Für alle LeipzigerEigentlich ist es vollkommen unerheblich, was die Vertreter des Justizministeriums Sachsen am Donnerstag, 13. Oktober ab 11 Uhr, im schönen Dresden mitzuteilen haben. Der Schaden ist da, weitere Aussagen des Inhaftierten hätten eventuell Licht in neue Netzwerke islamistischer Terroristen, ihre Vorgehen und die Taktiken bringen können. Doch der Suizid unter Dauerbeobachtung ist eine wahrlich sächsische Geschichte. Eine, über die nur noch fern Wohnende den Kopf schütteln können. Ortsansässige Beobachter sächsischer Behörden glauben nicht mehr an Zufälle, manche Verschwörungstheorie scheint beinahe näher, als das an Irrsinn grenzende Versagen, einen der aktuell wichtigsten Tatverdächtigen der Bundesrepublik nicht daran hindern zu können, sich in der Haft selbst zu töten.

Peinlich genug war schon das amtliche Schulterklopfen am 9. Oktober für den Einsatz, der zur Ergreifung Al-Bakrs durch andere Menschen führen sollte. Warum dieses Überbetonen der eigentlichen Aufgabe von staatlich finanzierten Beamten nötig ist, ahnt man, wenn man die letzten Jahre der Ausdünnung sächsischer Sicherheitsarchitektur kennt. Es ist ein ministeriales „Seht her, geht doch“, auch ohne mehr Geld für Personal. Eines, das angeblich aufgrund zu schwerer Kampfmontur nicht in der Lage war, dem davoneilenden Al-Bakr zu Fuß zu folgen und es bei einem Warnschuss in Chemnitz beließ.

Richtig war sicher die schnelle Auswertung aller vorliegenden Informationen und der Schutz der Reisenden am Berliner Flughafen. Richtig auch die rasche Information der Öffentlichkeit. Denn gerade die Öffentlichkeitsfahndung quasi zeitgleich über alle bekannten Netzmedien hinweg versetzte auch die Landsleute des Syrers in Leipzig Paunsdorf in die Lage, einen Verdacht auch innerhalb eigener Facebookcommunitys zu prüfen, ihn festzusetzen und sich bei den Behörden zu melden.

Angeblich sogar mit dem Foto des von ihnen Gefesselten, weil es Verständigungsschwierigkeiten am Telefon mit der Polizei gab. Es scheint fast ein Traum, zu erwarten, dass es bei der sächsischen Polizei nach nunmehr zwei Jahren der intensiven Vorwarnungen sprachkundige Beamte oder wenigstens Mitarbeiter gäbe, die ein Telefonat auf Arabisch führen könnten. Eine andere Frage: Die gleiche Ursache, wie bei der Kampfmontur und der fehlenden Laufbefähigung eingesetzter Spezialkräfte.

Die sich nach wie vor sichtlich schwertun, zu erklären, wie der Verdächtige nach Hinweisen des Verfassungsschutzes vom Freitag am Samstag, den 8. Oktober, trotz Großaktion davonspazieren konnte, um in Leipzig zu landen.

Die Folgen bis jetzt

In der Haft soll Al-Bakr seine Landsleute, bei denen er in der Nacht bis zum 9. Oktober unterkam, gleich mal in ersten Vernehmungen beschuldigt haben, selbst Teil eines Terrornetzwerkes zu sein – unwahrscheinlich, aber weitere Vernehmungen wird es ja mit dem Selbstmordattentäter ohne unschuldig Beteiligte nunmehr nicht mehr geben können.

Was – längst auch typisch sächsisch – die Tür für Verschwörungstheoretiker wie Lutz Bachmann samt Pegida-Anhang öffnet. Für diese ist es ohne weiterführende Informationen schlicht unvorstellbar, dass syrische Flüchtlinge in Deutschland einen Landsmann festsetzen und ihn bei der Polizei melden. Sie müssen Teil des Problems sein und bleiben, damit alles seinen Platz hat: Hier der böse Ausländer – da der gute Deutsche. Doch die Tür für weitere Spekulationen haben erneut die sächsischen Behörden – dieses Mal in der JVA Leipzig – geöffnet.

