Die Zahlen zur Kriminalitätsentwicklung, die Polizeipräsident Bernd Merbitz am Freitag, 7. April, vorlegte, sind heftig. „Für die Kreisfreie Stadt Leipzig wurden 88.615 Fälle (Vorjahr: 73.614 Fälle; +20,4 Prozent) erfasst. Mit 47,2 Prozent fiel die Aufklärungsquote trotz erheblich zunehmender Fallzahlen höher als im Vorjahr (46,0 Prozent) aus.“ Aber 15.000 Fälle mehr als im Vorjahr? Was ist da los?
Einmal waren es die Diebstähle, die zu einem deutlichen Anstieg der Fallzahlen beitrugen: „Die insgesamt steigenden Fallzahlen entfielen zum größten Teil auf Anstiege in der Kreisfreien Stadt Leipzig (+6.674 Fälle) und in geringerem Maße auf den Landkreis Nordsachsen (+587 Fälle). Im Landkreis Leipzig gab es hingegen einen Rückgang der Fallzahlen (-590 Fälle).“
Allein der Diebstahl von Fahrrädern nahm von 6.851 auf 9.642 zu. Diebstähle aus Boden, Keller, Waschküchen nahmen von 6.208 auf 7.933 zu, Ladendiebstahl nahm von 5.929 auf 8.003 zu.
Aber: Hat das mit den Ausländern in der Stadt zu tun? Denn genauso unkommentiert wie in der Landesstatistik von Innenminister Markus Ulbig tauchen auch in Leipzig Ausländer als eigenständige Kriminellenkategorie auf. Die Zahl der „nichtdeutschen Tatverdächtigen“ stieg von 4.392 auf 10.343.
Aber was steckt dahinter?
Das deutsche Ausländerrecht. Denn die Polizei erfasst auch alle Verstöße gegen das Ausländerrecht, die im Grunde keine Straftaten sind – jedenfalls nicht nach dem bürgerlichen Gesetzbuch. Jeder Verstoß gegen Melde- und Aufenthaltsvorschriften wird – nach Ausländerrecht – als Straftat gezählt. Das ist höherer deutscher Blödsinn. Und das führt dazu, dass die Zahl der „nichtdeutschen Tatverdächtigen“ regelrecht aufgebläht wird: „Die Anzahl nichtdeutscher Tatverdächtiger betrug 11.971 und mithin 6.538 (+120,3 Prozent) mehr als im Vorjahreszeitraum. Hiervon wurden 6.650 nichtdeutsche Tatverdächtige wegen ausländerrechtlicher Delikte registriert (Vorjahr: 1.187).“
Es ist möglich, dass ein Teil der zusätzlichen Diebstähle auf diese Tätergruppe entfallen.
Aber die Zunahme der Zahlen hat andere Gründe, worauf Bernd Merbitz am Freitag eher beiläufig einging: „Nachdem der auf die Polizeidirektion Leipzig entfallende Anteil an der sächsischen Gesamtkriminalität in den letzten beiden Jahren bereits rund ein Drittel betrug, lag er 2016 mit 36,3 Prozent sogar darüber. Die Zahlen bestätigen meine Auffassung, dass die Polizeidirektion Leipzig und insbesondere das Gebiet der Stadt Leipzig in zunehmendem Maße den polizeilichen Handlungsschwerpunkt im Freistaat darstellen. Hier begründet auch das Bevölkerungswachstum, welches in den letzten Jahren deutlich über 10.000 pro Jahr lag und in vergleichbarem Ausmaß noch bis zum Jahr 2030 anhalten könnte, weitere Herausforderungen, denn bekanntlich ging der Polizeistrukturrefom seinerzeit die Prognose voraus, Bevölkerungszahlen und Kriminalitätsrate würden sinken. Die Entscheidung der Politik, den Stellenabbau zu stoppen und den Polizeivollzugsdienst künftig wieder personell stärker auszustatten, war mithin absolut richtig und es dürfte selbstverständlich sein, die Personalmehrung primär dort durchzuführen, wo die Belastung in Qualität und Quantität am höchsten ist. Und ohne Zweifel wird die Polizeidirektion Leipzig unweigerlich auf viele Jahre ein kriminalgeografischer Schwerpunkt und zugleich ein Schwerpunkt der sonstigen Einsatzbelastung bleiben.“
Über den rigiden Personalabbau auch bei der Leipziger Polizei haben wir hier oft genug geschrieben. Und die Mahnung von Bernd Merbitz an den Innenminister ist überdeutlich: Man kann nicht immer nur zugucken, wie eine Stadt wächst, und dann erwarten, die Kriminalitätszahl würde irgendwie von allein sinken. Die Leipziger Polizei hätte längst deutlich aufgestockt werden müssen.
Gerade die Diebstahl- und Einbruchszahlen zeigen, dass sich hier ein Dunkelfeld entwickelt hat, dem die Polizei seit Jahren nicht mehr hinterher kam. Logisch, dass Merbitz jetzt die Aufklärung im Diebstahlsbereich konzentriert ausbaut. Die Erfolge in der Aufklärungsrate seit 2015 geben ihm schon Recht. „Welche Bedeutung das Projekt für die Polizeidirektion hat, verdeutlichen 45.304 Fälle, die dort im letzten Jahr zum Abschluss gebracht wurden – erheblich mehr, als zu Projektbeginn erwartet.“
Dass die Diebstahlsdelikte derart zunahmen, hat mit einem Phänomen zu tun, das Leipzig einfach nicht loswird: der Beschaffungskriminalität.
Wobei es letztlich egal ist, ob es sich um Diebe handelt, die zuvor vom Jobcenter sanktioniert wurden, oder um Junkies, die Geld für den Stoff brauchen.
Denn alle Kraftposen der letzten Jahre in Bezug auf Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität haben nichts genutzt.
Die Fallzahlen steigen auch hier: „Mit 2.452 Fällen waren im Jahr 2016 insgesamt 340 Fälle mehr als im Vorjahreszeitraum festzustellen (+16,1 Prozent). Die Zunahme entfiel maßgeblich auf die Betäubungsmittel Cannabis und Zubereitungen. Das verstärkte Auftreten erklärt sich, weil Cannabis in hohem Maße als sogenannter ‚Downer‘ nach vorangegangenem Methamphetaminkonsum verwendet wird. Insgesamt zwölf Rauschgifttote und die wiederum hohen Sicherstellungsmengen verdeutlichen den (polizeilichen) Handlungsbedarf.“
Das „(polizeilich)“ klingt gut, ist aber falsch. So kann man zwar mehr Täter fassen, bekommt aber die Suchtproblematik nicht in den Griff. Das braucht ganz andere, nämlich präventive Programme.
Und so zeigt sich auch Merbitz „fest davon überzeugt, dass sich die Polizei künftig noch stärker mit Kooperationspartnern vernetzen muss, um bestimmten Kriminalitätsfeldern hinsichtlich präventiver Ansätze begegnen zu können. Mit dem Kriminalpräventiven Rat, durch Sicherheitspartnerschaften mit der Industrie und Handelskammer, der Handwerkskammer oder den Leipziger Verkehrsbetrieben sowie durch Zusammenarbeit mit vielen weiteren Partnern errichten wir dafür bereits heute ein tragendes Fundament.“
Was zumindest ein Anfang ist, aber noch kein umfassendes Handlungskonzept für eine wachsende Großstadt mit einer Armutsquote von 25 Prozent.
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