Wie erkennt man die Art von Gesetzeshütern, die keineswegs für alle Mitglieder ihrer Zunft steht und doch immer wieder die Debatten um Kennzeichnungspflicht und Polizeigewalt befeuert? Vielleicht auch an der unfassbaren Feigheit, ohne erkennbare Not auf wehrlose Demonstranten einzutreten. Im Zusammenhang mit dem brutalen Einsatz gegen eine Anti-Legida-Sitzblockade vor mehr als zweieinhalb Jahren wurde nun ein Beamter verurteilt.
Was ging in den entscheidenden Sekunden im Kopf von Nico S. vor sich? Niemand außer ihm selbst kann es wissen. Fakt jedoch ist: Der Dresdner Bereitschaftspolizist war im Zuge der Legida-Demonstration am 20. April 2015 zur Beweissicherung mit einer Videokamera eingeteilt, als er in Höhe des Neuen Rathauses ohne jede Bedrängnis dreimal auf Legida-Gegner eintrat, die den Aufmarsch der Rechtspopulisten mit einer Sitzblockade stoppen wollten. Kurz zuvor soll der heute 28-Jährige mehrfach und ohne Vorwarnung Reizgas in Richtung der Demonstrierenden gesprüht haben. Der gravierendste Vorwurf betrifft einen Faustschlag, den Nico S. laut Anklage einem 17-Jährigen ohne jeden Grund direkt ins Gesicht verpasste.
Damalige Videoaufnahmen des MDR, auf denen der Gewaltexzess mit den Tritten zu erkennen ist, und eingereichte Anzeigen führten zu Ermittlungen, die den jungen Ordnungshüter schwer belasteten. Trotz der nach mehr als zweieinhalb Jahren leicht verblassten Erinnerung an das dramatische Geschehen von damals konnten auch die Geschädigten im Prozess vor dem Leipziger Amtsgericht hilfreiche Angaben machen.
Niemand bestreitet die physische und psychische Belastung, der die Repräsentanten der staatlichen Ordnungsmacht ausgesetzt sind – erst recht in Zeiten wie diesen und den aufgeladenen zwei Legida-Jahren in Leipzig von 2015 bis 2017. Gleichwohl soll und muss eine Polizei zum Schutz ihrer Bürger vor Kriminalität da sein und darf auch in angespannten Lagen nicht das Maß bei der Wahl eigener Mittel aus den Augen verlieren. Als Ausübender der von den Bürgern übertragenen Staatsgewalt besonders, kriminelles Handeln im Dienst fällt somit doppelt ins Gewicht.
Das erkannte auch die Vorsitzende in der Verhandlung, die Nico S. mit deutlichen Worten kritisierte: Selbst bei einer formell nicht legalen Demonstration dürfe kein Polizeibeamter seine ihm verliehene Macht missbrauchen, indem er etwa das Recht der Menschen auf körperliche Unversehrtheit außer acht lässt, mahnte die Richterin in Richtung des Angeklagten.
Unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt verhängte sie am Dienstag neun Monate Haft auf Bewährung gegen Nico S., erlegte ihm zudem eine Zahlung von 1.000 Euro an den Verein Opferhilfe auf. Der Beamte selbst hatte im Prozess zum Vorwurf der Staatsanwaltschaft geschwiegen.
Sollte der Schuldspruch Bestand haben – Berufung oder Revision gegen die Entscheidung des Amtsgerichts sind immer noch möglich – wäre zumindest ein Achtungszeichen gesetzt, dass auch Polizisten nicht über den gesetzlichen Schranken stehen. Wenngleich die Wahrscheinlichkeit einer rechtskräftigen Verurteilung immer noch verschwindend gering ist: Schätzungen gehen davon aus, dass um die neunzig Prozent der Strafanzeigen gegen Gesetzeshüter wegen Gewalt und Nötigung von vornherein eingestellt werden.
Die Zahl vergleichbarer Fälle, die letztlich vor einem Strafgericht landet, bewegt sich mutmaßlich im Bereich zwischen 1% und 2%. Und selbst dann ist nicht gesichert, dass eine eventuelle Verurteilung auch einen Berufungsprozess übersteht.
Vor knapp einem Jahr sprach das Landgericht Leipzig einen Bereitschaftspolizisten in zweiter Instanz im Zusammenhang mit Fußball-Gewalt frei. Zuletzt machte zudem die Beschwerdestelle der Polizei von sich reden, seit sich ein Beschwerdeführer mit einer Anklage konfrontiert sieht. Bleibt also erneut die Frage, wie die Polizei Sachsen und die Polizei allgemein selbst mit Verfehlungen im Dienst und ihren “schwarzen Schafen” umgehen möchte.
Der Fall von Fernando V. ist dabei längst Legende, konstruierte Beweise im Dresdner Prozess gegen den Jenaer Pfarrer Lothar König ebenso. Immer untergrub der einzelne Fall ein wenig mehr von dem Vertrauen, was die Polizei selbst benötigt, um arbeiten zu können. Im Interesse derjenigen in den eigenen Reihen, die dies demokratisch tun. Gerade angesichts der begonnenen Aufarbeitung der Vorgänge rings um das G20-Treffen in Hamburg.
Keine Kommentare bisher
Einer. Einer von wie vielen? Es gibt so viele Videobeweise, allein vom G20. Wenn die Verantwortlichen da immer noch sagen, das sei keine Gewalt, wie soll man dann noch einem Polizisten vertrauen? Klar sind nicht alle so, aber wie soll ich die guten von den schlechten unterscheiden? Bissigen Hunden bindet man eine rote Schleife an den Schwanz, das sollte man bei Polizisten auch mal einführen, wenn man solche Schläger schon im Dienst belässt. Also – gern an diversen anderen (vor allem sichtbaren) Körperteilen. Aber da schafft man ja generell lieber die komplette Kennzeichnung ab.
Man könnte fast denken, Polizeigewalt wäre von den zuständigen Ministern gewollt, sonst müsste man die Beamten ja nicht so unidentifizierbar machen, oder?