Wie blöd muss man eigentlich sein?

Der Spiegel hatte Online praktisch vorab auf einen Umstand hingewiesen, den jeder, der sich mit dem Inhaftierten befasste, mehr als präsent haben musste: Jaber Al-Bakr war suizidbereit, Zyniker sagen – logisch bei einem Mann, der mutmaßlich ein Selbstmordattentat am Berliner Flughafen verüben wollte. Nun hat er also vollzogen oder besser in Haft unter Beobachtung vollziehen können. DPA weiß mal wieder mehr und vermeldet, dass sich Al-Bakr erhängt haben soll. Die Fragen stapeln sich, doch das Justizministerium versendet am 12. Oktober nur knapp: Stimmt. Er ist tot.

Wie der wohl aktuell wichtigste Gefangene Sachsens sich selbst im Haftkrankenhaus aufhängen konnte, möchte man lieber mündlich erklären. Sicher wird sich irgendein Mitarbeiter finden, der entweder nicht wusste, dass ein Bademantelgürtel auch ein Strick, ein eigenes Einschlafen am Monitor eben den Überstunden geschuldet oder das Wegsehen ein zufälliges war. Oder es eben an Personal fehlte, um von den Suizidvorhaben Jaber Al-Bakrs nicht überrascht zu werden.

Glauben wird es kaum noch jemand

Nicht derjenige, der Bestes unterstellt und deshalb eher das Versagen in den Planungsetagen, Personalmangel und Abläufen vermutet. Und nicht der Freund von Geheimdienstverschwörungen, der schon längst gewohnt geübt bei Pegida auf Facebook herumhechelt und auf eine Ermordung Al-Bakrs wegen seiner vielleicht noch kommenden Aussagen hinter Führer Bachmann hinterhertippt.

Ganz gleich, was nun also seitens des Justizministeriums und des derzeit eher sehr stillen Innenministeriums dazu noch gesagt werden wird: Langsam sind Erklärungen fast egal. Der Schaden ist bereits eingetreten, mal wieder wurde Vertrauen in Sachsen verspielt. Die Mutmaßungen sind kaum noch einfangbar und jeder baut wohl ab sofort seine eigene Erklärung. Auch, weil es in Sachsen keine Transparenz geben wird, wenn man sich erneut so verhält wie beim NSU, bei unzähligen Übergriffen auf Asylbewerber oder dem fehlenden Eingeständnis, dass das Demokratieverständnis in Sachsen noch immer von oben nach unten funktioniert.

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Es gibt 13 Kommentare

Hat diese ganze Sache nicht von Anfang an auch einen Hauch von “fake”. Was da so alles daneben gegangen ist. Der hochbrisante Sprengstoff wird im Wohngebiet gesprengt, der Täter entwischt der gut ausgerüsteten Polizei und geht trotz Bewachung verloren. Mir kommen jedesmal die Tränen. Ich überlege mal hin und her, ob ich alles für Geld, besser für sehr, sehr viel Geld glauben werde.

Na da bin ich ja froh, dass ich nicht Deutschland bin. Ich hab schon genug damit zu tun, Mensch zu sein.^^

Sabine, wo Du wohnst wissen wir nun, doch Du bist nicht Deutschland und mir ging es darum, wie Sachsen, wie “die Sachsen” nun wahrgenommen wird und werden.
Der Mensch sucht immer die einfache Lösung und das Theater in Sachsen – ob Rechte Idioten oder die der CDU mit ihrem Versagen, es wird tiefe Gräben ziehen und am Ende wird man eine “bearbeitete” Version von “so geht sächsisch” in den Köpfen haben oder auf YouTube sehen 😉

