Der Abhörskandal um den Fußballverein BSG Chemie Leipzig hat eine weitere Dimension angenommen. Nicht wirklich erst jetzt. Denn die Vorgänge laufen nun schon seit Jahren. Einer ist mit dem anderen verquickt. Aber statt transparent zu informieren, gibt die sächsische Staatsregierung immer nur Häppchen-Informationen frei. Immer nur das, was Abgeordnete wie Valentin Lippmann konkret nachgefragt haben. Und was in Teilen durch die L-IZ.de und LEIPZIGER ZEITUNG bereits seit August 2017 bekannt ist.
Neben dem fraglichen Ermittlungsverfahren im Umfeld der BSG Chemie, das im Herbst 2016 eingestellt wurde, bei dem auch Journalisten, Ärzte und Rechtsanwälte abgehört wurden, laufen derzeit zwei weitere Ermittlungsverfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung nach Paragraph 129 Strafgesetzbuch (StGB), eines gegen die Fangruppierung „Ultra Youth“.
Dies räumte Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) auf eine Kleine Anfrage des innenpolitischen Sprechers der Grünen im Landtag, Valentin Lippmann, jetzt ein. Es handelt sich dabei insgesamt um mindestens drei Ermittlungsverfahren mit Beschuldigten aus Leipzig aus dem Umfeld der linken Szene/Fußballszene. Ein Verfahren wurde am 23. Oktober 2017 eingestellt. Wegen: „mangels hinreichenden Tatverdachts“.Im Grunde sind alle drei Folgeverfahren genauso zusammengesetzt wie das erste Verfahren, bei dem in einer großangelegten Abhöraktion versucht wurde, eine kriminelle Vereinigung im Umfeld von Chemie Leipzig auszukundschaften, die es sichtlich nicht gab.
Zudem räumte der Justizminister in der Landtagssitzung am Donnerstagabend, 16. November, in der Antwort auf eine mündliche Anfrage des Abgeordneten ein, dass mindestens ein Steuerberater, der ebenfalls Berufsgeheimnisträger ist, von der Überwachung drittbetroffen ist.
„Während wir Grüne versuchen, den Umfang des Abhörskandals − bei dem nicht nur ehemalige Beschuldigte, sondern auch zahlreiche Berufsgeheimnisträger von Abhörmaßnahmen betroffenen waren − aufzuklären, laufen die Ermittlungen offenbar munter weiter“, empört sich Valentin Lippmann, der auch Sprecher für Datenschutz der Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag ist.
„Und obwohl ich mehrfach, zuletzt im Juni, nachgefragt habe, ob weitere Ermittlungsverfahren nach Paragraph 129 StGB eingeleitet wurden, bekomme ich die Auskunft vom Justizminister erst, als sie wegen Presseberichten nicht mehr länger verheimlicht werden konnte. Das ist Verschleierungstaktik in Reinstform und nährt einmal mehr den Verdacht, dass hier rechtswidrige, weil exzessive Ermittlungen durchgeführt worden sind.“
Berichtet hatte natürlich die L-IZ am 12. Oktober. Und am 11. Oktober. Und am 3. September. Und zuvor auch schon in der gedruckten „Leipziger Zeitung“, wo die Leser schon im August 2017 ausführlich nachlesen konnten, mit welcher Unerbittlichkeit Sachsens Ermittler im Umfeld von Chemie Leipzig versuchen, eine Art kriminelle Vereinigung im linken Spektrum zu finden, obwohl all die vielen Aktenordner mit Abhörprotokollen nichts davon belegen.
Aber man bleibt dran. Und das mit einer Ausdauer, die man bei Ermittlungen im rechten Spektrum nie an den Tag gelegt hat, bis die Taten einiger Gruppen wie der „Gruppe Freital“ dann sogar den Bundesstaatsanwalt auf den Plan riefen. Von Ermittlungen im sächsischen Mafiamilieu und ähnlichen wirklich brisanten Themenfeldern reden wir da gar nicht.
In Sachsen geht es seit Jahren mit aller Macht stets gegen links. Dabei scheint man auch andere Verfahren rechts liegen zu lassen, wie in der aktuellen LEIPZIGER ZEITUNG berichtet wird.
