Für FreikäuferNach den Geständnissen und dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft Ende Juli schien der seit fast einem Jahr laufende Prozess um den brutalen Mord an einem afghanischen Dolmetscher nun auf der Zielgeraden. Doch die Verteidigung spielt unbeirrt neue Karten aus. Am Dienstag kam es am Landgericht zu giftigen Wortwechseln und einem Befangenheitsantrag gegen die 3. Strafkammer – nicht zum ersten Mal.
„Wenn Sie es irritiert, umso besser“, giftete Rechtsanwalt Endrik Wilhelm einen Kollegen der Nebenklage an. Der hatte sich zuvor verwundert über einen Beweisantrag Wilhelms gezeigt. Der als streitbar bekannte Strafverteidiger aus Dresden vertritt seit August 2016 den Syrer Mohammad A. (22), der inzwischen gestanden hat, den Afghanen Farhad S. (30) Ende November 2015 mit 26 Messerstichen getötet zu haben. Der wohlhabende Dolmetscher, der für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge arbeitete, hatte offenbar die Nähe der syrischen Teenagerin Santa A. (18) gesucht. Die jedoch ging eine Liaison mit dem mutmaßlichen Haupttäter ein, schmiedete laut Anklage gemeinsam mit ihm und ihrer Mutter Entessar A. (39) ein heimtückisches Mordkomplott.
Unter dem Vorwand einer Aussprache lockte das Trio den Afghanen laut Anklage in eine heimtückische Falle. In der Wohnung von Mutter und Tochter im Leipziger Gerichtsweg fand er demnach sein brutales Ende, die Leiche wurde anschließend in einem Waldstück bei Burg (Sachsen-Anhalt) verscharrt, wo Forstarbeiter sie im März 2017 fanden. Die drei Angeklagten waren durch ein Puzzle an Indizien bereits im Februar 2016 in Untersuchungshaft gekommen – so sollen sie das Konto ihres Opfers geplündert, eines seiner Autos verkauft und ein weiteres für sich genutzt haben.
Erst nach dem überraschenden Leichenfund legten die drei Syrer, die vorher beharrlich geschwiegen hatten, Geständnisse ab. Zum ursprünglich vorletzten Prozesstermin am Dienstag wurde deutlich, dass die Verteidigung nun scheinbar auf eine Infragestellung der juristischen Mordmerkmale und der Schuldfähigkeit setzt. Zwei Anträge auf die Vernehmung weiterer Zeugen, darunter der Bruder der 18-jährigen Santa, wurden als unbegründet abgelehnt. Laut Rechtsanwalt Daniel Luderer wäre Letzterer dabei gewesen, als Santa bereits im Herbst 2015 gemeinsam mit ihrer Mutter Anzeige gegen Farhad S. wegen Nachstellung erstatten wollte.
Die Familie sei jedoch nach zweistündiger Wartezeit bei der Leipziger Polizeidirektion an eine andere Dienststelle verwiesen worden, habe danach entmutigt aufgegeben. Der gescheiterte Vorstoß der Verteidigung sollte den Fokus möglicherweise auf eine angenommene Verzweiflungssituation lenken, die einen Mordvorwurf fragwürdig macht.
Rechtsanwalt Wilhelm beantragte danach eine psychiatrische Begutachtung seines Mandanten. Der sei bereits 2014 wegen Verdacht auf paranoide Schizophrenie in Ingolstadt behandelt worden, zum Tatzeitpunkt vielleicht nicht oder nur vermindert schuldfähig gewesen, was erst jetzt aus Krankenakten der JVA Leipzig hervorginge. Dem Antrag gab die Kammer nach einer Beratung statt und benannte umgehend einen Sachverständigen, der sich telefonisch bereits einverstanden erklärt hatte.
Das veranlasste Wilhelm jedoch, sein nächstes Geschoss auszupacken: Die gesamte Strafkammer einschließlich der Schöffen sei befangen, habe ihr schweres Versäumnis erkannt und daraufhin in geschlossener Runde eilig einen Gutachter festgelegt, ohne Rücksprache zu halten. Man versuche erst gar nicht, den Rechten seines Klienten Geltung zu verschaffen, sondern sei nur auf eine schnelle Beendigung des Prozesses fixiert, polterte Wilhelm zur Richterbank und verlangte zusätzlich eine Nennung der Juristen, die nun über den Befangenheitsantrag entscheiden.
Als der Vorsitzende Richter Norbert Göbel am Ende der Sitzung weitere Termine für den Prozess nannte, ereiferte sich Wilhelm erneut, weil Göbel zunächst nicht nachgefragt hatte, ob die vorgeschlagenen Prozesstage auch für die Verteidiger machbar seien: „Sind unsere Termine für Sie auch relevant?“, rief er empört. Göbel konterte: „Sie können doch Stellung nehmen. Wo liegt das Problem?“
Es war nicht der erste Eklat in diesem kurvenreichen Prozess. Bereits zum Auftakt im vergangenen Jahr gab es handfesten Krach um ein schriftliches Mordgeständnis von Mohammad A. an Wilhelm, das durch einen Zufall in die Hände der Staatsanwaltschaft geriet und vom Gericht zu den Akten genommen wurde. Bereits dies hatte Wilhelm als Bruch des geschützten Verhältnisses zu seinem Mandanten gewertet, die Einstellung des Verfahrens beantragt, Strafanzeige wegen Rechtsbeugung und Befangenheitsanträge gegen die Richter eingereicht. Die Ermittlungen wurden später eingestellt, nach längerem Streit jedoch auch ein Beweisverwertungsverbot für den brisanten Brief festgelegt.
Ein Urteil scheint nunmehr wieder in die Ferne gerückt – die nun angekündigten Prozesstermine gehen bis 13. November. Ein erster Anlauf für die Plädoyers fand bereits Ende Juli statt. Staatsanwalt Klaus-Dieter Müller hatte zweimal lebenslange Haft sowie neuneinhalb Jahre Jugendstrafe für die 18-Jährige Santa A. wegen gemeinschaftlichen und heimtückischen Mordes gefordert. Die 39-Jährige Entessar A. brach danach in Tränen aus, stand offenbar kurz vor einem Zusammenbruch und erzwang damit eine vorzeitige Beendigung des Prozesstags.
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