Dann machts doch wenig Sinn, diese auch noch zu verbreiten, oder?
Wenns dich beruhigt, ich wohn in NRW und halte Sachsen weder für einen Versager-Staat noch doof. Ich halte euren Innenmini für einen Versager im Job, ok. Das denk ich über unseren allerdings auch. Ich halte eure Polizei größtenteils für austauschwürdig, aber auch da nicht alle. Und braun – doch nicht ganz Sachsen. Dresden und Umgebung, ja. Da schon eher, vor einem Besuch dorthin würd ich vermutlich jedem abraten. Aber das beziehe ich doch nicht auf ganz Sachsen.
Allerdings les ich auch weder Stern noch Focus und schon gar keine BILD. Und Medien, die ich für schlecht befinde, teile ich auch nicht. Wozu soll ich den Schrott denn noch unterstützen?

@Sabine
“Wer liest denn schon den Stern”. Darum geht es nicht, sondern um das völlig verschobene Bild von Sachsen welches in den bekannten Medien, wozu nun mal Stern und Spiegel maßgeblich gehören, die Runde macht.
Die CDU mit ihrer selbstzerstörenden Politik trägt volle Schuld an dem sächsischen Desaster, in Deuschland (und das ist eben auch Stern und Focus z.B.) wird wohl weniger differenziert ob links, mitte oder rechts – da hat Sachsen verloren und ja, im Stern, der Jörges hat es auf den Punkt gebracht.
“Was im Versager-Staat Sachsen jetzt passieren muss.”

Es wird nicht differenziert werden, leider nicht. Ganz Sachsen ist nun rechts und grotten doof.

Der Dank und die politische Verantwortung geht an die verantwortungslose CDU.

Wer liest denn schon den Stern. Da kannste dir auch gleich ne BILD kaufen.^^
Schön, dass die alle HINTERHER immer so genau wissen, was zu tun ist. Bei dem Blatt würds manchmal schon helfen, wenn die VORHER mal die Klappe halten.

Meine “Anleihe” bei Spiegel und Stern und das Fehlen eigener Worte zu diesem grundlegenden und weitreichenden Versagen der Verantwortlichen ist Ausdruck meiner Hoffnungslosigkeit, Sachsen betreffend.
Wir wurden in 26 Jahren abgewirtschaftet, die Bevölkerung zerrissen, die Ordnungssysteme verstümmelt, die fremdbestimmten Politiker glänzen mit Selbstgefälligkeit.
Es ist so schade um unser Land.

und im Stern tönt es: “Al-Bakr-Suizid: Was im Versager-Staat Sachsen jetzt passieren muss
Der Suizid des Bombenbauers Dschaber al-Bakr in der Leipziger JVA ist trauriger Höhepunkt einer unglaublichen Pannenserie sächsischer Behörden. Was jetzt passieren muss!”

Wie soll er sich denn nicht erhängt haben? Bei Dauerbeobachtung. Es gibt ja auch Selbsttötung durch Feuer bei gefesselten Menschen. Houdini war ein armseliger Wurm dagegen.

Hat jemand Ironie oder Sarkasmus gefunden? Kann er behalten

Ich weiß ja, dass Fernsehkrimis selten etwas mit der Realität zu tun haben und dass z.B. DNA-Analysen nicht – wie im Film – innerhalb von Minuten erledigt sind. Aber ich bin bis jetzt immer davon ausgegangen, dass wenigstens Tatortabsperrungen halbwegs realistisch sind. Macht man sowas im realen Leben nicht mehr?

Die Ausrüstung war zu schwer?!? Echt jetzt? Die jagen Terroristen mit unbeweglichen Michelinmännchen? Wer plant denn solche Einsätze?
Das mit dem Kopfschütteln passt aber. Hier schütteln sogar befreundete Polizisten den Kopf bei den Storys über eure Polizei.

Auf die Erklärungen bin ich trotzdem gespannt! Mal sehen, was sich Ulbig einfallen lässt!

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