Die zentrale Beschwerdestelle der sächsischen Polizei existiert seit fast zwei Jahren. Sie soll sowohl Bürgern als auch Beamten als Anlaufstelle dienen, um auf Missstände hinzuweisen. Obwohl schon etwa 400 Beschwerden eingegangen sind – davon laut Innenministerium ein Viertel zumindest teilweise begründet –, folgten bislang keine dienstrechtlichen Konsequenzen. Stattdessen steht nun ein Beschwerdeführer vor Gericht, weil er auf Youtube ein Video veröffentlicht haben soll, in dem eine Beamtin in Nahaufnahme zu sehen ist.

Für Polizisten kann es manchmal sehr ungemütlich werden, seien es gewalttätige Konflikte in alltäglichen Kontrollen oder Auseinandersetzungen im Rahmen von Demonstrationen und anderen Massenveranstaltungen. Doch eines müssen Polizisten – zumindest in Deutschland – nur selten fürchten: für eigenes Fehlverhalten zur Rechenschaft gezogen zu werden.

So blieben beispielsweise die Angriffe von Polizisten auf Gegendemonstranten und Journalisten während der Ausschreitungen am 12. Dezember 2015 folgenlos. Die Täter konnten nicht identifiziert werden. Ebenso werden die genauen Todesumstände im Falle des in einer Dessauer Polizeizelle verbrannten Asylbewerbers Oury Jalloh wohl nie vollständig aufgeklärt werden können – weil Polizisten mögliches Beweismaterial vernichteten und vor Gericht logen.

Sowohl Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International als auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte beklagen, dass es in Deutschland keine flächendeckende Kennzeichnungspflicht für Beamte gibt. Zudem kritisieren sie, dass Anzeigen gegen Polizisten von deren Kollegen bearbeitet werden und nicht von einer unabhängigen Stelle. Häufig würden zudem nicht die angezeigten Polizisten bestraft, sondern die Anzeigesteller selbst – weil die Beschuldigten mit einer Gegenanzeige reagieren.

Beschwerden über die Beschwerdestelle

Das Problem der fehlenden Unabhängigkeit zeigt sich auch bei der im vergangenen Jahr eingerichteten zentralen Beschwerdestelle der sächsischen Polizei. Dort können Bürger und Polizisten mögliches Fehlverhalten von Beamten melden. Laut zuständigem Innenministerium sind bislang etwa 400 solcher Beschwerden eingegangen – etwa zehn Prozent hätten sich als begründet erwiesen und etwa 20 Prozent zumindest als teilweise begründet. Dienstrechtliche Konsequenzen hätten sich bislang aber nicht ergeben.

Stattdessen folgten Konsequenzen für drei Beschwerdeführer – gegen sie ermittelte die Staatsanwaltschaft. In zwei Fällen wurden die Ermittlungen mittlerweile eingestellt, doch ein Fall landet nun vor Gericht.

Auf einer Demonstration am 21. August 2016 in Heidenau kam es zu einem Konflikt zwischen Marco Santos, der den Aufzug als Journalist begleitete, und der Polizeibeamtin Anne S.. Unstrittig ist, dass letztere den Journalisten dazu aufforderte, Presse- und Personalausweis vorzuzeigen, als dieser einen Vorgang am Rande der Demonstration filmte. Da Santos sich laut seiner Beschwerde an seiner Arbeit gehindert fühlte, verlangte er den Dienstausweis der Polizistin. Diese hätte auf das „Ende der Maßnahme“ verwiesen, sich dann zunächst geweigert und den Ausweis schließlich nur kurz und verkehrt herum gezeigt.

Ein verhängnisvolles Video

Santos fertigte daraufhin eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Anne S. und einen zweiten Beamten an. Dieser hätte fälschlicherweise behauptet, dass Santos den Dienstausweis gesehen habe. Dem Schreiben hängte der Journalist zwei Fotos und einen Link zu einem auf Youtube hochgeladenen Video an. Jenes Video soll die mangelnde Kooperationsbereitschaft der Beamtin zeigen, wurde ihm jedoch selbst zum Verhängnis.

Die Staatsanwaltschaft wirft ihm nun einen Verstoß gegen das Kunsturhebergesetz vor: Santos habe ein Video veröffentlicht, in dem die Betroffene ohne deren Zustimmung in Nahaufnahme zu sehen sei. Fraglich ist allerdings, ob es sich wirklich um eine Veröffentlichung handelt. Über die Suchfunktion ist das Video nicht zu finden; nur wer den Link besitzt, kann es sehen. Bislang wurde es etwa 100 mal aufgerufen.

So wird es bei der Verhandlung indirekt auch um die Arbeit der Beschwerdestelle gehen – im Vordergrund steht jedoch die Frage, ob ein auf Youtube „privat“ hochgeladenes Video automatisch als veröffentlicht gilt, selbst wenn es einen stark eingeschränkten Nutzerkreis hat. Eine Einstellung des Verfahrens gegen Zahlung von 250 Euro an die Polizistin hat Santos abgelehnt. Die eigentliche Beschwerde wurde laut Santos als unbegründet eingestuft.

Die Verhandlung findet am Dienstag, den 5. Dezember, um 10 Uhr, in Saal 267 des Amtsgerichts statt.

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“Laut zuständigem Innenministerium sind bislang etwa 400 solcher Beschwerden eingegangen – etwa zehn Prozent hätten sich als begründet erwiesen und etwa 20 Prozent zumindest als teilweise begründet. Dienstrechtliche Konsequenzen hätten sich bislang aber nicht ergeben.”
Man kann sich also Beschweren, was aber auch bei begründeten Beschwerden nichts ändert. Seit 2 Jahren. Das nennt man dann wohl Steuergeldverschwendung, oder?

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