Nach knapp zwei Wochen Pause ist am Montag der Mordprozess gegen vier Mitglieder der Leipziger Hells Angels fortgesetzt worden. Im Saal ist mittlerweile Tristesse eingekehrt. Einer kleinteiligen Zeugenvernehmung folgt die nรคchste, um aufzuklรคren, was am 25. Juni 2017 in der Eisenbahnstraรe passiert ist. Am Montag nahmen nur einige โBrรผderโ der Angeklagten und eine kleine Delegation der โUnited Tribunsโ auf den Zuschauerbรคnken Platz. Das Gericht hatte sich mit einem kuriosen Antrag der Verteidigung zu beschรคftigen.
Wie der bekennende Fuรballfan Curt-Matthias Engel zum Videobeweis in der Bundesliga steht, ist nicht bekannt. Bei Gericht mรถchte ihn der Leipziger Strafverteidiger am liebsten aus der Strafprozessordnung tilgen. Dann nรคmlich hรคtte sein Mandant, der Hauptangeklagte Stefan S. (32), gute Chancen, mit einem blauen Auge davonzukommen. Stein des Anstoรes ist seit Prozesserรถffnung, ob das Handyvideo, das ein Passant von der Schieรerei gemacht hat, im Gerichtssaal gezeigt werden darf.
Eine Bildforensikerin kam im Laufe des Ermittlungsverfahrens zu dem Schluss, bei dem Schรผtzen handele es sich um Stefan S. Ihre Aussage kรถnnte fรผr den Rocker im allerschlimmsten Fall ein jahrzehntelanges Leben hinter Gittern bedeuten.
Kรถnnte das Video allerdings aus rechtlichen Grรผnden in der Hauptverhandlung nicht gezeigt werden, da der Youtube-Clip nicht in die Urteilsfindung einflieรen dรผrfte, wรผrde der Hauptbeschuldigte nur noch von zwei Personen unmittelbar belastet werden. Da wรคre zum einen Umut A.. Der Leipziger war als Mitglied der โUnited Tribunsโ unmittelbar in die Auseinandersetzung involviert und wurde von Schรผssen in den Bauch getroffen.
Der Niedergeschossene verweigerte in der Hauptverhandlung bislang jede Aussage. Bei der Polizei identifizierte er S. als Schรผtzen. Inwieweit die Zeugenaussage des Vernehmungsbeamten fรผr eine Verurteilung ausreichen kann, wird das Gericht zu befinden haben. Weiterhin gab ein Polizist an, im Getรผmmel vor Ort Stefan S. als den Mann mit der Pistole identifiziert zu haben. Allerdings hatte der Beamte den Schรผtzen nur fรผr einen ganz kurzen Augenblick mit der Waffe in der Hand gesehen.
Verteidiger Engel hat also gute Grรผnde, die Videovorstellung im Gerichtssaal um jeden Preis zu verhindern. Zu Prozessauftakt am 8. September lieferte der Jurist dem Schwurgericht einen Haufen juristisch hanebรผchender Argumente. Der Film sei ohne Zustimmung des Angeklagten entstanden. Das Recht am eigenen Bild sei verletzt. Es lรคge ein schwerwiegender Eingriff in das allgemeine Persรถnlichkeitsrecht vor. Und die Einfรผgung des Videos in die Ermittlungsakte verstoรe gegen geltendes Datenschutzrecht.
Freilich darf hierzulande jedermann Versammlungen und Straftaten im รถffentlichen Raum filmen. Deswegen lieร die Kammer den Rechtsanwalt eiskalt abblitzen. Am Montag unternahm der einen neuen Anlauf. Das Gericht mรถge den Prozess aussetzen und die spannende Rechtsfrage, ob die Vorfรผhrung des Videos vielleicht doch gegen das Bundesdatenschutzgesetz verstoรen kรถnnte, zur Klรคrung dem Bundesverfassungsgericht vorlegen.
Blรถd nur, dass das deutsche Recht diese Form der Richtervorlage gar nicht kennt. Diese wรคre nur zulรคssig, wรผrde das Gericht Bestimmungen des Gesetzes fรผr verfassungswidrig halten. Oberstaatsanwalt Guido Lunkeit widersprach dem Antrag. Die Kammer gab Engel nach รผber einstรผndiger Beratung den nรคchsten Korb. Das Beweisvideo wird also vorgefรผhrt werden. Es sei denn, der Verteidigung gelingt noch ein genialer Befreiungsschlag. Im Fuรball ist vieles mรถglich. Bei Gericht auch.
Hinweis: Bei dem Titelbild handelt es sich um ein Archivfoto des Angeklagten Stefan S. vom Prozessauftakt. Das Landgericht hat L-IZ.de & anderen Medien das Fotografieren an den Folgeterminen ohne Begrรผndung untersagt.
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