Fast dreieinhalb Jahre nach dem Urteil gegen Kino.to-Chef Dirk B. findet vor dem Leipziger Landgericht wieder ein groรer Raubkopierer-Prozess statt. Auf der Anklagebank sitzt seit Freitag ein Mitbetreiber des Nachfolgeportals KinoX.to, das bis heute online ist.
Avit O. (32) soll von Mรคrz 2009 bis Oktober 2014 einem raffiniert gestrickten Geschรคftsnetzwerk mit mafiรถsen Zรผgen angehรถrt haben. Staatsanwalt Till Neumann benรถtigte รผber drei Stunden, um den 69-seitigen Anklagesatz zu verlesen. Demnach soll der Angeklagte mit illegalen Streaming-Diensten viel Geld verdient haben. Zunรคchst war der Angeklagte fรผr Kino.to als โSicherheitsbeauftragterโ tรคtig.
Der Lรผbecker soll sich Zugang zu den klandestinen Strukturen um den Leipziger Dirk B. verschafft haben, indem er mittels seiner Hacking-Fรคhigkeiten die Identitรคt der anonymen Betreiber ausspรคhen konnte. Diese รผberzeugte er anschlieรend von seinen guten Absichten, das Projekt vor weiteren Sicherheitslรผcken und Hacking-Angriffen schรผtzen zu wollen. Fortan war er nur Dirk B. und Bastian P. untergeordnet. Zu dem introvertierten Informatiker verband den Hacker ab 2010 auch eine persรถnliche Freundschaft.
Als sรคchsische Ermittler den harten Mitarbeiterkern um Grรผnder Dirk B. und Chefprogrammierer Bastian P. festnahmen, entging Avit O., trotz seiner exponierten Stellung in der internen Hierarchie, der Strafverfolgung. Der umtriebige Netzaktivist hatte sich seinen Komplizen nur unter dem Decknamen โPedroโ vorgestellt. Seine wahre Identitรคt behielt er fรผr sich.
Nachdem die Dresdner Generalstaatsanwaltschaft die Server des populรคren Streaming-Dienstes abschalten lieร, beteiligte sich der Norddeutsche laut Anklage an der Grรผndung von KinoX.to. Das Nachfolgeprojekt basiert auf einem รคlteren Backup der Kino.to-Software, das sich Avit O. รผber den russischen Hoster des Portals beschafft haben soll. Insgesamt soll der Angeklagte รผber Werbung und Abo-Zahlungen rund 1,25 Mio. Euro vereinnahmt haben.

Die Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechten (GVU) vermutet offenbar, dass mit Avit O. der Kopf der Raubkopierer-Bande auf der Anklagebank sitzen kรถnnte. Der Lobbyverein der Verwertungsindustrie hatte durch Strafanzeigen die Verfahren gegen Kino.to und KinoX.to in die Gรคnge gebracht. Die Ermittler von GVU und Landeskriminalamt gehen seit einer groร angelegten Razzia im Oktober 2014 davon aus, dass Avit O. das Streaming-Protal gemeinsam mit den Brรผdern Kreshnik und Kastriot Salimi betrieben hat.
Die Mรคnner sollen sich von frรผheren Projekten in der sogenannten Warez-Szene gekannt haben, die sich mit der illegalen Verbreitung urheberrechtlich geschรผtzter Werke รผber das Internet beschรคftigt. Neben KinoX.to rechnen ihnen die IT-Ermittler den Betrieb weiterer Download- und Filesharing-Dienste im Raubkopie-Bereich zu. Das sรคchsische Landeskriminalamt stuft die Mรคnner als gefรคhrlich ein. โEs kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie im Besitz von Schusswaffen sindโ, teilt die Behรถrde im Internet mit.

In Szenekreisen sind die Mรคnner aus Paunsdorf (Schleswig-Holstein) fรผr ihre aggressive Expansionsstrategie berรผchtigt. Wer sich ihrem Willen nicht beugt, muss mit Drohungen und Gewalttaten rechnen. Im Jahr 2011 sollen sie das Fahrzeug der Mutter eines Konkurrenten in Brand gesteckt haben. Ihr Aufenthaltsort ist unbekannt. Es wird spekuliert, dass sie Deutschland schon im Juli 2011 verlassen haben, nachdem die Staatsanwaltschaft Avit O. im Fall Kino.to als Beschuldigten vernommen hatte. Die 22 und 26 Jahre alten Brรผder werden mit internationalem Haftbefehl gesucht.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat Avit O. neben millionenfacher Verletzung von Urheberrechten wegen Nรถtigung, Computersabotage und Steuerhinterziehung angeklagt. Sein Verteidiger Endrik Wilhelm beantragte am Freitag, das Verfahren einzustellen. Die Verlesung des umfangreichen Anklagesatzes habe zu einer Vorverurteilung seines Mandanten gefรผhrt. โDer Verstoร gegen den Grundsatz des โfair trialโ lรคsst sich nicht mehr behebenโ, meinte der Dresdner Rechtsanwalt.
Weiterhin beantragte Wilhelm die Aufhebung des Haftbefehls. Gegen Avit O. bestรผnde kein dringender Tatverdacht. Die Staatsanwaltschaft wรผrde den Angeklagten willkรผrlich verfolgen, wรคhrend Konzerne wie Google oder Youtube, die gleichfalls Urheberrechte zu gewerblichen Zwecken verletzen, keine Strafe befรผrchten mรผssten. โDie Bereitstellung von Links ist keine Wiedergabe eines Filmsโ, kritisierte der Verteidiger zudem die Rechtsprechung der Wirtschaftskammer im Fall Kino.to. Das Gericht mรถchte frรผhestens am Dienstag รผber die Antrรคge entscheiden.
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