Fast zwei Wochen nach den schweren Krawallen rund ums Bundesverwaltungsgericht sind auf dem Szene-Portal "Indymedia Linksunten" zwei Bekennerschreiben aufgetaucht. Demnach richteten sich die Ausschreitungen primär gegen Polizeibeamte. Ob zwischen den Verfassern und den Randalierern ein personeller Zusammenhang besteht, lässt sich anhand der Inhalte nicht feststellen.
Dass am 5. Juni ab zirka 22:30 Uhr etwa 100 Linksextremisten vom Johannapark aus randalierend zum Bundesverwaltungsgericht zogen und dabei erheblichen Sachschaden anrichteten, ist mittlerweile unstrittig. Die Polizei konnte in Tatortnähe einen 35-Jährigen festnehmen, der den Beamten als Szeneangehöriger bekannt gewesen ist. Bei der Durchsuchung seiner Wohnräume beschlagnahmten Staatsschützer vier Tage später unter anderem Datenträger und diverse Schriftstücke.
Der linken Szene dienen militante Aktionen als Teil einer Kommunikationsstrategie üblicherweise zur Erlangung öffentlicher Aufmerksamkeit. In der Folge erscheint für gewöhnlich ein Bekennerschreiben, in welchem der Anschlag mit einem vermeintlichen oder tatsächlichen politischen Misstand verargumentiert wird. So zum Beispiel geschah es im Umfeld der Angiffe auf die Ausländerbehörde im Technischen Rathaus.
Nach den Krawallen am 5. Juni blieben Bekennerschreiben über eine auffällig lange Zeit aus. Erst eine Woche nach der Tat, am 12. Juni, veröffentlichten “Autonome Gruppen (1. Liga)” einen Beitrag auf “Indymedia Linksunten”. Ein Boulevard-Blatt machte aus der offensichtlichen Chiffre sogleich eine schlagfertige Organisation, die es schaffe, binnen kurzer Zeit 100 Chaoten zu mobilisieren. Weit gefehlt. Solch eine Vereinigung existiert nicht.
Vielmehr besteht die Leipziger Szene seit Jahren aus einem unübersichtlichen Geflecht aus Kleingruppen und Freundeskreisen. Hierarchische Strukturen sind dem Milieu von Natur aus ein Dorn im Auge. Zu Spontandemos wird meist mit klandestinen Mitteln mobilisiert, etwa mittels verschlüsselter E-Mails oder Chat-Nachrichten, aber auch per Mundpropaganda. Wer den Aufruf in die Welt gesetzt hat, lässt sich manchmal selbst für Teilnehmer, polizeiliche Ermittler oder recherchierende Journalisten nicht nachvollziehen.
Umso unwahrscheinlicher erscheint daher die Annahme, die Autoren der Bekennerschreiben würden für alle Randalierer sprechen. Wenngleich beide Texte in Duktus und Wortwahl diesen Anschein erwecken wollen, dürfte es sich um den Versuch einzelner Aktivisten handeln, auf einen fahrenden Zug aufzuspringen. Denn seit dem 6. Juni tobt im Freistaat eine politische Debatte über den künftigen Umgang mit dem vermeintlichen Linksextremismus-Problem in der Messestadt vor dem Hintergrund der gewaltsamen Angriffe vom 5. Juni.
Leipzigs Polizeipräsident Bernd Merbitz dramatisierte den Vorfall gegenüber einer Lokalzeitung nochmals besonders. “Schöne Worte haben die Kollegen und Kolleginnen, die mittlerweile beinahe regelmäßig in massivster Form mit Pflastersteinen und Molotowcocktails angegriffen werden, nunmehr genügend gehört.” Dass die Leipziger Linken in den seltensten Fällen zu Brandsätzen greifen, erwähnte der CDU-Mann nicht, um im nächsten Atemzug gebetsmühlenartig seine Forderung nach mehr Polizeikräften zu wiederholen.
Was in der Sache auch ganz ohne linksextreme Gewalt im wachsenden Leipzig bei bislang gleichbleibenden Beamtenzahlen grundsätzlich richtig ist, wird dabei auch als politische Waffe in Stellung gebracht. Im Sächsischen Landtag kam es am 11. Juni zu einer aktuellen Stunde, in welcher sich die CDU in Schuldzuweisungen gegenüber Linken und Grünen erging, jedoch keine echten Lösungen auf den Tisch legte.
Und Innenminister Markus Ulbig (CDU) schlug den Wunsch seines Leipziger Parteikollegen prompt in den Wind.
Möglicherweise überdenkt der Minister seine Haltung, wenn er die beiden “Bekennerschreiben” zu Gesicht bekommt. “Hierbei kam es zu Angriffen auf diverse städtische Einrichtungen, das Bundesverwaltungsgericht und vorrangig jedoch auf anrückende Polizeikräfte. Mehrere Schweine wurden verletzt, 3 ihrer Fahrzeuge zerstört”, ist im ersten Text in menschenfeinlichem Idiom zu lesen.
“Die Gewalt (…) richtet sich nicht gegen die Ausgebeuteten und Verdrängten, sondern gegen die Ausbeuter und Verdränger, gegen euch und eure Strukturen, gegen die Gerichte, die Bullen, die Staatsanwaltschaft, die Behörden”, heißt es im zweiten Beitrag. Mit der kruden Vermengung von Gewaltfetischismus und Größenwahn könnten die Autoren wenn auch noch nicht gleich, so doch perspektivisch das Gegenteil von dem bezweckt haben, was sie eigentlich erreichen wollten.
Die Polizei ermittelt mit einer Sonderkommission gegen die weitestgehend unbekannten Täter. Ihnen wird schwerer Landfriedensbruch zur Last gelegt. Die Beamten gehen im Augenblick nicht fest davon aus, dass die beiden Bekennerschreiben von den Personen verfasst worden sind, die die Krawalle verantworten. Beide Texte enthalten keinerlei Täterwissen. “Ob die Schreiber der Internetveröffentlichung deckungsgleich mit Tätern vom 5. Juni sind, kann – und auch das ist logisch – erst gesagt werden, wenn sie namentlich bekannt sind und der entsprechende Nachweis geführt wurde”, teilte Polizeisprecher Andreas Loepki auf L-IZ -Nachfrage mit.
Wie auch schon bei den Nazi-Verquickungen mit Legida und der Polizei gilt: Polizeiermittlungen müssen einer Prüfung länger standhalten, als die Tagesausgabe einer Zeitung. Unter anderem vor Gericht, wenn die Schuld eines jeden einzelnen Täters vom 5. Juni bewiesen werden muss. Falls genug Beamte zum ermitteln da sind.
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