Was passiert eigentlich mit einem Land, in dem die Infrastrukturen ausgedünnt sind und ganze Regionen abgehängt werden von einer eigentlich ganz selbstverständlichen Versorgung? In den vergangenen Jahren haben die Grünen die sächsische Staatsregierung mit der Frage gequält, wie schnell denn überhaupt die Polizei noch am Einsatzort ist. Jetzt haben sie es mal mit Rettungsdiensten versucht. Mit verblüffendem Ergebnis.
Oder auch nicht. Denn besonders schlecht ist die Einhaltung der Hilfszeiten in den abgelegeneren sächsischen Landkreisen. Im Erzgebirge etwa, wo die Rettungsfahrzeuge nur in 82 bis 83 Prozent der Fälle rechtzeitig am Einsatzort eintreffen.
Und die Regelung, was als “rechtzeitig” gilt, ist schon weit bemessen, wie Volkmar Zschocke, Vorsitzender der Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag, feststellt: Das Rettungsdienstgesetz in Sachsen sieht eine Hilfsfrist von zehn Minuten vor. Diese Vorgabe ist erfüllt, wenn 95 Prozent der Einsatzfahrzeuge binnen 12 Minuten am Einsatzort eintreffen. So weit die Theorie.
Volkmar Zschocke wollte nun jedoch von der Staatsregierung wissen, ob die Vorgabe in der Praxis auch umgesetzt wird. Stellt dann aber nach der Antwort von Sozialministerin Barbara Klepsch fest, dass er nicht besondes viel auf seine Kleine Anfrage erfahren hat.
“In den Jahren 2010 bis 2012 waren die Einsatzfahrzeuge nur in 87 bis 88 Prozent der Fälle fristgemäß vor Ort. Noch problematischer ist die Aussage, dass für 2013 und 2014 gar keine aussagekräftigen Zahlen vorliegen. Ob die Notfallrettung in den vergangenen beiden Jahren die gesetzliche Hilfsfrist eingehalten hat, ist also nicht mehr nachprüfbar. Innenminister Markus Ulbig (CDU) verletzt hier klar seine Pflicht als oberste Aufsichtsbehörde für den Rettungsdienst in Sachsen.”
Die Begründung von Barbara Klepsch, die die Auskunft gab, liest sich denn auch ziemlich verwickelt: Das Juni-Hochwasser 2013 soll schuld daran sein, dass es keine verlässlichen Zahlen gäbe, und die gestaffelte Inbetriebnahme der Regionalleitstellen. Als hätten die Leitstellen vor und nach Inbetriebnahme ihrer neuen Leitstellen einfach aufgehört, die Einsatzzeiten zu erfassen. Was eigentlich ein Witz ist. Dazu sind sie gesetzlich verpflichtet. Einzig möglich ist die Interpretation, dass die Zahlen nicht vergleichbar sein könnten, weil sich Einsatzradien und Einsatzstrecken verändert haben. Dass ausgerechnet die Software für eine solche Einsatzerfassung Probleme bereitet haben soll, ist schon bedenklich. Hat man denn eine Software eingesetzt, die so neu war, dass sie noch nicht mal in der Praxis geprüft wurde?
Aber auch zu den Einsatzstrecken und den nicht eingehaltenen Zeiten bis zum Eintreffen am Einsatzort hat die Staatsregierung eine fantasievolle Erklärung:
“Die Verschlechterung in den Jahren 2010 bis 2012 wird mit ‘Witterungseinflüssen, Straßenbaumaßnahmen, ungenauen Ortsangaben oder Einsätzen außerhalb des Rettungswachen-Bereichs’ begründet”, grübelt Zschocke über dieses seltsame Erklärungs-Wirrwarr. “Ob die Einhaltung der Hilfsfristen 2013 und 2014 besser geworden ist, kann laut Aussagen von Gesundheitsministerin Barbara Klepsch (CDU) ‘aufgrund des Juni-Hochwassers 2013 sowie der gestaffelten Inbetriebnahme der Integrierten Regionalleitstellen’ nicht beantwortet werden.”
Für Zschocke klingt das wie ein Haufen fauler Ausreden, der verschleiert, wie es tatsächlich um die sächsischen Rettungsdienste steht. Denn mit der teuren Installation eines neuen Netzes von Rettungsleitstellen hatte sich Sachsens Regierung ja kürzere Einsatzzeiten und reibungslosere Abläufe versprochen. Oder man hatte es zumindest dem Volke versprochen, dem man das neue Rettungsleitstellen-System als Fortschritt anpries. Wenn es aber einer wäre, dann müsste sich ja spätestens im Jahr 2 der Inbetriebnahme zeigen, wie sich die Einsatzleistungen verbessern. Aber wie interpretiert man das völlige Fehlen von Zahlen?
“Dass seit zwei Jahren keine Daten zur Einsatzdauer vorliegen, ist nicht hinnehmbar. Auch ‘Schwierigkeiten der Software im auswertenden Statistik-Modul’ sind keine Entschuldigung. Immerhin handelt es sich um eine gesetzliche Hilfsfrist, die im Ernstfall über Leben und Tod entscheidet”, stellt Volkmar Zschocke nüchtern fest. “Ich fordere Gesundheitsministerin Barbara Klepsch (CDU) und Innenminister Markus Ulbig (CDU) auf, der ärztlichen (Not-)Versorgung insbesondere im ländlichen Raum höchste Priorität einzuräumen. Sie müssen die gesetzlichen Möglichkeiten nutzen, um die Angebote der ärztlichen (Not-)Versorgung aufeinander abzustimmen. Das gemeinsame Landesgremium nach § 90a SGB V muss zügig für eine bessere Bedarfsplanung genutzt werden. Das ist bisher nicht passiert, trotz Ankündigung im Koalitionsvertrag. Stattdessen schiebt das Sozialministerium die Verantwortung an den Landesbeirat für Brandschutz, Rettungsdienst und Katastrophenschutz ab.”
Und dass die Nachfragerei einen guten Grund hat, betonen die Grünen noch extra. Denn die Absicherung der Rettungszeiten ist auch im Freistaat Sachsen gesetzlich geregelt: Die vorgeschriebene Hilfsfrist von zehn Minuten ist in §26 Absatz 2 Satz 7 des Sächsischen Gesetzes über Brandschutz, Rettungsdienst und Katastrophenschutz geregelt. Wenn die Staatsregierung die Grundlagen nicht dafür schafft, dass die Zeiten möglichst 100-prozentig eingehalten werden, leiden die Bürger darunter – insbesonderer jene, für die dann jede Hilfe zu spät kommt.
Die Kleine Anfrage “Notarztversorgung in Sachsen (Drs 6/1924)”.
Keine Kommentare bisher