Immer wieder kam und kommt es im Umfeld der Legida-Demonstrationen und der Gegenproteste in Leipzig zu massiven, gegenseitigen Vorwรผrfen wegen Gewaltanwendungen, Beleidigungen und Tรคtlichkeiten. Auch gegenรผber der Polizei, welche sich spรคtestens am 30. Januar 2015 mit einer Situation konfrontiert sah, die bedenklich wurde. Und dabei hart durchgriff. In einer polizeilichen Gesamtschau, welche derzeit wenigstens zum Teil mรถglich ist, ergibt sich nun auf L-IZ-Nachfrage ein Bild, welches Sachsens Innenminister Ulbig offenbar wenig stรถrt. Mit jeder Demonstration stieg die Kurve der Gewalt weiter an.

Was auf den ersten Blick verwundern kรถnnte, ist traurige Realitรคt. Mit jeder neuen Demonstration, ganz gleich, ob sich wie zuletzt die Legida-Demonstration und die Gegenproteste zahlenmรครŸig reduzierten, wurde in Leipzig die Auseinandersetzung verbissener gefรผhrt. Und die Gewalt stieg an. Auch die Polizei geriet am 21. und am 30. Januar anders als noch am 12. Januar selbst in Gemengelagen, in welchen offenbar nicht mehr jeder Beamte so professionell handelte, wie man es im Normalfall erwarten mรผsste. Zieht man mit dem 30. Januar einen Gedankenstrich unter die Vorkommnisse, weiรŸ man eigentlich nicht mehr wirklich, wie Markus Ulbig noch am gestrigen Dienstag, 10. Februar, dazu kam, laut MDR zu รคuรŸern, โ€œunter Ausรผbung von Gestaltungswillenโ€ hรคtte die Demo am 9. Februar mit seinen zugesagten 1.000 Beamten abgesichert werden kรถnnen.

In einem lรคngeren Gesprรคch schildert der Sprecher der Polizeidirektion Leipzig, Uwe Voigt, gegenรผber L-IZ anhand der Zahlen der eingegangenen Strafanzeigen und Ermittlungsvorgรคnge rings um die Demonstrationen vom 12. bis 30. Januar 2015, wie so ein โ€žGestaltungswilleโ€œ hรคtte realisiert werden mรผssen.

โ€žWir mรผssen derzeit die Zahlen so verstehen, dass sie sich nach wie vor noch tรคglich รคndernโ€œ, so der Leipziger Polizeisprecher. Es wรผrden auch immer noch weitere Anzeigen eingehen, der Staatsschutz ermittelt ebenfalls noch in weiteren Fรคllen. โ€žEs gibt sogar Bรผrger aus anderen Bundeslรคndern, welche uns jetzt noch Anzeigen vom 12. und vom 21. Januar schicken.โ€œ Der dargestellte Stand der Zahlen sei demnach vom Montag den 9. Februar, 16 Uhr. โ€žFรผr den 12. Januar hatten wir โ€˜nurโ€™ 17 Anzeigen in den darauf folgenden Tagen vorliegenโ€œ, so Uwe Voigt. โ€žDabei gab es im Demonstrationsgeschehen selbst eine Beleidigung, welche ein Legida-Anhรคnger angezeigt hat. Ansonsten handelt es sich bis auf einen weiteren Fall einer Anzeige wegen Kรถrperverletzung um Fรคlle von Sachbeschรคdigungen und Brandstiftung an diesem Tag, welche sich dem unmittelbaren Demonstrationsgeschehen zuordnen lassen.โ€œ

Bei den Brandstiftungen handelt es sich um brennende Mรผlltonnen und einen Pkw, welcher kurzzeitig im WaldstraรŸenviertel brannte. Die Kรถrperverletzung vom 12. Januar habe ein Legida-Anhรคnger angezeigt. Bemerkenswert bereits hier: Die Gegenproteste waren an dem Tag mit geschรคtzt 30.000 am stรคrksten, auch Legida brachte (beide Zahlen laut Polizei) 4.800 Anhรคnger auf die StraรŸen im WaldstraรŸenviertel. Und dennoch liegt bislang auch entgegen der Ausfรผhrungen vieler Legida-Anhรคnger im Netz genau eine Anzeige wegen einer schweren Straftat vor. Nicht 20 oder mehr, wie man nach den Beitrรคgen nach dem 12. Januar hรคtte vermuten mรผssen. Offenbar tobte von Beginn an eine Art Propaganda-Krieg im Netz, wer nun friedlicher sei und wer nicht.

Und das Aufschaukeln zeigte Wirkung auf beiden Seiten. Die Zahlen vom 21. Januar, als es fรผr die 5.000 Legida-Teilnehmer bei rund 15.000 auf der Gegenseite vom Augustusplatz รผber einen Teil des Leipziger Rings ging, bieten auf einmal ein weit drastischeres Bild. Die Kurve der Delikte auf beiden Seiten ging steil nach oben.

Uwe Voigt: โ€žNach dem 21. Januar gingen in den nรคchsten Tagen danach 60 Anzeigen ein. Da der Termin noch nach dem 12. Januar liegt, schรคtzen wir, dass dies noch nicht den Endstand darstellt. Es ist also keine abschlieรŸende Bewertung des Geschehens an diesem Tag.โ€œ Dabei war es zwar am 21. Januar laut Voigt erneut wieder vorwiegend um Beleidigungen gegangen, welche seitens Legida-Anhรคngern zur Anzeige gebracht wurden. Erstmals jedoch auch um die Beeintrรคchtigung des Zugverkehrs, also die beiden Kabelschรคchte, welche im Umfeld von Leipzig laut Polizeimeldung von diesem Tag โ€ž โ€ฆ am Nachmittag Stromleitungen neben der Trasse in Brand gesteckt und hierdurch einen Signalausfall bewirktโ€œ hatten. Nach dem versuchten Zweck zu urteilen, dem linksextremen Lager zuzuordnen, doch genaue Erkenntnisse haben die Ermittlungen des Staatsschutzes und der Kriminalpolizei bislang noch nicht ergeben.

Des Weiteren kam es an diesem Tag zur Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemรครŸ Strafgesetzbuch Paragraf 86a. โ€žPersonen sollen hier unter anderem aus einem fahrenden Pkw heraus den HitlergruรŸ gezeigt haben. Das kann man dann wohl eher Legida zuordnen.โ€œ Vor allem am Augustusplatz war es an diesem Tag laut Polizei auch zu Nรถtigungen und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gekommen. Bislang mehrheitlich eher auf Seiten von Gegendemonstranten einzuordnen, welche ihren Protest durch mehr auszudrรผcken versuchten, als durch Rufe wie beispielsweise โ€žHaut abโ€œ.

Die in diesem Umfeld angezeigte eine Nรถtigung, wurde von einem Legida-Sympathisanten moniert, welcher zur Demonstration wollte und dabei behindert wurde. Nimmt die Polizei an, denn selbst hier muss Voigt noch einschrรคnken, dass die Zeugenvernehmungen zu allen angezeigten Fรคllen noch laufen wรผrden. Manche Zeugen, wie im Falle der Nรถtigung, konnten aufgrund der Menge der Anzeigen noch gar nicht befragt werden. Noch fรคllt also die Zuordnung gerade in diesen Fรคllen schwer.

Wรคhrend sich in der Rรผckschau im Umfeld des Augustusplatzes die Gegendemonstranten zunehmend der Staatsgewalt direkt gegenรผber sahen, รคnderte sich auch in den Reihen der Legida am 21. Januar einiges deutlich.

Denn โ€“ und das lรคsst sich bereits feststellen โ€“ an diesem Tag stieg auch seitens der Legida-Teilnehmer die Rate der VerstรถรŸe gegen das Sรคchsische Versammlungsgesetz rapide an. Was mit Beobachtungen vor Ort korrespondiert, welche eine geรคnderte Mischung des Legida-Publikums hin zum vermehrten Auftreten von gewaltbereiten Hooligans und rechtsradikalen Krรคften zeigten.

Hier sei es laut Polizeisprecher Voigt nun vermehrt zu Vermummungen, dem Mitfรผhren von Reizgas und dem Auftauchen von Zahnschutzvorrichtungen gekommen, wie sie gern bei StraรŸenschlรคgereien von Gewalttรคtern vorsorglich vor รœbergriffen zum Eigenschutz eingesetzt werden.

Interessant auch die Zahlenverteilung von schwereren und minderschweren Straftaten an diesem Tag. Das Gewicht verlagerte sich am 21. Januar mit insgesamt 14 schweren Kรถrperverletzungen, einem weiteren Brandanschlag auf die S-Bahn-Station am MDR und einen Landfriedensbruch einer Gruppe, welche an der InselstraรŸe Polizeibeamte mit Steinen attackierten, in Richtung schwere Straftaten. Welche nunmehr 16 unter bislang 60 Anzeigen gesamt ausmachen und nicht mehr eine unter 17. Darunter auch eine Anzeige gegen einen Polizisten wegen Kรถrperverletzung im Amt.

Dieser habe laut Vorwurf einen Gegendemonstranten an einer Absperrung geschlagen und getreten. Hinzu kommt die Strafanzeige wegen des gewaltsamen รœbergriffes auf einen Journalisten aus der Legida-Demonstration heraus, welche direkt bei der Staatsanwaltschaft gestellt wurde. Bei der Auswertung des vorliegenden Materials dรผrften sich hierbei von ganz allein weitere Tatbestรคnde bei weiteren Mitgliedern einer Gruppe gewaltbereiter Personen an der Spitze des Legida-Zuges ergeben.

Aus einer noch am 12. Januar weitgehend friedlichen Auseinandersetzung um die StraรŸenhoheit war ein erster Abend vermehrter Gewalt geworden. Was auf beiden Seiten auch die Teilnehmerzahlen ab hier sinken lieรŸ.

Denn mit Blick auf den bislang dritten offiziellen Demonstrationsabend am 30. Januar konstatiert Voigt: โ€žMan kann es so sagen: es hat sich einfach von Demo zu Demo weiter aufgeschaukelt.โ€œ Und verweist auf die bereits im Einsatzbericht der Polizei am 31. Januar genannten Vorgรคnge. Ein wirklicher รœberblick รผber die Gesamtzahl der Anzeigen lรคge noch nicht vor, hier sammelt die Polizei weiterhin ein und wird sich noch dazu รคuรŸern.

Doch bereits im Einsatzbericht heiรŸt es: โ€žUnbekannte hatten am Mittag, in Hรถhe Naunhof, sowohl einen Kabelverteiler an der Trasse MeiรŸen โ€“ Leipzig in Brand gesetzt, als auch in unmittelbarer Nรคhe Kabel der Signalanlage zerschnitten. In der Folge musste die Zugverbindung eingestellt und Schienenersatzverkehr eingesetzt werden. (โ€ฆ) Ein weiterer รœbergriff auf Signalanlagen der Bahn wurde gegen 17:44 Uhr, an der Anschlussstelle Markkleeberg-Nord, verรผbt. Auch dieser Kabelbrand verursachte eine komplette Sperrung der Bahnstrecke, die allerdings gegen 21:45 Uhr wieder freigegeben werden konnte.โ€œ

Im Umfeld der stationรคren Kundgebung der am 30. Januar auf 1.500 Teilnehmer geschrumpften Legida-Veranstaltung und den 5.000 Gegenprotestlern kam es zu mehr als nur ein paar Rangeleien. Eine Barrikade wurde durch Beamte unter Anwendung von Pfefferspray und teils Mann zu Mann ausgeรผbter Gewalt gerรคumt, es kam zu 17 Festnahmen und skurrilen Szenen. So lieferte sich ein Beamter eine Auseinandersetzung mit einem Journalisten โ€“ Filmsequenzen zeigten spรคter das aktive Vorgehen des Polizisten, welcher nur mรผhsam von den eigenen Kollegen gebรคndigt werden konnte. Verhaftet wurde der Journalist dennoch vorerst und noch am Abend wieder gehen gelassen. Wรคhrend der Widerstand gegen Legida auf dem Georgiring gewaltfrei verlief, entwickelte sich vor allem der Bereich GoethestraรŸe und rings um den Schwanenteich zu einer Art Nahkampfzone vor allem zwischen Gegendemonstranten und Polizei. NoLegida sammelt dazu bis heute weiter Erfahrungsberichte und Anzeigen ein, einer der Organisatoren, Rechtsanwalt Jรผrgen Kasek, berichtete im Nachgang, von einem Beamten anlasslos โ€žumgetreten wordenโ€œ zu sein. Hier dรผrften also weitere Beschuldigungen auch gegen die Polizeibeamten eingehen.

Auch auf dem Augustusplatz selbst registrierte die Leipziger Polizei ein weiteres Abschmelzen des eher bรผrgerlichen Publikums zugunsten einer Gruppe von mindestens 300 gewaltsuchenden Personen. Hier darf man nach L-IZ-Beobachtungen vor Ort gern noch weitere rechte Gruppierungen hinzurechnen, da sich die Polizei bei ihren Zahlen auf den harten Kern bezieht. Auch dieser musste von Beamten laut Bericht teils davon abgehalten werden, sich mit Gegendemonstranten zu โ€žduellierenโ€œ.

Das Fazit noch ohne die konkreten Zahlen der Anzeigen von Bรผrgern, welche bis heute bei der Polizei Leipzig eingehen. โ€žIm Zuge des Einsatzes wurden zahlreiche Straftaten (z. B. Landfriedensbruch, VerstรถรŸe gegen das Versammlungs-, Waffen- und Sprengstoffgesetz, Sachbeschรคdigungen, Beleidigungen, Kรถrperverletzungsdelikte, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) registriert, zu denen noch kein abschlieรŸender Stand mitgeteilt werden kann. Siebzehn Personen mussten in Gewahrsam genommen werden; zudem wurde mindestens ein Polizeibeamter leicht verletzt.โ€œ

Das bisherige Fazit der Leipziger Polizei

Eine genaue Zuordnung ist hier also noch unmรถglicher als zu den vorherigen Demonstrationen, aber eines ist Uwe Voigt im bisherigen Endfazit zum 30. Januar wichtig: โ€žAls signifikant ist der erhebliche Anstieg bei schweren Straftaten um zirka 45 Prozent bei einer Reduzierung der Versammlungsteilnehmer an den Demonstrationen um 80 Prozent zu verzeichnen.โ€œ

Oder mit anderen Worten. Immer weniger Teilnehmer wurden immer gewalttรคtiger. In Teilen lief der Einsatz nicht optimal, die Beamten standen kurzzeitig an der รœberforderungsschwelle angesichts des Gesamtpotentials von beiden Seiten und einige waren offenbar am 30. Januar schon darรผber hinaus.

Wenn es nach Innenminister Markus Ulbig gegangen wรคre, hรคtte man mit der Hรคlfte der am 30. Januar zur Verfรผgung gestellten 2.000 Kollegen die Demonstration am 9. Februar realisieren sollen. Dazu hatte die Polizeidirektion Leipzig offensichtlich keine Lust mehr. Sie schlug wohl folgerichtig mehr als die angebotenen 1.000 (anfangs 800) Einsatzpolizisten vor und warnte das Ordnungsamt Leipzig in einem Brief, welcher L-IZ vorliegt. Darin heiรŸt es am 6. Februar wรถrtlich seitens des Leiters des Fรผhrungsstabes Torsten Schultze: โ€žDie letztlich zugesagten acht Hundertschaften reichen nach Einschรคtzung der Polizeidirektion Leipzig weder fรผr die Absicherung aller MaรŸnahmen einer Kundgebung von LEGIDA geschweige denn eines Aufzuges.โ€œ

Auf der Facebook-Seite von Legida steht seit dem heutigen Mittwoch zu lesen: โ€žAufruf zum 4. Abendspaziergang mit LEGIDA am 16. Februar 2015 19:00 Uhr auf dem Augustusplatz!โ€œ. Mal sehen, wie viele Polizisten der Innenminister diesmal hat und ob Legida im Gegensatz zum 9. Februar das Erstanmelderrecht wahrnehmen konnte.

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