Verschworene Gemeinschaften, Geheimbünde, Bruderschaften oder eben auch MCs, also Motorradclubs, wie es die ebenso legendären wie berüchtigten „Hells Angels“ oder „Bandidos“ sind, sie alle haben eines gemeinsam: Wer hier nicht zu den Eingeweihten gehört, weiß eigentlich nicht richtig, um was es hier geht. So manches ist Legende, manches wahrer, als man hofft. Mit der wirklichen, der ursprünglichen Leidenschaft, also der reinen Lust am Motorradfahren, haben Clubs wie die durch die aktuellen Ereignisse ins Rampenlicht gerückten United Tribuns oder eben auch die Hells Angels jedoch nur noch wenig zu tun.
Mit der Zweirad-Romantik der auf knatternden Harleys gen Sonnenuntergang fahrenden, zwar grimmig dreinschauenden aber dennoch eigentlich guten Kerle, hat die heutige Club-Realität nur noch wenig zu tun. Sicher gibt es sie noch, die MCs, in denen „gute, harte Kerle“ unterwegs sind. Hofft man so ein bisschen, ein wenig weiß man es, noch mehr versucht man wohl daran zu glauben. Die Faszination jedoch ist ungebrochen.
Aber inzwischen sind die dominanten MCs zu mehr oder weniger gut organisierten Unternehmen mutiert, die knallhart kalkulieren und ebenso agieren, wenn es denn nötig erscheint. So gesehen, sind die MCs bei aller Freiheitsliebe mitten im System von Ausbeutung und Kapitalismus angekommen. Sichtbar auch daran, dass sie immer wieder Charity-Aktionen starten, welche denen großer Unternehmen ähneln. Ein guter Zweck hat noch immer kaschiert, wie das Geld verdient und gesammelt wurde. Dazu kommt eine archaisch anmutende Hierarchie innerhalb der Clubszene, in der es eine klare Rollenverteilung sowie strenge Regeln, Zuordnungen und eine straffe Organisation gibt. Und davon gibt es kein Abweichen.
Denn Regelverletzungen werden innerhalb solcher Bruderschaften, und sie nennen sich auch gegenseitig „Brüder“, konsequent geahndet. Manchem gefällt genau dieses enge Korsett im Namen der Freiheit. Eigentlich erinnert es bei näherer Betrachtung eher an “man muss dienen gelernt haben, um herrschen zu können.”
Outlaws – organisiert wie ein Unternehmen
Die Hierarchien in solchen Clubs sind letztlich der altbekannten Militär-Nomenklatura entlehnt, wenn auch mit englischen Begriffen. Und wie beim Militär gilt hier ebenfalls das Prinzip von Befehl und Gehorsam. An der Spitze eines Chapters/Charters oder Ortsverbandes ist immer der „President“, meist „Präsi“ genannt. Er übt die uneingeschränkte Befehlsgewalt aus. Sein Wort gilt, auch wenn eigentlich das Prinzip “ein Mann, eine Stimme” gilt. Wenn es hart auf hart kommt, schauen alle den Präsi an, welcher aus der eigenen Mitte gewählt wurde. So gesehen, eine echte Vereinsstruktur. Sein Stellvertreter ist der „Vice-President“. Ist diesem, besonders bei Ausfall des Präsidenten, gleichgestellt und kümmert sich um Veranstaltungen, wie Club-Treffen, das Auftreten in der Öffentlichkeit etc..
Ihm folgt der „Sergeant at Arms“, der Waffenmeister, der ganz allgemein für die Ausstattung und Geräte zuständig ist (wie man am 25. Juni gesehen hat, eben auch für Waffen) und sich natürlich folgend um den Schutz des Clubs nach außen kümmert. Der „Road Captain“ ist so was wie der Schirrmeister, zuständig für den Fuhrpark und die Ausfahrten. Schatzmeister ist der „Treasurer“; klar, er wacht über die Finanzen. Der „Secretary“ ist Buchhalter, Schriftführer, Büroleiter. Verantwortlich für die Verständigung und den Schriftverkehr mit anderen Chapters/Ortsverbänden und Supportern.
Dann kommen die „Members“, also normale Mitglieder, die in der Regel auch mehr oder weniger normalen Jobs, wie eigentlich alle Clubmitglieder, nachgehen. Grundsätzlich gilt: Wer keinen Job hat, bekommt einen besorgt, so schafft man ein eigenes soziales Netz, was niemanden fallenlässt. Heißt, die unterste Ebene betreibt oder überwacht eben auch Bordelle und Bars oder arbeitet z.B. für mit den Clubs meist verbandelten Security-Unternehmen zusammen. In der militärischen Abfolge kommen danach nur noch die „Prospects“ und die „Hangarounds“.
