„Es sei nur dem Zufall zu verdanken, dass es keine Opfer gegeben habe“, konstatierte die Vorsitzende Richterin in ihrer Urteilsbegründung. Gemeint war ein nächtlicher Angriff auf die Privatwohnung des sächsischen Justizministers Sebastian Gemkow mit Granitsteinen und Buttersäure. Am Montag verurteilte sie einen der mutmaßlichen Täter, einen vorbestraften Hooligan, zu zwei Jahren und vier Monaten Haft. Sein Mitangeklagter wurde in Abwesenheit freigesprochen.
Als das Schöffengericht um kurz nach 13 Uhr seinen Schuldspruch gegen Thomas K. wegen Sachbeschädigung und versuchter gefährlicher Körperverletzung verkündete, zeigte dieser zunächst keine sichtbare Regung. Während der Urteilsbegründung schüttelte der 30-Jährige dann aber mehrfach den Kopf, grinste und unterbrach die Vorsitzende Richterin Ute Fritsch einmal, woraufhin sie ihn zurechtwies. Sie zeigte sich im Ergebnis der Beweisaufnahme überzeugt, dass Thomas K. zu den Tätern gehörte, welche die Wohnräume des sächsischen Justizministers Sebastian Gemkow (CDU) in der Nacht zum 24. November 2015 mit Granitsteinen und Buttersäure attackierten.
Der damals 37-jährige Politiker schlief zu dem Zeitpunkt mit seiner Ehefrau und den Kindern in einem Nebenzimmer. Die Familie blieb unverletzt, musste jedoch unverzüglich ausziehen, da die Räume unbewohnbar geworden waren.
Ein halbes Jahr nach der Tat konnten die Ermittler des „Operativen Abwehrzentrums“ zwei Tatverdächtige präsentieren: Thomas K. aus Leipzig, von der Polizei dem gewaltbereiten Hooligan-Milieu zugeordnet, sowie Roman W., einen freiberuflichen Autohändler aus Meckenheim (Nordrhein-Westfalen). Beiden Männern kam man durch DNA-Spuren auf die Schliche.
Während des Prozesses hatten sie großteils geschwiegen. Autoverkäufer Roman W. (30) machte jedoch gegenüber der Polizei geltend, weder Gemkow noch Thomas K. je gekannt zu haben, auch in Leipzig sei er bis dato nicht gewesen. Seine DNA am Tatort erklärte er mit einem nach Frankreich überführten PKW, der dann an einen Abnehmer in Leipzig verkauft worden sei. Das Fahrzeug könnte noch Anhaftungen von ihm enthalten haben, sagte er in einer kurzen Stellungnahme.
Der Wagen, auf einen Düsseldorfer Rechtsanwalt zugelassen, ging dann offenbar durch mehrere Hände. Unter anderem fielen im Prozess die Namen eines bekannten Veranstalters von Freefight-Events aus der Nähe von Leipzig und eines Wurzner Kampfsportlers, welcher der rechten Szene zugerechnet wird. Die verworrene Konstellation veranlasste das Gericht dann auch, eine zufällige DNA-Verunreinigung mit Körperzellen von Roman W. als wahrscheinlichste Variante anzusehen. Hinzu kam, dass der Meckenheimer für die Tatnacht ein Alibi seiner Ehefrau erhielt und sich rund neun Stunden nach dem Vorfall zur Zahlung einer Geldstrafe in einem Bonner Polizeirevier aufhielt. „In der Summe ist das Gericht überzeugt, dass die Spur durch eine Sekundärübertragung an den Tatort gelangt ist, ohne dass Herr W. selbst da war“, so die Vorsitzende.
