Weil ein Journalist einer Beschwerde รผber eine Polizistin einen Link zu einem Video beifรผgte, fand er sich selbst auf der Anklagebank wieder. Er soll laut Staatsanwaltschaft eine Nahaufnahme ohne Einverstรคndnis der Gefilmten verbreitet haben. Die Richterin am Amtsgericht bewertete den Fall jedoch anders und sprach den Angeklagten frei.

Eigentlich sollte die im vergangenen Jahr im sรคchsischen Innenministerium eingerichtete Beschwerdestelle dazu dienen, dass Bรผrger und Polizisten unkompliziert mรถgliches Fehlverhalten von Beamten melden kรถnnen. Neben 400 eingegangenen Beschwerden sind bislang allerdings auch drei Ermittlungsverfahren gegen die Beschwerdefรผhrer selbst zu verzeichnen. In zwei Fรคllen hat die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen eingestellt; ein Fall landete nun vor Gericht.

Am 21. August 2016 hatte der Angeklagte Marco Santos eine Demonstration in Heidenau als Journalist begleitet. Als er mit einer Kamera eine PolizeimaรŸnahme filmte, forderte die Beamtin Anne S. ihn auf, Presse- und Personalausweis zu zeigen. Santos fรผhlte sich ungerechtfertigterweise an seiner Arbeit gehindert und verlangte den Dienstausweis der Polizistin. Nach seinen Angaben zeigte S. ihren Ausweis nur kurz und verkehrt herum.

Santos entschloss sich deshalb zu einer Dienstaufsichtsbeschwerde, die er zwei Tage spรคter einschlieรŸlich zweier Fotos und eines Links zu einem auf Youtube hochgeladenen Video verschickte. Nun rรผckte er jedoch selbst ins Visier der Ermittlungsbehรถrden. Der Vorwurf: Er soll ohne Einwilligung der Abgebildeten eine Nahaufnahme von ihr verbreitet haben. Den Vorschlag, das Verfahren gegen Zahlung von 250 Euro an die Betroffene einzustellen, lehnte Santos ab.

Ein Link dreht seine Runden

In der Verhandlung am Leipziger Amtsgericht รคuรŸerte sich der Angeklagte nicht. Stattdessen sagte seine Verteidigerin Rita Belter, dass das Video lediglich als Beweismittel angefertigt worden sei. Zahlreiche Polizisten sowie Mitarbeiter von Staatsanwaltschaften und Gerichten hรคtten es sich angesehen โ€“ dadurch sei die Aufrufzahl von รผber 100 zustande gekommen. Das noch immer online verfรผgbare Video ist nur fรผr Personen sichtbar, die den Link erhalten haben. Fรผr die Verbreitung des Videos sei nicht ihr Mandant, sondern die Beschwerdestelle verantwortlich gewesen; Santos habe den Link keiner weiteren Person geschickt.

Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft sah das in ihrem Plรคdoyer anders. Allein die Verbreitung innerhalb der staatlichen Behรถrden erklรคre nicht die Zahl der Aufrufe. Santos mรผsse das Video deshalb auch an andere Personen weitergegeben haben. Aber bereits indem er der Beschwerdestelle den Link geschickt hat, habe er โ€ždas Risiko geschaffen, dass das Video von einer Vielzahl von Personen gesehen werden kannโ€œ. Die Staatsanwaltschaft forderte deshalb eine Geldstrafe in Hรถhe von 2.000 Euro (50 Tagessรคtze zu je 40 Euro) fรผr den nicht vorbestraften Angeklagten. Rechtsanwรคltin Belter betonte, dass es wichtig gewesen sei, den Link zu dem Video mitzuschicken, da die Beamtin sonst nicht hรคtte identifiziert werden kรถnnen.

Richterin Goldbeck sprach Santos frei und stellte fest, dass die Anklage zunรคchst fรคlschlicherweise davon ausgegangen sei, dass das Video fรผr jede Person abrufbar ist. Die Anfertigung und der Versand des Videos seien zu Beweiszwecken gerechtfertigt gewesen.

Die vor mehr als einem Jahr eingereichte Dienstaufsichtsbeschwerde bleibt also in doppelter Hinsicht ohne Konsequenzen. Denn bereits im November 2016 teilte das sรคchsische Innenministerium dem Beschwerdefรผhrer mit, dass โ€žder Polizeibeamtin keine Dienstpflichtverletzung vorgeworfen werdenโ€œ kรถnne. Die Aussage der Polizistin, dass sie sowohl den Dienstausweis gezeigt als auch ihren Namen genannt habe, wurde offenbar als glaubwรผrdig eingestuft. Wรคhrend unter dieser Angelegenheit nun ein Schlussstrich steht, dรผrften sich die allgemeinen Diskussionen รผber die Beschwerdestelle fortsetzen.

Denn offenbar muss man damit rechnen, dass Einreichern von Beschwerden gegen einzelne Beamte der Polizei so oder so kein Glauben geschenkt wird und im schlimmsten Fall dazu noch eine Anzeige seitens der Polizei gegen einen selbst droht. Was letztlich der Beschwerdestelle ihren Sinn nimmt.

Das Urteil ist noch nicht rechtskrรคftig. Innerhalb einer Woche kann Berufung oder Revision eingelegt werden.

Beschwerde gegen Polizei: Hinweisgeber landet selbst vor Gericht

Beschwerde gegen Polizei: Hinweisgeber landet selbst vor Gericht

Empfohlen auf LZ

So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:

Renรฉ Loch รผber einen freien Fรถrderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar