Das Fanprojekt Nürnberg beschwert sich in einem Offenen Brief bei Innenminister Markus Ulbig (CDU) über den Polizeieinsatz am vergangenen Sonntag in Leipzig. Die Anhänger des 1. FC Nürnberg seien rund ums Auswärtsspiel bei RB Leipzig von den Sicherheitskräften willkürlich schikaniert worden. Die Darstellung der Polizei und Wahrnehmungen der Reporter von L-IZ.de lassen an dieser Sichtweise zweifeln.
Zwei Redakteure der L-IZ waren am Sonntag bei der Ankunft des Sonderzugs der Nürnberger Ultra-Szene am Leipziger Hauptbahnhof zugegen. Kaum hatten die ersten Fans Bahnsteig 14 betreten, explodierte der erste Kanonenschlag. Roter Rauch stieg empor. Ein FCN-Fan bedrohte einen Pressefotografen. Auf dem Weg zu den 13 Shuttle-Bussen, die in der Kurt-Schumacher-Straße warteten, lieferten sich einzelne Ultras Rangeleien mit der Polizei. Eine gefüllte Bierdose flog durch die Luft.
“Die Stimmung war total entspannt und null aggressiv”, findet dagegen Heino Hassler. Der Mitarbeiter des Fanprojekts Nürnberg, der den FCN-Anhang seit 1989 zu Heim- und Auswärtsspielen begleitet, erhebt im Zusammenhang mit dem RB-Spiel schwere Vorwürfe gegen die Sicherheitskräfte. “Was dann die Nürnberger Fans erleben mussten war, gelinde gesagt, der übelste Polizeieinsatz den ich in den über 1.000 Spielen je erlebt habe.”
Am Stadion seien die FCN-Fans von der Polizei bei den Einlasskontrollen schikaniert worden. “Durch die peniblen Leibesvisitationen der Ordner war die Stimmung nicht mehr gut und es gab erste kleine Zwischenfälle, verursacht durch ein total überfordertes Ordnerpersonal”, berichtet Hassler. “Viele jugendliche Fans wurden geschlagen und mit Tränengas besprüht. Obwohl die große Mehrheit der Nürnberger Fans bereits um 12:00 Uhr an den Eingängen anstand, kamen viele Fans erst 15 Min. nach Spielbeginn, also um 13:45 Uhr, ins Stadion.”
Auf Nachfrage räumt Hassler immerhin gegenüber L-IZ.de ein, dass sich einzelne Fans gewaltsam Zutritt zum Stadion verschaffen wollten. “Diese einzelnen Nürnberger Fans hatten die schikanösen Kontrollen satt.” So hätten sich minderjährige Mädchen laut Hassler bis auf den BH ausziehen und in den Schritt fassen lassen müssen.
Hasslers Kollegin Katja Erlspeck-Tröger wird in einer Stellungnahme, die seit Mittwoch auf der Homepage des Fanprojekts abrufbar ist, ein wenig konkreter. “Nach ca. drei Minuten kippte die Situation, und plötzlich brach eine Auseinandersetzung zwischen Ordnungsdienst und Fans aus. Die Polizei schritt ein. Dabei kam es zu massivem Pfeffersprayeinsatz wahllos in die Menge.” Was der Auslöser der Rangelei gewesen ist, bleibt im Dunkeln.
RB Leipzig äußerte sich bisher nicht zu den Vorwürfen. “Wir sind noch mit diversen Stellen in der Auswertungsphase”, sagt Pressesprecher Sharif Shoukry. Nach Darstellung der Leipziger Polizei ereigneten sich am Gästeeingang kleinere Tumulte. Die umfassenden Einlasskontrollen waren dabei offenbar berechtigt, zumindest, wenn man auf das Ergebnis schaut. Der Ordnungsdienst soll dem Vernehmen nach zahlreiche verbotene Gegenstände sichergestellt haben, die Gästefans ins Stadion schmuggeln wollten.
Ein Banner hatten die Security-Mitarbeiter allerdings übersehen. Anhänger von Rapid Wien entrollten im Gästeblock ein Transparent, auf dem sie Pressesprecher Sharif Shoukry als “Judas” – also als Verräter – beschimpften. Hintergrund: Shoukry war bis Sommer 2011 für den österreichischen Hauptstadtclub tätig. Ob der Vorfall für den 1. FC Nürnberg Konsequenzen nach sich ziehen wird, ist im Augenblick noch nicht klar.
“Im Zuge des Einlasses der Gästefans kam es unter diesen zu einer aggressiven Stimmung, die sich mit dem näher rückenden Spielbeginn steigerte”, schildert Polizeisprecher Andreas Loepki die Situation. “Letztlich standen Straftaten wie Körperverletzungen und Sachbeschädigungen zu befürchten, die ein Agieren der Polizei unumgänglich machten. Durch schnelles Einschreiten – auch unter Anwendung unmittelbaren Zwangs – konnte die Situation letztlich so weit beruhigt werden, dass der Einlass in geordneten Bahnen verlaufen konnte.”
Nach Spielende sollen sich laut Nürnberger Fanprojekt “Jagdszenen” abgespielt haben. “Bei Betreten des Hauptbahnhofs versuchte die Polizei, die Gruppe der Nürnberger Ultras ohne ersichtlichen Grund zu trennen. Als dies offensichtlich nicht schnell genug vonstatten ging, wurden einzelne Fans zu Boden gebracht, ihnen wurden Handschellen angelegt und sie wurden anschließend über den Boden schleifend zur Einsatzwache im Bahnhof bzw. zu den vor dem Bahnhof stehenden Polizeifahrzeugen gebracht”, beklagt sich Hassler. Der “absolute Höhepunkt” sei “der Einsatz einer ca. 25 Mann starken Polizeigruppe” gewesen, die auf dem Bahnsteig wahllos auf Fans eingeprügelt habe.
“Die Begleitung zum Hauptbahnhof verlief ohne größere Vorkommnisse. Die Stimmungslage gestaltete sich dann nochmals schwierig, weil im Bahnhofsgebäude seitens der Bundespolizei Identitätsfeststellungen durchgeführt wurden”, so Loepki. “Jene fanden jedoch nicht aus Anlass des Rückreiseverhaltens statt, sondern waren im Verhalten der Gästefans bei der Ankunft begründet. Diese Maßnahmen mussten zeitweise durch Kräfte der Landespolizei unterstützt werden.” Die Polizei agierte demzufolge keineswegs so wahllos, wie es das Nürnberger Fanprojekt darstellt, sondern ergriff vermeintliche Täter, die für die Rangeleien am Vormittag verantwortlich sein sollen. Zur Zahl der Identitätsfeststellungen machte Loepki keine Angaben.
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