Noch ist die Nacht nach dem Spiel der Spiele, welches Lok mit 1:0 gegen die BSG Chemie gewann, nicht herum und auf der Facebookseite der „Fanszene Lokomotive“ gibt es noch ein paar kleine Kraftmeiereien und „Einsatzerwartungen“ für den Abend des 13. November. In der BSG-Szenerie ist man jedenfalls nach wie vor gewarnt und twittert – unter anderem von noch unbestätigten Böllerwürfen am Hauptbahnhof und ruft zur Wachsamkeit auf. Die Polizei zeigte sich am Abend vorerst zufrieden mit ihrem Einsatz. Immerhin konnte sie die Lage den gesamten Tag über durch massiven Kräfteeinsatz in der Stadt weitgehend friedlich halten. Außer in einer Wohnung eines Lok“fans“, welche in Probstheida offenbar während des Spiels zerstört wurde.

Ab dem Morgen war alles in heller Erregung. Liveticker, Videoschnipsel von herumfahrenden Polizeiautos, Straßensperren und Autokontrollen. Noch ein paar auffahrende Wasserwerfer – die Polizei spielte zwischen den Fanlagern Lokomotive Leipzigs und der BSG dritte Mannschaft mit klar überlegenen Kräfteverhältnissen bei kolportierten knapp 1.000 Beamten. Um 18:30 Uhr dann der erste Zwischenapplaus, die Polizei vermeldete offiziell einen weitgehend friedlichen Verlauf bis 17:20 Uhr: „Angesichts der zuvor zu befürchtenden Szenarien fallen die sechs festgestellten Straftaten (Stand 17:20 Uhr: 2x nach dem Versammlungsgesetz, 1x Sachbeschädigung, 1x Körperverletzung, 1x Diebstahl und 1x nach dem Betäubungsmittelgesetz durch je drei Täter beider Fanlager) letztlich kaum ins Gewicht. Daher zeigt sich die Polizeidirektion Leipzig mit ihrer Einsatzvorbereitung, dem Einsatzverlauf und dem Ergebnis sehr zufrieden.“, so Pressesprecher Andreas Loepki.

Mittlerweile jedoch ist nach dieser Entwarnung eine verwüstete Wohnung eines Probstheidaers hinzugekommen. Unter dem Spruch: „Istvan Du Nazischwein. Das war für den 11. 01.“ Und „Wir kriegen Euch alle“, stürmen in einem soeben anonym im Netz aufgetauchten Video vier Männer filmend ein „WOGETRA“-Gebäude mit der Hausnummer 24 und anschließend Istvan R.s Wohnung. Dort unter Zerstörung der Wohnungstür angelangt, werden Einrichtungsgegenstände, Einrichtung und Möbel zerstört und anschließend große Teile der Wohnung mit schwarzer Farbe eingesprüht.

Offensichtlich hat man so die Abwesenheit ausgenutzt, um einen „Hausbesuch“ abzustatten. (Nachtrag, 14.11. Das OAZ hat die Ermittlungen in diesem Fall übernommen).

Das Video (heruntergeladene Version) zeigt einen Racheakt gegen einen der mutmaßlich Beteiligten an der Zerstörung mehrerer Schaufenster und Ladengeschäfte am 11. Januar 2016 in der Wolfgang-Heinze-Straße im Stadtteil Connewitz. (Quelle Vimeo, anonym)

Womit die Polizei in ihrer Meldung vom heutigen Abend dennoch Recht behalten sollte. Da hieß es: „Bekanntlich herrscht zwischen den Anhängern kein halbwegs normales Rivalitätsverhältnis auf sportlicher Basis, sondern eine regelrecht feindschaftliche Einstellung. Zusätzlich verorten sich die beiden Fangruppen in der jeweiligen Sichtweise überwiegend in konträren politischen Lagern, woraus trotz der grundsätzlich unpolitischen Veranstaltung zusätzlicher Zündstoff resultierte.“

Nach dem Sieg eine etwas zweideutige Kraftmeierei bei der "Fanszene Lokomotive". Screen Facebook, Fanszene
Nach dem Sieg eine etwas zweideutige Kraftmeierei bei der “Fanszene Lokomotive”. Screen Facebook, Fanszene

Oder um es deutlicher zu formulieren. Im Umfeld des Spieles waren im Netz vermehrt seitens einiger antisemitische Sprüche aufgetaucht, diese vonseiten der Lok“fans“. Umgekehrt haben hier nun linksautonome Täter die Chance des Spiels genutzt, um einen Wohnungseinbruch zu begehen und massive Verwüstungen zu hinterlassen.

Eine Aktion, welche eine neue Spirale der Gewalt bedeuten dürfte. Und andererseits relativ sicher eine Gegenreaktion, vollkommen ohne Fußball oder auch nur in der Nähe vom Sport, hervorrufen könnte.

Die PM der Polizei (Rest) in voller Länge (ohne den Wohnungseinbruch)

Folglich war bereits mit dem Zeitpunkt der Auslosung zu befürchten, dass Chaoten beider Seiten versuchen würden, die Ansetzung für Gewalttätigkeiten zu missbrauchen. Diese Erwartungshaltung wurde im Vorfeld durch diverse Äußerungen in sozialen Netzwerken und mindestens geschmacklose Aktionen (symbolisch gehängter Mannschaftskader) untermauert.

Aufgrund der oben verkürzt angeführten Gefahrenprognose galt es, das personelle Störerpotential möglichst zu minimieren, weshalb rund 150 polizeibekannte Gewalttäter vorab ein Aufenthaltsverbot für ein größeres Areal um den Alfred-Kunze-Sportpark erhielten. Ferner kam heute der bei nahezu jeder Fußballbegegnung obligatorischen Fantrennung nochmals erhöhte Bedeutung zu.

Entsprechend wurden die hierzu ergriffenen Maßnahmen mehrfach, deutlich und auf verschiedenen Kanälen in Richtung der beiden Fanlager kommuniziert und letztlich strikt durchgesetzt.

So wurden beispielsweise mehrere hundert Anhänger der BSG Chemie Leipzig, welche sich in den frühen Vormittagsstunden an der Herderstraße in Connewitz gesammelt hatten, unter Polizeibegleitung zum S-Bahn-Haltpunkt „Leipzig-MDR“ geführt. Hier bestiegen sie mehrere Züge und begaben sich im Beisein von Kollegen der Bundespolizei nach Leutzsch. Parallel nutzte die überwiegende Mehrheit der mit Eintrittskarten ausgestatteten Anhänger des 1. FC Lokomotive Leipzig – wie zuvor bittend eingefordert – den eingerichteten Bus-Shuttle zwischen Bruno-Plache-Stadion und Alfred-Kunze-Sportplatz.

Im dortigen Umfeld waren bereits ab 9:00 Uhr Straßensperrungen vorgenommen worden, um das Konzept der strikten Fantrennung zu gewährleisten. Deshalb konnte der Individualverkehr die Auenwaldquerung über Gustav-Esche-Straße und Am Ritterschlößchen bis gegen 16:30 Uhr nicht nutzen.

Die Begegnung selbst konnte pünktlich angepfiffen werden und bot über 120 eisige Minuten manch hitzige Situation, wobei sich die Zuschauer lediglich mit fußballtypischen Gesängen und Sprechchören duellierten. Dass es im Stadion allein dabei blieb, ist wahrscheinlich auch den zuvor angekündigten und durchgeführten Kontrollen zu verdanken, die beide Fanlager schon vom Versuch abschreckten, Pyrotechnik einzuschleusen.

Nach dem Schlusspfiff wurden die Anhänger des 1. FC Lokomotive Leipzig per Bus-Shuttle wieder zum Bruno-Plache-Stadion gefahren, wo sie wenig später mit den Gästen des dortigen Public Viewing die nachfolgende Mannschaft begrüßten. Die Fans der BSG Chemie Leipzig traten ihren Heimweg, nachdem sie ihrer Mannschaft gebührend applaudiert hatten, ebenfalls zügig an. Ein Großteil der aus Connewitz angereisten Fans trat den analogen Rückweg an und wurde wiederum begleitet.

Dank der ergriffenen Maßnahmen konnte eine direkte Konfrontation der Fanlager vor, während und nach dem Derby vermieden und mithin ein insgesamt friedlicher Verlauf gewährleistet werden. Angesichts der zuvor zu befürchtenden Szenarien fallen die sechs festgestellten Straftaten (Stand 17:20 Uhr: 2x nach dem Versammlungsgesetz, 1x Sachbeschädigung, 1x Körperverletzung, 1x Diebstahl und 1x nach dem Betäubungsmittelgesetz durch je drei Täter beider Fanlager) letztlich kaum ins Gewicht. Daher zeigt sich die Polizeidirektion Leipzig mit ihrer Einsatzvorbereitung, dem Einsatzverlauf und dem Ergebnis sehr zufrieden.

In eigener Sache: Lokaljournalismus sucht Freikäufer

https://www.l-iz.de/bildung/medien/2017/01/in-eigener-sache-wir-knacken-gemeinsam-die-250-kaufen-den-melder-frei-154108

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Michael Freitag über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar