Seit Pegida und Legida durch Sachsen marschieren, hat auch die demokratische Demonstrationskultur ein Problem. Immer wieder versuchen einige Akteure aus dem ganz linken Spektrum die Kundgebungen zu nutzen, um aus einem friedlichen Protest heraus zu gewaltsamen Aktionen zu kommen. Das begann schon am 12. Januar 2015 am Rande des Protests gegen Legida in Leipzig. Am 15. Januar sorgte es für das peinliche Finale einer Demonstration zur Flüchtlingspolitik.
Dass im Lauf des Jahres bis zum 12. Dezember 2015 noch einige dieser völlig sinnfreien Aktionen dazu kamen, die eben nicht nur zur Zerstörung von Fensterscheiben und Steinewürfen auf die Polizei führten, ist bekannt. Jede dieser Aktionen hat zu ebenso sinnfreiem Aufschreien von scheinbar besorgten Politikern gesorgt. Die man am Ende ebenfalls nicht ernst nehmen kann, weil sie nie über die Forderung nach einem weiteren harten Vorgehen gegen die Gewalttäter hinausgingen. Doch wie sehr genau das ins Leere läuft, wurde bei jeder einzelnen Aktion wieder deutlich.
Innenminister Markus Ulbig durfte ja jüngst erst wieder in der LVZ beklagen, dass es seiner aufs Nötigste zusammengesparten Polizei augenscheinlich viel schwerer fällt, die linken Krawallos dingfest zu machen, als die rechten Brandstifter. Was natürlich peinlich genug war, denn die Ermittlungsintensität gegen die Angreifer sächsischer Asylunterkünfte begann ja ebenfalls mit einjähriger Verspätung erst richtig – viel zu spät, erst vom Innenminister forciert, als Clausnitz und Bautzen auch dem naivsten Politiker endlich deutlich machten, dass Sachsen am rechten Rand und mit rechtsextremen Netzwerken ein gewaltiges Problem hat, dem man mit Gesprächen und Aussitzen nicht beikommt.
Dass man sich mit „linken“ Gewalttätern noch schwerer tut, hat ein paar simple Gründe. Einer davon ist: Sie nutzen die in der Regel friedliche Gegenproteste gegen die fremdenfeindlichen Umtriebe in Sachsen und agieren direkt aus Kundgebungen heraus, die selbst friedlich sind und auch friedliche Ziele verfolgen. Oder sie nutzen solche Spontandemonstrationen wie am 15. Januar 2015 und ergreifen die erste Gelegenheit der Konfrontation mit der Polizei, um zu Gewalt zu greifen – in diesem Fall gingen etliche hundert Fensterscheiben zu Bruch, Polizeifahrzeuge wurden zerstört.
Und die Polizei, die auf diese Demo nicht vorbereitet war, agierte relativ unkoordiniert und wusste auch nicht wirklich mit den Demonstranten umzugehen, auch wenn sich die Kundgebung von rund 600 bis 700 Menschen nach den ersten Aufforderungen zerstreute. Rund 150 Menschen wurden wenig später trotzdem eingekesselt und über Stunden festgehalten, von Vielen die Mobiltelefone eingesammelt. Vielleicht in der Hoffnung, so der tatsächlichen Gewalttäter irgendwie habhaft zu werden. Eine überzogene Aktion, wie auch mehrere Rechtsanwälte im Nachhinein kommentierten.
Und sie ging dann auch genauso aus, wie zu erwarten war: die meisten Mobiltelefone mussten schon bis August zurückgegeben werden, ohne dass sich ein begründbarer Verdacht auf Straftaten der Besitzer ergeben hatte. In 30 Fällen waren die Geräte auch verschlüsselt und nicht auslesbar – auf Weisung der Staatsanwaltschaft mussten die meisten damals ebenfalls – unausgelesen – zurückgegeben werden.
Die Landtagsabgeordnete der Linksfraktion, Juliane Nagel, hat nun ein halbes Jahr später noch einmal nachgefragt, was aus dem Rest der eingesammelten Geräte geworden ist. Immerhin war gut die Hälfte seinerzeit noch zur Auswertung bei der Polizei. Und sie fragte nach dem Stand der Ermittlungsverfahren. Denn irgendetwas muss doch dabei herauskommen, wenn man gegen 198 Personen ermittelt. Das war ja wohl der Zweck des Polizeikessels gewesen und der umfassenden Einsammelaktion von Handys.
