Am Mittwoch, 25. März, hat Sachsens Innenminister Markus Ulbig dem Kabinett die Polizeiliche Kriminalstatistik für 2014 vorgestellt. Wäre das ein Gremium, in dem Berichterstatter auch Verantwortung für ihre Arbeit übernehmen müssten, hätte Ulbig am Mittwoch seine Demission einreichen müssen. Denn die 2014er Statistik ist die Bilanz seiner Arbeit in den vergangenen fünf Jahren.
Und die waren nun einmal geprägt von einer undurchdachten Narretei namens “Polizeireform 2020”. Kein verantwortlicher Innenminister beginnt ein solches Sparprogramm bei der Polizei und eine solche Ausdünnung der Dienststellen, wenn ihm gerade eine wachsende Zahl von Straftaten um die Ohren flattert. Oder hat sich Ulbig einfach vom historischen Tiefststand der sächsischen Straftatenbilanz im Wahljahr 2009 einlullen lassen und dann nie wieder in die Kriminalstatistik geschaut? Das ist kaum vorstellbar.
2014 wurden in ganz Sachsen 327.196 Straftaten registriert. Das waren 4,7 Prozent mehr als 2013. Die Aufklärungsquote lag unverändert bei 54,8 Prozent. Aber das Jahr 2013 war ja selbst schon ein Jahr in einer Reihe, in der die Straftaten seit 2010 kontinuierlich anzogen: von 279.467 im Jahr 2009 auf nunmehr 327.196. Das sind fast 50.000 Straftaten mehr – ein sattes Plus von 17 Prozent. In so einer Situation weite Teile des Landes ganz und gar von Polizei zu entblößen, kann man nur als politische Narretei bezeichnen. Oder – den betroffenen Bürgern gegenüber – als reine Verantwortungslosigkeit.
Dabei weiß das Innenministerium ganz genau, was für ein Problem da mit den Crystal-Küchen jenseits der sächsischen Grenze herangewachsen ist: “Die Entwicklung der Gesamtkriminalität in Sachsen wird überwiegend durch die Anstiege im Bereich der Eigentumskriminalität determiniert. Ursache für die wachsende Zahl von Diebstählen ist der gestiegene Konsum von Crystal. Die Droge erzeugt bei den Betroffenen eine hochgradige Abhängigkeit und einen damit verbundenen hohen Beschaffungsdruck.”
Und wie kommentiert das Innenminister Markus Ulbig?
Der CDU-Politiker dazu: „Der kritische Trend zeigt die große gesamtgesellschaftliche Herausforderung im Bereich Crystal. Meine Anerkennung für die Polizei, die bei gestiegener Kriminalitätsbelastung die Aufklärungsquote stabil gehalten hat. Es wird auch eine Aufgabe der Fachkommission sein, welche Rückschlüsse für die Polizei aus dem kritischen Trend gezogen werden müssen.“
Da werden sich Sachsens Polizisten wohl ziemlich geehrt gefühlt haben. Gerade von der höchst verantwortungslosen Idee, jetzt wieder eine Fachkommission einzusetzen, die “Rückschlüsse ziehen soll”. Dabei wissen Sachsens Polizisten längst genau, was getan werden müsste. Sie kennen die Vertriebskanäle, haben ja mittlerweile hunderte Dealer und Drogenkutscher hopp genommen. Sie wissen auch, wo das Teufelszeug gekocht wird. Aber was ihnen fehlt, ist eine wirklich funktionierende deutsch-tschechische Einsatzgruppe, die auch die Hintermänner auffliegen lassen kann. Da helfen alle Erfolgsnachrichten über beschlagnahmte Drogen oder einkassierte Dealer nichts. Das ist nur das Fußvolk, für das sich immer Ersatz findet. Wer keine Instrumente in der Hand hat, die Hintermänner einzukassieren, der hat die Arbeit von Sisyphos. Oder soll man von der berühmten Hydra sprechen, der die Köpfe immer wieder nachwachsen?
