Der junge Mann auf der Anklagebank wirkte teilnahmslos, lauschte mit starrem Blick dem Dolmetscher, der die Worte von Staatsanwältin Katrin Minkus übersetzte. Die hatten es in sich: Am 19. Februar 2015 soll Abdelkader Y. (27) in der Asylunterkunft Borna-Thräna mit einem Küchenmesser in die rechte Brust des Tunesiers Meki H. eingestochen haben. Der heute 34-Jährige hatte den Angriff durch eine Notoperation überlebt.
Zu Prozessbeginn machte Abdelkader Y. am Montag von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Damals am Einsatz beteiligte Polizisten brachten mehr Licht ins Dunkel. „Wir erhielten per Funk einen Einsatzbefehl, sind mit drei Fahrzeugen à zwei Personen hin und waren kurz vor 22:30 Uhr vor Ort“, erinnerte sich ein Polizeiwachtmeister. Da lag Meki H. bereits am Boden und wurde von Sanitätern erstversorgt. „Hat er was sagen können?“, wollte Richter Hans Jagenlauf wissen. „Gar nichts. Man hat gedacht, er ist tot“, erwiderte der Beamte.
Der mutmaßliche Täter Abdelkader Y. konnte kurz darauf beim Versuch, über einen Zaun zu entkommen, gestellt werden. „Wenn ich mich richtig erinnere, war er alkoholisiert und aggressiv. Ganz schön herausfordernd“, ergänzte der Polizist. Auch einer seiner Kollegen sprach von einem „markanten Alkoholgeruch“ beim Angeklagten.
Ein damaliger Wachmann (62) in der Asylunterkunft erwähnte ebenfalls die massiven Alkoholprobleme des Asylbewerbers. „Hatte der Angeklagte Freunde?“, fragte Jagenlauf den Sicherheitsmitarbeiter. „Nein.“ Und ob jemand in der Unterkunft Angst vor ihm hatte? Kopfschütteln. War Abdelkader Y. Einzelgänger oder Teil einer Gruppe? „Weiß ich nicht.“ „Es könnte doch sein, dass sich jemand hilfesuchend an Sie gewandt hat“, hielt der Vorsitzende dem Wachmann vor. „Nein.“
Ein anderer Polizist erinnerte sich, stutzig geworden zu sein, als der Angeklagte nach Erklärung der vorläufigen Festnahme sofort in Rechtfertigungen verfiel, er habe „niemanden gestochen“, obwohl lediglich die Rede davon war, jemanden verletzt zu haben.
Das mutmaßliche Opfer, polizeibekannt und seit vergangenem Jahr inhaftiert, trat im Prozess als Nebenkläger auf. Erst zwei Tage vor der Tat war Meki H. aus der Unterkunft Rötha nach Borna gekommen. An jenem Februarabend habe er mit Abdelkader Y. einigen Alkohol konsumiert. Irgendwann habe sich eine Auseinandersetzung entwickelt, gab Meki H. zu Protokoll.
Im Glauben, er wolle mit ihm reden, sei er dann auf den Marokkaner zugegangen und der habe unvermittelt auf ihn eingestochen. „Ich habe geschrien. Dann bin ich runtergefallen.“ Nur das Eingreifen eines weiteren Heimbewohners hätte Schlimmeres verhindert: „Er hat ihn festgehalten, sonst hätte er ein zweites Mal auf mich eingestochen. Ich bin runtergefallen, dann war ich bewusstlos.“
Die augenscheinliche Apathie des Angeklagten wich auch nicht, als Meki H. seinen Pullover nach oben zog und auf die rechte Brust deutete – dorthin, wo ein Stich sein Leben beinahe beendet hätte. Verteidiger André Röhrich stellte eine Aussage seines Mandanten zu einem der nächsten Verhandlungstermine in Aussicht.
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