Da müssen sich nun wirklich alle die, welche im sächsischen Verfassungsschutz noch eine funktionierende Institution sehen, langsam aber sicher auch mal an den Kopf fassen. Fast zwei Jahre lang öffneten die Schlapphüte die Post, hörten Telefonate mit und suchten staats- und demokratiefeindliche Umtriebe im Conne Island. Pikant auch, dass man sich in den Jahren 1999 und 2000 so ausgiebig mit dem Leipziger Südzipfel befasste, während der NSU in Sachsen abtauchte und sich organisierte. Erst 2014 kamen die Überwachungen ans Licht und nun hat sich der Verfassungsschutz auch noch eine Klatsche vor Gericht abgeholt. Mal wieder steht die Frage im Raum: braucht das noch jemand oder kann das weg?
Die Erleichterung im „Conne Island“ (CI) ist groß, nachdem nun das Urteil vom 9. November 2016 mit Begründung im Hause vorliegt. Denn neben dem nun aus Dresden richterlich bestätigten Grundrechtseingriff der Geheimdienstler gegenüber den im CI beschäftigten Menschen im Zeitraum vom Februar 1999 bis Oktober 2000 schwebt bei solchen Vorwürfen immer auch der Entzug von Fördergeldern, wie es der Trägerverein von der Stadt Leipzig erhält, im Raum.
Und ein gerüttelt Maß Willkür kam wohl noch oben drauf, wenn das CI mitteilt: „Die Anordnung der Maßnahmen durch die G 10-Kommission des Sächsischen Landtags, deren mehrfache Verlängerungen sowie deren Vollzug waren jedenfalls unverhältnismäßig. Die Richter_innen in Dresden machten in dem Urteil klar, dass es keine ausreichende Begründung für die Überwachung gab und der Verfassungsschutz `der gesetzlichen Intention der Verdeutlichung des gewichtigen Grundrechtseingriffes nicht gerecht [wurde]`.“
Oder auch: Das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen konnte die Erforderlichkeit der Maßnahmen einfach nicht begründen.
„Es ist dramatisch« so Lydia Jakobi, Vorsitzende des Projekt Verein e.V., „dass der Verfassungsschutz ohne rechtliche Grundlage in die Grundrechte von Mitgliedern und Nutzer_innen des Projekt Vereins eingreifen konnte. Insbesondere wenn wir bedenken, dass sich zum gleichen Zeitraum das Netzwerk des Nationalsozialistischen Untergrunds organisieren und von Sachsen aus morden konnte. Und doch wurden gleichzeitig Menschen, die sich unermüdlich gegen Neonazis und rechte Einstellungen engagierten, kriminalisiert und in ihrer Arbeit behindert.“
Für Tanja Rußack, Geschäftsführerin des CI, ist bereits die Erwähnung in Verfassungsschutzberichten und die Weitergabe von Daten, beispielsweise an Finanzämter, eine Gefährdung, da bereits dies zum Entzug der Gemeinnützigkeit und dem Ausbleiben von Fördergeldern führen kann. „Dass wir mit unserer Klage erfolgreich waren zeigt, dass es richtig und wichtig ist, sich nicht einschüchtern zu lassen“, so Rußack. „Es ist notwendig die Debatte über den Sinn eines unkontrollierbaren, ineffektiven und undemokratischen Geheimdienst erneut zu beleben und die Abschaffung des Verfassungsschutzes zu fordern.“
Gründe gäbe es in der Tat genug
Keine ganz neue Forderung, aber angesichts weiterer und vor allem aktueller Vorgänge keine unüberlegte – auch fernab vom Versagen in Sachen NSU und der ergebnislosen Überwachung des Conne Islands. Denn wenn es mal nötig wäre, vorab über genauere Informationen zu verfügen, fehlt die Expertise der Schlapphüte, die offenbar wirklich – wie in Sachen Überwachung der Linkspartei ausgeführt – eher nur „Zeitung lesen“. Zu beobachten auch rings um die linksextreme Randale am 12. Dezember 2015 in der Südvorstadt und beim koordinierten Überfall auf Connewitz von mindestens 215 Rechten und Rechtsextremen am 11. Januar 2016. Beide Male war Funkstille in der Geheimdienstecke, lösen durfte die Sachlage die Polizei allein.
Wie auch bei der strammen Fehleinschätzung des Verfassungsschutzes nach dem Anschlag auf die Wohnung von Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow (CDU), dies sei das Werk linksextremer Kreise. In Untersuchungshaft sitzen derzeit ein einschlägig bekannter Rechtsradikaler und sein Kumpan.
Auch eine Überwachungsmaßnahme gegen Kreise rings um den Sportclub BSG Chemie verliefe vor kurzem im Sande – ergebnislos natürlich. Und wer auch immer in der Behörde einschätzte, bei LEGIDA seien keine Überwachungsmaßnahmen nötig, muss wohl dringend mal mit denen ein Gespräch suchen, die beständig auf der linken Seite ins Leere greifen und denen seine Begründung verraten.
Zudem steht aktuell infrage, ob sich die offenbar nur notdürftig umgebaute Behörde von Amtschef Gordian Meyer-Plath ein weiteres Mal blamieren könnte, wenn sie vor der Muslimbruderschaft in Sachsen warnt. Ein Fall, mit dem sich die aktuelle LEIPZIGER ZEITUNG näher auseinandersetzt (VÖ. am Freitag, 17. Februar 2017). Zudem gibt es längst das Operative Abwehrzentrum Extremismus in Sachsen, welches Strukturen während wirklichen Ermittlungen offenlegen kann.
Politische Schritte gefordert
Juliane Nagel, Leipziger Landtagsabgeordnete und datenschutzpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag, sieht sich jedenfalls im Fall Conne Island bestätigt und fordert Konsequenzen für den Geheimdienst, der offenbar mehr schadet als nützt. „Ich freue mich, dass das Conne Island vor Gericht erfolgreich war. Dies zeigt, dass es wichtig ist, gegen staatliche Willkür vorzugehen. Dies kann aber die Tatsache, dass über Monate hinweg die Grundrechte von MitarbeiterInnen des Vereins, Gästen, Künstlerinnen, PolitikerInnen und anderen Betroffenen verletzt wurden, nicht ungeschehen machen.“
Während in dieser Zeit Nazis Menschen bedroht hätten, verletzten und sogar ermordeten, „fokussierte sich der Staat auf die Menschen und Projekte, die sich genau gegen diese Gefahr engagierten.“, so Nagel. Dem Wunsch des Conne Islands, die Abschaffung des Verfassungsschutzes zu fordern, könne sie sich nur anschließen. „Ich fordere die Staatsregierung auf, Konsequenzen aus diesem Urteil zu ziehen. Auch die in diesem Kontext erfolgten Überwachungsmaßnahmen weiterer Personen und Initiativen müssen kritisch geprüft werden.“, so Nagel.
Seine Legitimation als unabhängiger Wächter über demokratiefeindliche Bestrebungen im Freistaat dürfte der Verfassungsschutz bereits jetzt schon eingebüßt haben. Was die Glaubwürdigkeit der von dort kommenden Informationen schwer ramponiert hat. Zumindest fällt es aufmerksamen Beobachtern längst sehr schwer, die Informationen des Dienstes mit dem Vermerk “zuverlässig” zu versehen.
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