Doch andere Medien nehmen das Thema nicht allzu ernst und folgen in der Berichterstattung immer erst dann, wenn die Regierung neue Tatbestände zugegeben hat. Berichtet wird also meist nur das, was längst öffentlich ist, so wie nun die Antwort Gemkows vom 13. November 2017. Neu dabei nur – es sind noch mehr Abhör-Verfahren und wieder sind Berufsgeheimnisträger betroffen. Es scheint also ganz so, als ob es den Ermittlern nur Recht ist, auch Ärzte, Journalisten und Rechtsanwälte gleich mitzuscannen.
„Dass nun − trotz Nachfragen zu den (dritt-)betroffenen Berufsgeheimnisträgern seit März dieses Jahres − erneut eingeräumt werden musste, dass auch Steuerberater von den Abhörmaßnahmen betroffen waren, macht einmal mehr deutlich, dass der Justizminister und seine Generalstaatsanwaltschaft versuchen, das Ausmaß der exzessiven Ermittlungen zu vertuschen. Diese Verfahrensweise ist unerhört und einer dem Rechtsstaat verpflichteten Behörde unwürdig“, sagt Lippmann zu Recht.
Und weiter: „Ich verlange nunmehr umfassende Auskunft darüber, wie viele Überwachungsmaßnahmen in diesen weiteren Ermittlungsverfahren stattgefunden haben, ob wieder Berufsgeheimnisträger betroffen sind und inwieweit die weiteren Ermittlungen gerechtfertigt sind. Ich werde das Thema erneut im Verfassungs- und Rechtsausschuss auf die Tagesordnung setzen. Dann müssen endlich alle Fakten auf den Tisch.“
Der Paragraph 129
So wird denn einer Fangruppe um die BSG Chemie eine Aufmerksamkeit zu Teil, die eigentlich – auch in der schwammigen Formulierung des Paragraphen – nie für Fußballanhänger gedacht war, sondern für organisierte Gruppen, die tatsächlich den Staat und die Demokratie gefährden wollen. Als hätte da jemand den Auftrag gegeben, in Leipzig mit allen Mitteln eine linke kriminelle Vereinigung zu finden, koste es, was es wolle. Und sei es auch das Vertrauen in Polizei und Justiz. Und nicht einmal dann, wenn man nach Jahren vor Bergen von Papier sitzt, die nicht mal einen Verdacht begründen, dass es so etwas geben könnte, ist man bereit, die Ermittlungen und Abhörmaßnahmen einzustellen.
Verhaftungen gibt es jedoch ebenfalls keine – alles bleibt in der Schwebe und rollt doch so vor sich hin.
„Der Justizminister muss zudem Auskunft darüber geben, inwieweit er einer Ultragruppierung den Charakter einer kriminellen Vereinigung unterstellt“, sagt Lippmann. „Auch diese Ermittlungen scheinen eine neue Qualität zu erreichen, deren Ziel ich wegen der weitreichenden Konsequenzen in der Fußballfanszene grundsätzlich infrage stelle.“
Umso mehr dürfte er sich durch die Ansage von Justizminister Gemkow brüskiert fühlen, dass dieser nicht mal in interner Sitzung bereit ist, nähere Auskünfte zu den laufenden Verfahren machen zu wollen.
Die liest sich nämlich so: „Eine weitergehende Beantwortung der Frage im Hinblick auf dieses Ermittlungsverfahren ist derzeit nicht möglich, da insoweit aufgrund der laufenden Ermittlungen in diesem Verfahren einer weitergehenden Beantwortung die Vorschrift des § 477 Abs.2 S. 1 StPO entgegensteht. Nach dieser Vorschrift sind Auskünfte aus Akten zu versagen, wenn der Übermittlung Zwecke des Strafverfahrens entgegenstehen. Eine vollständige Beantwortung der Kleinen Anfrage würde den Erfolg des noch nicht abgeschlossenen Ermittlungsverfahrens gefährden. Sofern Einzelheiten zu bisherigen Ermittlungserkenntnissen bekannt würden, könnte dies dazu führen, dass der Erfolg der weiteren notwendigen Ermittlungen vereitelt würde. Die Beschuldigten haben selbst keine umfassende Kenntnis über ihre Beschuldigtenstellung bzw. darüber, welche Maßnahmen durch die Strafverfolgungsbehörden veranlasst worden sind. Auch gegenüber Dritten wurden bisher keine Angaben zu getroffenen Maßnahmen gemacht, um die Ermittlungen nicht zu gefährden.“
Die beiden offenen Verfahren sehen aber fast genauso aus wie die beiden eingestellten. Da liegt der Verdacht nahe, dass sie genauso enden.
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