und der Sicherheitsdiskurs im Nachgang“ vor allem um „die Linken“ gehen konnte, wie Juliane Nagel betonte. Bereits im Vorfeld hatte der Verfassungsschutz Sachsen vor allem die Gegenproteste zu Legida im Auge gehabt.
In der Tat waren den Schlapphüten die Vorbereitungen in Kreisen der mittlerweile (durch die Bundesanwaltschaft angeklagte) als kriminelle Vereinigung vor Gericht stehenden Freitaler Gruppe („Bürgerwehr FTL/360“), aber auch ehemaliger „Scenario Lok“- Mitglieder, Leipziger und Dresdner Rechtsextremisten und teils seit den frühen 90ern agierenden Neonazis, bis hin zum offenbaren Leipziger Einlader der Randalierer Kai M. irgendwie seltsam verborgen geblieben. Ein jahrelang agierendes rechtsextremes Netzwerk also, welches bis nach Westdeutschland hinein mobilisierte und der „Verfassungsschutz“ hatte Probleme mit den linken Gegenprotesten am 11. Januar 2016.
Trotz offener „Überraschungsankündigungen“ im Netz, mittlerweile bekannt gewordenen Verabredungen über soziale Netzwerke und Messengerdienste sowie teils lange Jahre agierender Vernetzungen rechtsextremer Schlägergruppen blieben die Hinweise an die PD Leipzig über die drohende Gefahr aus. Die Polizei konnte eher schnell in der Wolfgang-Heinze-Straße sein, da sie ausreichend Einsatzeinheiten wegen Legida in Leipzig zusammengezogen hatte. In der damaligen Lesart natürlich wegen der zu erwartenden Gegenproteste und einer Lichterkette gegen Legida, an welcher sich nur die CDU Leipzig nicht offiziell beteiligte.
Und auch im Nachgang schien es einigen rechten bis rechtskonservativen Kreisen bis in die CDU hinein opportun, hier eine Art Eigenschuld der in Connewitz lebenden Menschen für diesen schweren, gemeinschaftlichen Landfriedensbruch einer hochvernetzten Schlägertruppe in ihrem Viertel sehen zu wollen. Unaufgeklärt und nicht vor Gericht verhandelt blieb zudem bis heute, auf welchen Wegen die Ergebnisse einer polizeilichen Autodurchsuchung gegen Linksradikale bei Grimma binnen weniger Stunden auf dem damaligen Twitter-Account der NPD-Leipzig auftauchten.
Für Juliane Nagel (Die Linke) bleibt bis heute die Frage, wie und wer hier bestimmte Vorgänge aufeinander abgestimmt haben könnte und „was Legida gewusst hat“.
Die (endlich) beginnende juristische Aufarbeitung
Wer am 10. Januar 2018 ins UT Connewitz kam, um mehr über die anstehenden juristischen Folgen für die Täter des 11. Januar 2016 zu erfahren, musste enttäuscht werden. Dazu gab es auch angesichts der gerade erst eingegangenen Anklagen wenig Neues. Außer der schwelenden Frage, ob nun gegen weitere Teile des organisierten Schlägertrupps vom 11. Januar 2016 über die „Gruppe Freital“ hinaus mithilfe einer sogenannten „Strukturermittlung“, also eines §129-Verfahrens und entsprechender Überwachungsmaßnahmen zumindest nach dem Überfall auf Connewitz ermittelt wurde.
Ob es diese Ermittlungen wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ mit Haftandrohungen von bis zu fünf Jahren gab, ist noch offen. Doch angesichts der Bewaffnung der Randalierer vom 11. Januar 2016 und ihrem geplanten Vorgehen („Los jetzt“) vor und während der Tatausführung, wäre auch eine Anklage nach § 127, also der „Bildung bewaffneter Gruppen“ möglich. Haftandrohung hier zwei Jahre oder eine hohe Geldstrafe.
Angesichts der bislang bekannten Informationen über die Anklagen gegen die ersten 82 Personen wird diesen jedoch schwerer Landfriedensbruch vorgeworfen. Für nicht vorbestrafte Angeklagte oder vorbestrafte Angeklagte mit lange zurückliegenden Vorstrafen könnte dies im Fall harter Bestrafungen wohl eher Haft mit einer Dauer von unter einem Jahr bedeuten – zur Bewährung ausgesetzt.
Bei Verurteilungen vorbestrafter Angeklagter, welche noch andere Verfahren laufen haben, kann man sich hingegen ganz gut an den ersten – noch nicht rechtskräftigen – Urteilen aus Dresden zur Gruppe Freital orientieren. Dann droht das „Aufsatteln“ von einem Jahr und mehr, als Haft abzusitzen. Zwei von mehreren Kandidaten dafür sind wohl nun Kevin D. und Thomas K., zwei seit langem bekannte Leipziger Neonazis, die immer wieder vor Gericht landeten.
Gespannt sein darf man auch auf die Verteidiger der Angeklagten – für gewöhnlich werden solche Fälle von renommierten Strafverteidigern wie RA Mario Thomas und seinem ehemaligen Kanzleikollegen Arndt Hohnstädter, übernommen. Lukrativ werden diese Mandate vor allem deshalb, weil in jedem Fall der Staat die Verteidigung von Neonazis bezahlt. Dennoch gilt: Pro Anklage ein neuer Anwalt – es dürfte also eine wahre Flut an Strafverteidigern geben.
Fails des Abends im UT Connewitz
Im nun beginnenden Thema der juristischen Aufarbeitung war leider – neben kompetenten Lokaljournalisten – kein rechtlich beschlagener Diskussionsteilnehmer auf die Bühne des UT Connewitz gebeten worden. So kam es leider zu vermehrten Aufrufen auf dem Podium, sich als Nebenkläger an den anstehenden Verfahren gegen die insgesamt möglichen 216 Angeklagten aus dem rechten Hooligan- und Rechtsextristenmilieu zu beteiligen. Doch dazu gehört wohl mehr als nur Mut.
Dafür muss man zuerst ein unmittelbar und persönlich Betroffener und Geschädigter des Überfalls sein. Zu Recht wies eine Stimme aus dem Publikum gegen Ende zudem darauf hin, dass man sich bitte vorab anwaltlich beraten lassen sollte und im Falle einer Nebenklage – immerhin gegen teils ausgewiesen gewaltbereite Rechtsextreme – auch bei jedem Verfahren als Zeuge aussagen müsse.
Demnach also im aufwendigsten Fall bis zu 108 Mal, kommt es zu Anklagen gegen wirklich alle 216 Tatverdächtigen, welche das Gericht zu immer je zwei Angeklagten zusammenfassen dürfte. So zumindest die bislang bekannte Praxis bei den ersten Fällen.
Hinzu kommt die nach wie vor (sogar von der Polizei längst kritisierte) Praxis, dass Zeugen mit Adresse und Namen in den Gerichtsakten erscheinen. Wer sich dies angesichts der Gewaltbereitschaft der Angeklagten antun möchte, fragte leider niemand an diesem Abend. Es steht zu erwarten, dass wie schon immer bei solchen Angeklagten in diesen Verfahren auch Leipziger Journalisten der L-IZ.de wieder massiv bedroht werden. Und dennoch hingehen, während mancher an seinem Schreibtisch sitzen oder twittern wird.
Ebenso ohne Hinterfragung blieb die – angesichts der langjährigen Ermittlungen verstehbare – Herausgabe der Klarnamen der am 11. Januar 2016 verhafteten Personen auf der Wolfgang-Heinze-Straße. Wie auch die eilig getwitterten WhatApp-Chats eines Leipziger Monatsmagazins. Clevere Juristen machen aus solchen „Beweisen“ eine öffentliche Vorverurteilung zugunsten ihrer Neonazi-Mandanten.
Bleibt die Frage, wem man bei den kommenden Verhandlungen vertrauen könnte. Und das in Sachsen.
Nachtrag d. Red.: Die hier vorliegende Strafandrohung bei schwerem Landfriedensbruch liegt höher als bei dem Tatvorwurf der “Bildung einer bewaffneten Gruppe” und reicht von 6 Monaten bis zu 10 Jahren. Adressen können Kläger dadurch schützen lassen, dass sie als Korrespondenzanschrift die Kanzlei der Anwälte angeben und diese die Schwärzung der Adressen bei der Staatsanwaltschaft beantragen.
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