Im Herbst findet am Landgericht einer der spektakulรคrsten Drogenprozesse der Post-DDR-รra statt. Ein 20-Jรคhriger soll von seinem Gohliser Kinderzimmer aus von Dezember 2013 bis Februar 2015 รผber das Internet mit hunderten Kilo Rauschgift gedealt haben. Sein Webshop โShiny Flakesโ galt unter Konsumenten und Zwischenhรคndlern als zuverlรคssige Bezugsquelle fรผr verbotene Betรคubungsmittel und verschreibungspflichtige Medikamente.
Spรคtestens seit Ende Dezember 2013 soll Maximilian S. unter dem Decknamen โShiny Flakesโ einen Online-Versand betrieben haben. Zum Sortiment zรคhlten mit Ausnahme von Marihuana und Heroin alle erdenklichen Rauschgifte. Auรerdem verschreibungspflichtige Medikamente, die in der Drogen- und Fitness-Szene missbrรคuchlich konsumiert werden.
Der Leipziger baute zwei inhaltlich identische Verkaufsplattformen auf. Eine war im sogenannten โDarknetโ erreichbar. Dies ist ein verschlรผsselter Teil des Internets, der nur mittels spezieller Software abrufbar ist. Eine zweite konnten potenzielle Kunden unter wechselnden Domains im frei zugรคnglichen Internet ansurfen.
Die Kundenbestellung wickelte S. mittels der zweisprachigen Webshop-Software โWooCommerceโ ab. Besucher der Seiten hatten den Eindruck, in einem gewรถhnlichen Online-Warenhaus zu verkehren, dessen Sortiment nicht aus Bรผchern, Klamotten und CDs, sondern aus Methamphetamin, Ecstasy-Tabletten und Kokain bestand.
Daneben verkaufte der Erwerbslose die Drogen รผber das Szeneforum โcrimenetwork.bizโ und die Darknet-Plattformen โPandoraโ, โEvolutionโ und โAgoraโ. Dort nannte er sich โShiny Flakesโ oder โDonCamilloโ โ der Name des italenischen Restaurants, in dem der Drogenhรคndler eine Lehre als Koch begann, aber nicht beendete.

Um seine Identitรคt zu verschleiern, griff Maximilian S. auf Verschlรผsselungs- und Anonymisierungsdienste zurรผck. Die Webseiten hostete er auf Server in den Niederlanden. Als Zahlungsmittel akzeptierte er ausschlieรlich das Crypto-Zahlungsmittel Bitcoins. Die virtuelle Wรคhrung lรคsst keinerlei Rรผckschlรผsse auf die User zu, die eine Transaktion tรคtigen.
Die Kunden stammten nach Erkenntnissen der Ermittler รผberwiegend aus Deutschland, aber auch aus dem europรคischen Ausland, Nordamerika, Indonesien und Australien. Den Drogenversand wickelte Maximilian S. mittels DHL ab โ mit fiktiven Absenderangaben. Sein Fehler. Weil einzelne Sendungen nicht zugestellt werden konnten, lieร die Post diese รถffnen.
Recherchen fรถrderten zu Tage, dass die Sendungen im Raum Leipzig verschickt worden sein mรผssen. รber Sendungsnummern fanden die Ermittler Hinweise auf die verwendeten Paketboxen und Briefkรคsten. Umfangreiche Observationen fรผhrten die Drogenfahnder schlieรlich zu Maximilian S. Am 26. Februar nahm ein Spezialeinsatzkommando den Groรhรคndler in seinem Kinderzimmer fest.
Unmittelbar zuvor hatte er unter den Augen der Polizei von dem bulgarischen Kurierfahrer Zhivko Z. sieben Drogenpakete in Empfang genommen.
Das Kinderzimmer als Geschรคftsraum
Die Ermittler beschlagnahmten in S.โ โGeschรคftsrรคumenโ โ seinem Kinderzimmer โ รผber 300 Kilo Rauschgift und tausende Tabletten. Insgesamt soll der Groรhรคndler mit รผber 914 Kilo an Betรคubungsmitteln hantiert haben.
