Durch lautes Scheppern sei er wachgeworden, habe im Halbschlaf noch Fußgetrappel vernommen, erinnerte sich Sebastian Gemkow am Montag als Zeuge vor dem Amtsgericht. Sein erster Gedanke sei gewesen, dass jemand die Autos vor dem Haus beschädigt habe. Doch schnell war klar: Es handelte sich offenbar um einen gezielten Anschlag auf die Privatwohnung des sächsischen Justizministers
In der Nacht zum 24. November 2015, kurz nach zwei Uhr, hatten Granitsteine die Fensterscheiben seiner Wohnung in der Leipziger Südvorstadt durchschlagen, gefolgt von mit Buttersäure befüllten Christbaumkugeln. Der heute 39-Jährige CDU-Politiker und seine Familie blieben unverletzt, mussten jedoch noch in der gleichen Nacht ausziehen. Als mutmaßliche Täter stehen seit Anfang August zwei 30-Jährige Männer wegen Sachbeschädigung und versuchter gefährlicher Körperverletzung vor Gericht: Thomas K. aus Leipzig, mehrfach vorbestraft und von der Polizei im Hooligan-Milieu verortet, sowie Roman W., ein nordrhein-westfälischer Autohändler. Beide wurden durch DNA-Abgleiche ermittelt, bestreiten die Tat jedoch und kennen sich angeblich nicht.
„Ich habe im Wohnzimmer gesehen, dass die große Eckscheibe komplett zerstört war, und einen stechenden Geruch wahrgenommen“, schilderte Gemkow im Zeugenstand. Seine Ehefrau habe ihn aus Angst davon abgehalten, draußen nachzuschauen, wenige Minuten später traf die Polizei ein. Konkrete Personen habe er nicht wahrgenommen. „Sind Sie je bedroht worden?“, fragte die Vorsitzende Richterin Ute Fritsch weiter nach. „Es gab nichts, was ich als Angriff auf das persönliche Umfeld empfunden hätte“, so Gemkow. Auch im Zusammenhang mit dem großen Zustrom Geflüchteter im Herbst 2015 habe nichts über das Niveau von Beschimpfungen hinausgereicht.
Über die Hintergründe des Anschlags war vielfach spekuliert worden: Während sich der sächsische Verfassungsschutz und mehrere Amtsträger, darunter Innenminister und Gemkow-Parteifreund Markus Ulbig, sehr schnell auf linksautonome Täter festlegten, zählten die Fahnder des „Operativen Abwehrzentrums“ (OAZ) auch Vertreter des rechten Spektrums zum Kreis mit potenziellen Tatmotiven. So hatte der CDU-Minister öffentlich die Drohungen gegen einen Staatsanwalt verurteilt, der wegen Zurschaustellung einer Galgen-Attrappe gegen Pegida-Anhänger ermittelte und sich darüber hinaus als einer der wenigen Christdemokraten an einer Kundgebung gegen einen Legida-Montag in Leipzig beteiligt.
Überdies befanden sich zum Zeitpunkt des Anschlags die Büroräume eines in der linken Szene beliebten Modevertriebs in direkter Nachbarschaft zur Wohnung des Justizministers. Das schien auch eine schlichte Verwechslung plausibel zu machen.
Gemkow war unmittelbar nach dem Angriff mit seiner Frau und den beiden Kindern (damals 7 Jahre sowie 2 Monate) zunächst in einer Nachbarwohnung untergekommen. Inzwischen lebt er woanders und nicht mehr parterre, sondern im 2. Stock. Auf Nachfrage erklärte er, seine Familie habe in den Wochen nach der Tat noch große Unsicherheit verspürt. Den Sachschaden von mehreren Tausend Euro musste Gemkow nach eigener Aussage zum Teil selbst begleichen, da die Versicherung nur einen Einbruchdiebstahl übernommen hätte.
Die Ermittlungen habe er dann ausschließlich über die Medien weiter verfolgt. Dem Strafverteidiger Mario Thomas, der den Angeklagten Thomas K. vertritt, bestätigte Gemkow seine Verbindung zu einem Kampfsporttrainer, mit dem er zusammen studiert und sich bis zur Übernahme des Justizressorts 2014 eine Leipziger Anwaltskanzlei geteilt hatte. Thomas K. hatte erklärt, dass Gemkows ehemaliger Kompagnon auch zu seinem Bekanntenkreis zählt und er deswegen nie gegen den CDU-Politiker vorgehen würde.
Allgemeine Heiterkeit kam im Saal auf, als die Richterin Gemkow auf Sicherheitsfolien ansprach, die einige Zeit vor der Tat an den Wohnungsfenstern angebracht worden waren: „Was wurde Ihnen gesagt, was die Folien aushalten sollen?“ „Eigentlich Steinwürfe“, antwortete der Minister verlegen und unter Schmunzeln des Publikums. „Aber wenn die Folie nicht da gewesen wäre, wäre der Schaden viel größer gewesen“, schob er nach.
Neben dem Justizminister sagte am Montag ein OAZ-Ermittler aus, der im Mai 2016 an einer Wohnungsdurchsuchung bei Thomas K. beteiligt war. Belastendes Material konnte seinerzeit nicht gefunden werden. Die geplante Vernehmung von drei Sachverständigen fiel dann kurzerhand weg: Wegen akutem Unwohlein eines Schöffen musste der Notdienst gerufen und die Verhandlung gegen Mittag abgebrochen werden. Der Mann wurde zur Diagnostik ins Krankenhaus mitgenommen.
Der Prozess soll am Freitag fortgesetzt werden, ein Urteil könnte am 18. September ergehen.
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