Dass der Minister am Mittwoch gar noch so tat, als sei das so klar gar nicht, dürfte etliche Uniformierte und Nichtuniformierte eher zu einem sarkastischen Lächeln animiert haben. “Eine vorläufige methodisch nicht abschließende Analyse des Landeskriminalamtes legt den Schluss nahe, dass ein erheblicher Teil der Eigentumsdelikte tatsächlich Drogenbeschaffungskriminalität ist”, meldete das Innenministerium. “Die Untersuchung deutet an, dass inzwischen rund ein Drittel aller Fälle von besonders schwerem Diebstahl durch Konsumenten harter Drogen begangen wird. Im Jahr 2009 lag dieser Anteil noch bei 15 Prozent und damit halb so hoch.”
Das ist selbst im Suchtbericht der Stadt Leipzig für das Jahr 2013 schon deutlicher nachzulesen: “Auch Crystal ist als harte Droge einzustufen. Hierbei liegt eine geringere Preisgestaltung im Verhältnis zum hohen Wirkungsgrad vor. Bekannt wird, dass für die Finanzierung der Sucht zunächst vorhandene Eigenmittel aufgewendet und ausgeschöpft werden. Es kann davon ausgegangen werden, dass bei steigendem Bedarf Straftaten wie verschiedene Betrugsarten angewandt werden, um den Finanzbedarf zu decken. Die polizeiliche Erfahrung indiziert, dass chronisch und stark Crystalabhängige die niedrigste Hemmschwelle zur Erlangung von Finanzierungsmitteln auf illegale Weise, also durch indirekte Beschaffungskriminalität aufweisen. Als Schwerpunkte indirekter Beschaffungskriminalität gelten im Stadtgebiet Leipzig Raub, Wohnungseinbruch und besonders schwerer Diebstahl (BSD) an/aus Kfz.”
Weil Methamphetamin die Hemmschwelle für kriminelle Handlungen so stark senkt, wurde es beim Einsatz in der deutschen Wehrmacht auch als “Pervitin” in Tablettenform unter die Soldaten gebracht. Mittlerweile scheint auch belegt zu sein, dass Adolf Hitler selbst das Zeug nahm und am Ende unter einer Abhängigkeit davon litt – und dass sein körperlicher Verfall am Ende direkt mit der Wirkung der Droge zusammen hing. Der Mann war ein Crystal-Junkie und hat sich auch genau so benommen.
Dass die Zahlen der (indirekten) Beschaffungskriminalität seit 2010 so drastisch steigen, hat aber nicht nur mit der Enthemmung der Drogenabhängigen zu tun, sondern auch mit der Menge an Geld, die sie benötigen, um ihre Sucht zu befriedigen: “Es kann davon ausgegangen werden, dass Konsumentinnen und Konsumenten harter Drogen, welche chronisch abhängig sind, im Raum Leipzig unverändert 50 bis 80 Euro pro Tag benötigen, um den BtM-Erwerb zur Befriedigung ihrer Sucht zu finanzieren. Das Ausmaß der Kosten für die Drogen- und Begleitkriminalität kann demnach nur geschätzt werden. Aufgrund der ungenügenden finanziellen Ausstattung von Konsumenten harter Drogen im Raum Leipzig ist weiterhin davon auszugehen, dass dieser Bedarf in erster Linie durch die Begehung von Straftaten der indirekten Beschaffungskriminalität gedeckt wird. Der direkte wirtschaftliche Schaden wird sehr hoch eingeschätzt, bemerkt man, dass sich der Hehlpreis für gestohlene Güter bei weit unter 50 % des Zeitwerts bewegt und daher entsprechende Mengen entwendet werden müssen, um ausreichend Geldwert zu erhalten, alternativ direkt Betäubungsmittel”. So ist es im Suchtbericht 2014 der Stadt Leipzig zu lesen.
Das Ergebnis dieser Entwicklung nun im sächsischen Kriminalitätsbericht
Statistisch gab es im Bereich Eigentumskriminalität ein Plus von 5,4 Prozent oder absolut 7.369 Straftaten. Das ist mehr als die Hälfte des Gesamtkriminalitätsanstieges (+14.696 Fälle) innerhalb der Polizeilichen Kriminalstatistik 2014.
Auch die erfassten Rauschgiftdelikte haben im letzten Jahr um 11,4 Prozent zugenommen – das entspricht 1.073 zusätzlichen Fällen, stellt das Innenministerium fest. Und klopft den Beamten mal auf die Schulter: “Die höhere Zahl an registrierten Drogendelikten ist auch Ausfluss der Anstrengungen der sächsischen Polizei im Bereich der Strafverfolgung. Drogendelikte sind Kontrolldelikte – je intensiver die Überprüfungen der Polizei, desto höher die Fallzahlen in der Statistik.”
Was aber am Problem gar nichts ändert. Denn so lange sich die Polizeiarbeit auf die Junkies selbst beschränkt, wird sich an der Szene der eigentlichen “Geschäftsleute” nichts ändern.
Und während der Innenminister von einer “großen gesamtgesellschaftlichen Herausforderung” schwatzt und eine Kommission prüfen lassen will, tutet Christian Hartmann, innenpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, ins selbe Horn: “Der Anstieg der Straftaten im Bereich der Drogenkriminalität und der Eigentumsdelikte, die nicht selten der Finanzierung des Drogenkonsums dienen, macht deutlich, dass wir im Freistaat weiter vor großen Herausforderungen stehen, insbesondere im Kampf gegen die Droge Crystal Meth. Der bereits im Vorjahr von der Sächsischen Staatsregierung verabschiedete Zehn-Punkte-Plan zur Prävention und Bekämpfung des Crystal-Konsums muss weiter konsequent verfolgt werden. Aus Sicht der CDU-Fraktion bedarf es hierbei einer weiteren personellen und sachlichen Verstärkung der kriminalpolizeilichen Arbeit. Neben Polizei und Justiz sind genauso Schulen, medizinische und soziale Einrichtungen, aber auch Elternhäuser in der Pflicht.”
Hartmann war selbst Polizist. Er müsste eigentlich mitbekommen haben, wie die “Polizeireform 2020” die Ressourcen der sächsischen Polizei geschwächt hat. Dass er jetzt eine “weitere personelle und sachliche Verstärkung der kriminalpolizeilichen Arbeit” fordert, ist nach den Ulbigschen Reformen recht erstaunlich.
Für Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Sächsischen Landtag, sind die Zahlen zur Krimininalität der Beleg dafür, dass der Innenminister in den letzten Jahren die falschen Weichen gestellt hat.
“Der Innenminister wird zum Kronzeugen gegen seine eigene Politik. Der erneute Anstieg bei den Einbruchsdelikten bestätigt mich in meiner Forderung nach der Einstellung von mehr Polizei, insbesondere im ländlichen Raum und bei den Kriminalitätsschwerpunkten Eigentumsdelikte und Delikte im grenznahen Raum”, sagt er. “Auch die sinkende Aufklärungsquote von 54,8 Prozent im Jahr 2014 gegenüber Quoten über 58 Prozent in den Jahren 2003-2007 macht einmal mehr deutlich: Sachsen braucht mehr Polizei. Wir werden die Forderung nach der Mehreinstellung von 200 Polizisten über die Pläne der CDU/SPD-Koalition hinaus in das Haushaltsverfahren einbringen.”
Noch ein paar Zahlen zur Kriminalitätsentwicklung
Diebstahl: Mit einem Anteil von 44,2 Prozent der insgesamt erfassten Straftaten wurden Diebstahldelikte auch in diesem Jahr am häufigsten registriert. Anstiege gab es in den Bereichen Ladendiebstahl (+6 Prozent), Diebstahl an/aus Kraftfahrzeugen +8,1 Prozent), Diebstahl von Fahrrädern (+5,7 Prozent) und Diebstahl von unbaren Zahlungsmitteln (+10 Prozent).
Bei Wohnungseinbrüchen gab es im Jahr 2014 einen Anstieg um 6,9 Prozent auf 3.869 Fälle.
Im Jahr 2014 gab es insgesamt 3.448 Diebstähle von Kraftwagen. Das ist eine Zunahme von 104 Fällen beziehungsweise 3,1 Prozent. Die häufigsten Diebstähle ereigneten sich in Gemeinden mit 100.000 und mehr Einwohnern.
446 Fälle wurden in den direkten Grenzgemeinden registriert. Das ist eine Abnahme von 67 Fällen. 262 Fälle entfielen auf Gemeinden entlang der polnischen sowie 184 Fälle auf Gemeinden entlang der tschechischen Grenze.
Die erfolgreiche Arbeit der seit Ende 2013 eingesetzten „Soko Kfz“ zeigt sich in der gestiegen Aufklärungsquote bei Kraftfahrzeugdiebstählen. Die Quote stieg auf 26,2 Prozent. Im Jahr 2013 betrug die Aufklärungsquote noch 24 Prozent.
Die Polizei registrierte 104.713 Tatverdächtige. Davon waren 82,6 Prozent Erwachsene, 6.818 Personen waren Heranwachsende. Der Anteil der Jugendlichen betrug 7 Prozent, der Anteil der Kinder 3,9 Prozent.
Im Jahr 2014 gab es 40.272 Personen, die Opfer einer Straftat wurden. Das ist ein Anstieg um 1.967 im Vergleich zum Vorjahr. Betroffen waren zu 40,4 Prozent weibliche und zu 59,6 Prozent männliche Bürger.
Die Polizei ermittelte im Jahr 2014 in 179.236 Fällen erfolgreich. Die Gesamtaufklärungsquote lag wie im Vorjahr bei 54,8 Prozent.
Bei Gewaltdelikten konnten in drei von vier Fällen (76,1 Prozent) Tatverdächtige ermittelt werden. Die Aufklärungsquote bei besonders schweren Fällen von Diebstahl betrug hingegen nur 16,1 Prozent.
Der 10-Punkte-Plan zur Prävention und Bekämpfung des Crystal-Konsums als pdf zum Download.
Es gibt 7 Kommentare
Danke fürs Löschen, liebe Moderation.
Das wurde auch mal Zeit, dass hier einige Formulierungen (ich nehme mich auch nicht aus) durch Löschen entschärft werden.
Vielen Dank nochmals, und weiterhin gute Arbeit! 🙂
Mit besten Grüßen
Stefan
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Klaus, hätte im Artikel eine Angabe “1000 Euro pro Tag” gestanden, hätten Sie es wohl anstandslos geglaubt!?
Ihr Kommentar zeigt in wenigen Zeilen schon deutlich, dass Sie sich mit der Drogenproblematik maximal kaum, eher gar nicht befasst haben.
Weshalb greifen Sie dann einen anderen Kommentator an?
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Wahrscheinlich bin ich zu blöd, um Ihre Ausführungen zu verstehen. Geht das nur mir so?
Anm. d. Red.: Dieser Kommentar wurde von uns geändert. Bitte beachten Sie die Kommentarregeln.
Wie bitte?! Ich würde gerne wissen, durch welche meiner Aussagen Sie sich zu solch einer kruden Hypothese veranlasst sehen.
Alledings sehe ich mich veranlasst, Ihre Formulierung “Teufelsdroge” zu kritisieren. Diese Formulierung entspricht eben nicht den Erlebnissen, die sich beim Konsum der hoch potenten und individuell sowie gesellschaftlich schädlichen(!) Substanz einstellen. Solche Polemik schadet einem Präventionsansatz, der angesichts der gegebenen Umstände (insbesondere: psychoaktive Substanzen sind immer häufiger und einfacher verfügbar) über die Wirkungen und Folgen des Konsums aufklären und dadurch vor Abhängigkeit und deren gefährlichen Auswirkungen schützen will.
Ich würde gern wissen, welche Aussage uns willie hier vermitteln möchte. Das soll doch nicht etwa mit einer Verharmlosung dieser Teufelsdroge sowie der damit verbundenen Beschaffungskriminalität, von den schlimmen Folgen des Konsum gar nicht erst zu reden, verbunden sein?
Die Vermutungen zum täglichen finanziellen Bedarf Drogenabhängiger “im Raum Leipzig unverändert 50 bis 80 Euro pro Tag” sind reine Polemik und waren schon falsch, als sie der vorhergehende Leipziger Polizeipräsident herunterbetete. Die im Zusammenhang zitierte Studie von Arthur Kreuzer belegt, dass die Angaben über den eigenen Drogenkonsum (und die dafür benötigte Mittel) regelmäßig *zu hoch* sind. Darüber hinaus ist Crystal Meth deutlich preiswerter (als Heroin) und ca. drei Tage lang wirksam. Wie sollte also die damals schon zu hohe Angabe heute noch Bestand haben?