Die Umsรคtze beziffert die Staatsanwaltschaft auf rund vier Millionen Euro. Auf beschlagnahmten Computern fanden die Beamten eine umfangreiche Kundendatei, die sie zu zahlreichen Abnehmern fรผhrte. In 27 Fรคllen konnten sie beschlagnahmte Pakete darin aufgefรผhrten Bestellvorgรคngen exakt zuordnen.
Besonders freuten sich die Ermittler รผber die Datei โwichtige_logins.txtโ. Die darin abgespeicherten Passwรถrter lassen darauf schlieรen, dass Maximilian S. den Shop alleine, ohne Zutun irgendwelcher Hintermรคnner betrieben hat. Ungewiss bleibt vorerst, aus welchen Quellen er die Drogen bezogen hat. Bekannt ist lediglich, dass der Kurier Z. seine Lieferung in einem Opel Astra mit Stuttgarter Kennzeichen aus den Niederlanden nach Leipzig brachte.
Der Fall versetzte selbst gestandene Kriminalisten in Erstaunen. Maximilian S. ist nicht der klassische Hinterzimmer-Dealer aus dem Bilderbuch. Und auch nicht der klischeebeladene Drogenpate aus den Mafia-Filmen. Der Leipziger hatte gerade seinen 19. Geburtstag gefeiert, als er im Dezember 2013 โShiny Flakesโ ins Leben gerufen haben soll. Ab der 5. Klasse besuchte er das Gymnasium.
Wegen schlechter schulischer Leistungen musste er die 8. Klasse wiederholen. Als er das Klassenziel abermals verpasste, wurde er auf die Mittelschule versetzt. 2011 erreichte er mit durchschnittlichen Leistungen den Realschulabschluss. Er begann eine Lehre zum Restaurantfachmann, die er 2013 abbrach. Hatte er mit den Drogen ein lukrativeres Geschรคftsfeld entdeckt, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten?
Den Drogenshop betrieb er aus dem Kinderzimmer. Der Raum soll fรผr die Eltern stets verschlossen gewesen sein. Mutter Carmen S. und Stiefvater Uwe S., mit denen er seit 2010 in einem DDR-Neubau in der Landsberger Straรe lebte, erzรคhlten den Behรถrden, sie hรคtten von den kriminellen Aktivitรคten nichts mitbekommen. Dass ihr Sohn nach Abbruch der Lehre keine Sozialleistungen beantragte, sondern von Erspartem lebte, machte das Paar nicht stutzig.
Mutter und Stiefvater sollen im fraglichen Zeitraum berufstรคtig gewesen sein. Ihr Sohn hatte ihnen offenbar erzรคhlt, er arbeite von Zuhause aus als Webdesigner. Der Heranwachsende hatte sogar ein Gewerbe angemeldet. Vermutlich sollte die Firma nicht nur der Vortรคuschung einer bรผrgerlichen Fassade, sondern auch der Geldwรคsche dienen. Im anstehenden Prozess sollen Mutter und Stiefvater gegen ihren Sohn aussagen.
Haaranalysen haben ergeben, dass Maximilian selbst MDMA, Tramadol und Diazepam konsumiert hat. Ein Gutachter soll klรคren, ob er wegen seiner Sucht mรถglicherweise im Maรregelvollzug untergebracht werden muss. Bisher ist er nicht vorbestraft. Nun drohen ihm bis zu 15 Jahren Haft.
Angesichts der ungeheuren Rauschgiftmengen erscheint eine Freiheitsstrafe am oberen Ende des Strafrahmens wahrscheinlich. Es sei denn, das Gericht erkennt in der Persรถnlichkeit des Angeklagten Reifedefizite. Da Maximilian S. zur Tatzeit unter 21 Jahre alt war, wรคre in dem Fall eine mildere Jugendstrafe โ bis zu zehn Jahren Haft โ mรถglich.
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