Das Ergebnis ist eigentlich, wie es zu erwarten war: Von 198 Verfahren mussten 191 eingestellt werden, „da im Ergebnis der durchgeführten Ermittlungen der für eine Anklageerhebung gebotene hinreichende Tatverdacht für eine Strafbarkeit der jeweiligen Beschuldigten als Täter oder Teilnehmer eines Landfriedensbruchs in einem besonders schweren Fall“ nicht nachweisbar war.
Wie unsinnig es ist, diesen § 125 aus dem Strafgesetzbuch gegen komplette Demonstrationen anzuwenden, wenn man es mit Einzeltätern zu tun hat, wird deutlich, wenn man liest, was in dem Paragraphen steht: „Wer sich an 1. Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen oder 2. Bedrohungen von Menschen mit einer Gewalttätigkeit, die aus einer Menschenmenge in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften begangen werden, als Täter oder Teilnehmer beteiligt oder wer auf die Menschenmenge einwirkt, um ihre Bereitschaft zu solchen Handlungen zu fördern“, macht sich strafbar.
Was im Folgeschluss eben auch heißt: Wer sich friedlich an solchen Kundgebungen beteiligt, macht sich nicht strafbar. Aber genau das ist die Grauzone, mit der gerade in Sachsen versucht wird, die Demonstranten aus dem linken Spektrum alle in einen Topf zu schmeißen und die Taten einzelner Gewalttäter (auch wenn sie in verabredeten Gruppen auftreten) gleich dem gesamten „linken“ Protest anzulasten. Das Ergebnis ist unübersehbar: Öffentlich wird über die Gewalttäter diskutiert, nicht über das Anliegen der Demonstrationen. Und die Staatsanwaltschaften beschäftigen sich über Jahre mit völlig sinnfreien Ermittlungen, an deren Ende bestenfalls Ordnungsgelder stehen oder – wie jetzt auch für den 15. Januar 2015 – reihenweise komplette Verfahrenseinstellungen.
Dass damit das Problem der Polizei nicht gelöst ist, der wirklichen Gewalttäter habhaft zu werden, wird nur allzu deutlich. Das Einkassieren von Handys ist sichtlich kein Mittel, mit dem das bewerkstelligt werden kann. Lediglich gegen sieben Personen wird weiter ermittelt. Und von einer achten Person weiß man zwar, dass sie sich an den Ausschreitungen beteiligt hat, hat aber keine Personenangaben dazu.
Aber selbst diese acht Ermittlungen verlaufen augenscheinlich schwer, denn zur Anklage kann es erst kommen, wenn den Beschuldigten auch konkrete Taten zugewiesen werden können.
Innenminister Markus Ulbig: „Eine Angabe dazu, wann und mit welchem Ergebnis die noch anhängenden Verfahren abgeschlossen werden, ist nicht möglich.“ Das ist nach über einem Jahr Ermittlungen zumindest frustrierend für die Ermittler, die ja in diesem Fall auch deshalb auf die Daten aus den Handys der anderen Demonstrationsteilnehmer zurückgegriffen haben, um die vorgekommenen Straftaten belegen zu können. Deswegen sind die ausgelesenen Daten alle noch bei der Polizei gespeichert. Das hatte Markus Ulbig im August auf die vorige Anfrage von Juliane Nagel festgestellt: „Soweit die Staatsanwaltschaft durch das Auslesen von sichergestellten Mobiltelefonen und vergleichbaren Datenträgern Daten erhoben hat, erfolgt deren Löschung auch in den bereits eingestellten Verfahren erst dann, wenn endgültig feststeht, dass sie keine Verfahrensrelevanz mehr haben. Dies wird spätestens dann der Fall sein, wenn alle Verfahren im Zusammenhang mit den gewalttätigen Auseinandersetzungen vom 15. Januar 2015 abgeschlossen sind.“
Was ganz bestimmt ein delikater juristischer Vorgang ist. Ist das Einkassieren der Geräte durch eine richterliche Anordnung gedeckt? Dürfen auf diese Weise beschaffte Beweise überhaupt vor Gericht benutzt werden? Was auch auf die diversen Film- und Fotoaufnahmen der Demonstrationsteilnehmer zutrifft. Möglicherweise führt genau das dazu, dass auch die verbliebenen acht Verdachtsfälle nicht zu einer richtigen Anklage wegen schweren Landfriedensbruchs reifen.
Die Anfrage von Juliane Nagel zum 15. Januar 2015 aus dem August 2015. Drs.3288
Die Anfrage von Juliane Nagel zum 15. Januar 2015 vom April 2016. Drs. 4694
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