Anders die Lage bei Thomas K.: Für seine DNA an einer Verpackung, in der die Christbaumkugeln mit Buttersäure transportiert worden waren, gab es aus Sicht des Gerichts keine plausible Alternativerklärung. Die glatte Oberfläche bot aus Sicht eines Gutachters für eine zufällige Kontamination eine schlechte Grundlage, auch habe Thomas K. weder selbst in der Gegend gewohnt noch irgendwie deutlich gemacht, wie die Spur an den Tatort gelangt sein könnte. „Das Gericht kann nicht jede gedankliche Möglichkeit an die Stelle dieser Erklärung setzen, um zu sagen, er hat mit der Sache nichts zu tun. Ansonsten wird jede DNA-Spur ad absurdum geführt“, betonte die Vorsitzende.
Aus ihrer Sicht sprachen alle Indizien für eine Täterschaft von Thomas K. und ein planvolles Vorgehen mehrerer Personen. Zeugen hatten in der fraglichen Nacht einige vermummte Gestalten auf der Straße beobachtet. Ziel der Attacke sei demnach nicht Gemkow gewesen, sondern vielmehr eine damals an seine Wohnung angrenzende WG, unter deren Adresse auch ein Vertrieb für linke Szenekleidung gemeldet war. Der besondere Zuschnitt der Räumlichkeiten habe wohl zu einer schlichten Verwechslung geführt.
Mit eindringlichen Worten erinnerte die Richterin an insgesamt 12 schwere Steinbrocken, welche mit hohem Kraftaufwand und voller Wucht in Richtung der Erdgeschosswohnung geschleudert worden waren. Dass nur zwei Steine letztlich ins Innere gelangten, lag an einer installierten Sicherheitsfolie, dass niemand zu Schaden kam, war dem Umstand zu verdanken, dass Familie Gemkow in einem Nebenzimmer mit heruntergelassener Jalousie nächtigte. Ein Stein traf stattdessen einen Esstisch, dort und im Dielenboden blieben Kerben zurück. Der Sachschaden betrug rund 11.000 Euro, Gemkow musste ihn nach eigener Aussage zum Teil selbst begleichen, da der Versicherungsschutz nur bei einem Einbruch gegriffen hätte.
Zu einem solch perfiden und heimtückischen Angriff mitten in der Nacht, wenn sich die meisten Menschen im Tiefschlaf befinden, gehöre ein hohes Maß an krimineller Energie, hob die Richterin hervor. Das Argument von Thomas K.s Strafverteidiger Mario Thomas, wonach ein Spürhund eine Fährte nach Connewitz aufgenommen hatte und dort bis zu einem Haus lief, in dem ein linker Gewalttäter wohnte, ließ sie nicht gelten. Denn nach Aussage der Polizistin hatte sich das Tier nicht bis an die Haustür heran bewegt. Das sprach dafür, dass die Erschnüffelten hier stehen blieben oder auf ihrer Flucht womöglich in ein Auto stiegen.
Wegen Thomas K.s Vorstrafenregister hielt das Gericht letztlich eine Haftstrafe von zwei Jahren und vier Monaten für angemessen. Der umtriebige Rechtsprotagonist wurde seit seinen Teenager-Zeiten wiederholt für einschlägige Taten verurteilt. In der Nacht zum 1. Mai 2008 griff er mit mehreren Komplizen einen Nachtbus an, in dem Besucher des „Courage zeigen“-Konzerts vermutet wurden, ein Mann wurde verprügelt und schwer verletzt. Zuletzt musste sich Thomas K. vor zwei Jahren strafrechtlich verantworten – ebenfalls wegen Körperverletzung.
Mit dem Urteil blieb das Gericht knapp unterhalb des Antrags von Oberstaatsanwalt Ricardo Schulz, der auf zweieinhalb Jahre plädiert hatte. Verteidiger Mario Thomas wollte auf einen Freispruch hinaus. Bei Roman W., der am Montag nicht persönlich erschienen war und sich von seinem Anwalt Andreas Meschkat vertreten ließ, hatten beide Seiten auf Freispruch plädiert.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Binnen einer Woche sind Berufung oder Revision möglich.
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