Die Unterstützerstruktur
Wie die Bezeichnung schon sagt, sind die „Prospects“ Anwärter auf eine Club-Vollmitgliedschaft. Den bisherigen Erkenntnissen nach soll das erschossene Mitglied der United Tribuns Leipzig ein solcher Prospect gewesen sein. Nun fordern erste Facbook-Fans die volle Mitgliedschaft natürlich post-mortem, als Auszeichnung für seine Verdienste. Nicht ganz unwichtig für seine Familie – im Sinne der Struktur wird auch diese nicht vergessen. Wer für seinen Verein stirbt, wird durchaus dekoriert und es wird an die Familie gedacht – wie im “normalen” Krieg.
Schließlich gibt es noch „Hangarounds“, die von Members eingeführt werden. Sie erledigen niedere Arbeiten, machen den einfachen Türsteher und ähnliche aufgetragene Arbeiten. Hier ist zwischen ein bis drei Jahren Durchalten und manchmal auch mehr angesagt. Außerhalb dieser Hierarchie bewegen sich die „Supporter“, also Unterstützer für die wenigen großen Clubs. In der Regel sind das befreundete, kleinere Clubs, die mit ihren großen Vorbildern sympathisieren. Als Beispiel seien hier die „Red Devils“ genannt, die in Leipzig mit den Hells Angels in Verbindung stehen oder standen.
Im Zweifel und in harten Zeiten sollen sie – natürlich straffrei für das Mutterschiff – echt harte Arbeiten erledigen und so beweisen, dass sie würdig sind, in das System wirklich integriert zu werden. Da ist auch gern mal eine handfeste Prügelei oder mehr gefordert, sofern es der Club nicht allein erledigen will. Wer sich beweist, darf zu den großen Jungs und mitspielen. Der Rest wird bei Laune gehalten oder fliegt über kurz oder lang wieder raus.
Hinzu kommen die wirtschaftlichen Nutznießer
Designagenturen, Grafiker, Webseitengestalter, Veranstalter von Fightnights, Tattoo-Conventions, Vermieter, Immobilien- und Clubbesitzer – wer mitspielt, kann mit Renditen rechnen oder wird ruiniert – ganz nach Gusto des Clubs. Es gilt das Prinzip, welches durch die Ablehnung der Staatsgewalt zugunsten privater Klärung heißt: Wenn dieser oder jener Club nicht für Ordnung in der Stadt sorgt, tut es ein anderer. Insofern versuchen sich die Hells Angels, Bandidos oder andere MCs bis zu den neueren Streetgangs immer auch als verlässliche Größe zu präsentieren, um gegen gutes Geld Ruhe da zu garantieren, wo staatliche Strukturen sich zurückziehen oder keinen Zugriff zu haben scheinen.
Bis im besten Falle niemand mehr fragt, wie die Ruhe eigentlich ohne sie gesichert werden könnte. Ein Beispiel dafür ist der Aufstieg Frank Hanebuth´s in Hannover – eine Hells Angels-Karriere, welche viele zu beflügeln scheint, ihm nachzueifern. Denn nur dann wird in diesen Strukturen das meiste Geld verdient, wobei die Renditen bei Immobiliengeschäften und vor allem Bordellbetrieben am höchsten sind. Auch hier gilt das Prinzip: Irgendwer muss es ja machen, denn die Nachfrage (der Männer) in den Bordellen ist ja da.
Darauf weiß derzeit der Freistaat Sachsen offenkundig keine Antwort, die Berichte der L-IZ zum systematischen Abbau der Sicherheitsarchitektur des Staats sind in den letzten fünf Jahren unzählig. Er spart an Polizeibeamten und an eigener Sicherheit, was die Lücken weiter vergrößert. Doch bereits in den frühen 90er Jahren konnte sich eine privat organisierte Sicherheitsbranche für die reichere Gesellschaft und das Veranstaltungsgewerbe in Leipzig eines raschen Aufschwungs erfreuen.
Die “Gegner” und die Abwehr
Das Phänomen der Clubs wie es die Leipziger „United Tribuns“ sind, ist, dass es eigentlich keine „typischen Motorradclubs“ sind. Bikes spielen in diesen Bruderschaften eine eher untergeordnete Rolle, auch wenn – was fast eine Kampfansage darstellt – der bosnische Chef der Tribuns, Almir Ćulum alias „Boki“, 2015 gegenüber einem BILD-Video-Team feststellte, dass man auf dem Weg zu einem “Outlaw Motorcycle Club” sei, da die Dichte an Motorrädern unter den Mitgliedern wachse.
