Ein Faustschlag in den Magen eines Minderjährigen und ein Angriff auf einen filmenden Fan der BSG Chemie – in zwei Fällen mutmaßlicher Polizeigewalt hatten sächsische Gerichte in dieser Woche zu entscheiden. Während es sich bei dem Faustschlag nach Ansicht des Landgerichts Chemnitz um eine „angemessene“ Maßnahme handelte, bewertete das Amtsgericht Leipzig den Polizeieinsatz in Zwenkau als gefährliche Körperverletzung.

Ein junger Mann mit rotem Hut steigt auf einen Sitzplatz und filmt mit seinem Handy aus mehreren Metern Entfernung eine polizeiliche Maßnahme. Ein behelmter Beamter, der scheinbar an ihm vorbeigeht, dreht sich ruckartig in seine Richtung und reißt ihn brutal herunter. Gemeinsam mit einem zweiten Polizisten drückt der Beamte den jungen Mann zu Boden, während dieser „Was soll denn das?“ schreit. Dann greift er nach dem Handy und schleudert dieses gegen eine Wand, wo es in mehrere Einzelteile zerbricht.

Ereignet hat sich dieser Vorfall nach einem Fußballspiel zwischen dem VfB Zwenkau und der BSG Chemie Leipzig im September 2013. Etwa 20 Leipziger Fans sollen vor dem Spiel in einem Supermarkt Waren im Wert von 500 Euro gestohlen haben. Die Polizei mobilisierte ihre Kräfte daraufhin zu einem Großeinsatz auf dem kleinen Sportplatz, in dessen Verlauf es zu zahlreichen Auseinandersetzungen und Festnahmen kam.

Später wurden mehrere Beteiligte zu Geldstrafen wegen Beleidigung verurteilt. Die meisten Verfahren wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz, Landfriedensbruch und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte wurden eingestellt. Der Polizist, der den Handyfilmer zu Boden riss, wurde heute am Amtsgericht Leipzig wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe in Höhe von 5.850 Euro verurteilt. Sein Kollege wurde freigesprochen.

Die Beamten gehörten der sogenannten Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) an. Zwischen dieser und Fans von Chemie Leipzig kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen. Fanprojekt und Verein hatten nach dem Einsatz in Zwenkau scharfe Kritik an dem Verhalten der Polizei geübt. Es soll zu unverhältnismäßigem Einsatz von Gewalt gekommen sein. Auch seien andere Menschen am Filmen der Polizeimaßnahme gehindert worden. Der Strafverteidiger Udo Vetter kritisierte dieses Vorgehen damals gegenüber Spiegel Online.

Nachtrag: Im Nachgang zum erstinstanzlichen Urteil meldete sich der „Rechtshilfekollektiv Chemie Leipzig e.V.“ zu Wort und begrüßte heute den Richterspruch. Nicht ohne darauf hinzuweisen, dass es sich bei den Tagessätzen um die Mindesthöhe handelt und der zweite Beamte freigesprochen wurde. Weiter schildert der Verein die Stimmung aus dem Gerichtssaal aus seiner Sicht: „In der Verhandlung versuchte einer der Beamten die Körperverletzung im Nachhinein als taktisch gerechtfertigte Maßnahme zu legitimieren. Für Empörung im Saal sorgte die Aussage, das Opfer `hätte ihn angesprungen`.“

Ein seltsamer Rechtfertigungsversuch angesichts der klaren Beweislage vom Tag in Zwenkau.

Für Fabian Grundmann, Sprecher des Rechtshilfekollektivs Chemie Leipzig e.V., ist das Urteil dennoch ein Erfolg: „Nachdem PolizistInnen bei Dienstvergehen und Verfehlungen in der Regel nicht zur Verantwortung gezogen werden, ist das heutige Urteil ein kleiner Schritt, um Polizeigewalt stärker zu ächten.“ Insbesondere bei Fußballspieleinsätzen gäbe es oft massive Kritik am unverhältnismäßigen Agieren der Polizei. Die „Spezialkräfte“ der BFE agieren dabei zumeist an vorderster Front „und äußerst brutal. Ihre Identifikation ist aufgrund der fehlenden Kennzeichnungspflicht in Sachsen und dem vermummten Auftreten der Polizisten in der Regel nicht möglich.“, heißt es seitens des Vereins.

Freispruch in Chemnitz

Während das Amtsgericht Leipzig die polizeiliche Maßnahme in Zwenkau als gefährliche Körperverletzung wertete, kam das Landgericht Chemnitz zu Beginn der Woche in einem ähnlichen Fall zu einem anderen Ergebnis. Hierbei ging es um einen zum damaligen Zeitpunkt 16-jährigen Schüler, der gegen eine Pegida-Kundgebung in Chemnitz demonstrierte und von der Polizei abgeführt wurde. Als sich der unbewaffnete Minderjährige beim Gehen kurz aufrichtete, schlug ihm ein Polizist mit der Faust in die Magengegend. Der Schüler fiel schreiend zu Boden und wurde teilweise bis zum Polizeiwagen geschleift. Der Fall sorgte für Aufsehen, weil ein Journalist die Handlungen filmte.

Im vergangenen Jahr hatte das Amtsgericht Chemnitz den Beamten zu einer Geldstrafe verurteilt. Dieses Urteil hob das Landgericht nun auf und sprach den Polizisten frei. Die Bild-Zeitung titelte daraufhin in Anspielung auf die Begründung des Richters: „Polizist prügelte ‚angemessen‘“. Der Beamte habe sich lediglich der sogenannten Schocktechnik bedient.

Klaus Bartl, der rechtspolitische Sprecher der Linksfraktion im sächsischen Landtag, übte Kritik an den polizeilichen Maßnahmen: „Diese Form der ‚Bearbeitung‘ eines nicht aggressiven, nicht flüchtenden Demonstranten kann in einem demokratischen Rechtsstaat kein ordnungsgemäßes polizeiliches Handeln sein.“ Er forderte Innenminister Markus Ulbig (CDU) dazu auf, „für Abhilfe zu sorgen“.

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