Das eigentlich Verbindende dieser Box- oder Streetgangs ist eher der Migrationshintergrund und die Ansage, sich aus Türstehern, also der sichtbarsten aller Geschäfte, zusammenzusetzen. Ihr Auftreten wird, ob in Ost oder West, von den alteingesessenen MCs mit großem Argwohn und, man kann es nun mit dem 25. Juni 2016 in der Eisenbahnstraße nicht mehr leugnen, mit wachsender Feindschaft betrachtet.
Das hat vor allem geschäftliche Hintergründe
Hier geht es um Interessen, um Revierkämpfe, das Beherrschen von ganzen Stadt- und Szenevierteln, um die meist indirekte Beteiligung an Bordellen, manchmal auch Drogen- und Waffengeschäften, Spielhallen oder Kneipen und Bars. Insofern ist der Vorfall in der Eisenbahnstraße wohl kaum als Zufall zu betrachten, die United Tribuns melden Ansprüche an und bedrohen die Hells Angels in Leipzig.
Überdies liegt es nahe, dass es sich bei der Tat am 25. Juni 2015 in der Eisenbahnstraße um eine „Auftragsarbeit“ handeln könnte, es also größere Zusammenhänge in ganz Deutschland gibt. Zwei 30 und 33-jährige Hells Angel stehen im Verdacht, den tödlichen Schuss und die weiteren Schüsse abgegeben zu haben. Und dies praktisch vor Publikum am hellichten Tag. Zufall? Wohl kaum. Es ist gang und gäbe, dass MC-Members, die einem strengen Kodex unterliegen, für ihren Club in bedrohlichen Situationen auch bereit sind, die harte Gefängnisbank zu drücken. Eben diese Bereitschaft erzeugt die eigentliche Macht der Hells Angels seit der ersten Sekunde ihrer Gründung 1948 in den USA.
Und dieser letzte Schritt ist für die Angels durchaus auch Ehrensache. Es gilt als eine besondere Auszeichnung, für den Club dieses Opfer gebracht zu haben. Ein Opfer, welches einem die Brüder nicht vergessen werden, weil es den Club selbst erhält und den gewonnenen Einfluss festigt. Ob die United Tribuns auch dazu bereit sind, jemanden zu töten, werden die kommenden Tage in Leipzig zeigen.
Mit Rockerromantik hat das natürlich nichts zu tun
Das hinterlässt einen bitteren Beigeschmack und die Frage, wie solche Parallelgesellschaften sich eigentlich unter den Augen der Sicherheitsbehörden in Leipzig etablieren konnten. Denn mehr als auf heftige Vorfälle reagiert haben eben diese Institutionen bisher nicht. Mit dem Aufkommen der Hells Angels 2008 in Leipzig ist der L-IZ auch ein mündliches Abkommen mit der damaligen Führungsspitze der Polizei Leipzig bekannt. Es lautet: Keine Machtdemonstrationen oder Schwerstkriminalität in der Stadt gegen gemeinsame Ruhe. Nun haben es die Hells Angels Leipzig unter hohem Druck seitens der United Tribuns gebrochen.
Weshalb derzeit einige Fragen bleiben: Welch ein Anblick ist es, wenn Polizisten mit Maschinenpistolen durch die Eisenbahnstraße patrouillieren müssen? Natürlich ein trauriger, der auch von einer gewissen Ratlosigkeit zeugt. Und welch ein Imageschaden ist dies für eine ansonsten doch so weltoffene Stadt wie Leipzig, wenn sich nun die ersten Gewalttäter aus der Einwandererstruktur herausschälen. Dabei ist letztendlich auch augenfällig, dass ein Club wie die United Tribuns durch solche Ereignisse zwangsläufig in eine Art Opferrolle gedrängt wird. Natürlich auch ein Unding, denn sie sind keines.
Es bleibt nach wie vor abzuwarten, wie die „Opfer“ reagieren werden. Es gibt nur zwei Optionen: Rückzug oder Kampf. Denn Szenekenner wissen: Es kann letztlich nur einen (pro Stadt) geben. Für den Moment haben die Hells Angels ein für Leipziger und deutsche Verhältnisse überdeutliches Ausrufezeichen gesetzt und einen Tribun erschossen.
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