Ein Leipziger (38) sticht dutzendfach auf seine Ehefrau und die älteste Tochter (15) ein. Die Opfer werden bei der Bluttat lebensbedrohlich verletzt. Nur weil der Messer-Angriff schnell entdeckt wird, überleben die Frauen. Die Staatsanwaltschaft wirft Djamal A. versuchten Mord in drei Fällen vor. Das Motiv: Der Iraker fürchtete um seinen alleinigen Autoritätsanspruch innerhalb der Familie.
Der Angeklagte sieht aus, als könne er keiner Fliege etwas zuleide tun. Djamal A., ein untersetzter Mann, der auf dem linken Ohr nur schwer hört, sieht mitgenommen aus, als er am Montag von zwei breitschultrigen Justizbeamten gegen 13:15 Uhr in Handschellen in Saal 230 des Landgerichts geführt wird.
Das Gesicht verdeckt er mit einem schwarzen Schnellhefter vor den fünf Fotografen, die zum Prozessauftakt erschienen sind. Für Leipziger Verhältnisse ein durchschnittliches Medieninteresse. Der MDR ist nicht erschienen. Dabei böte der Fall zumindest Stoff für das Boulevardformat “Brisant” oder den Nachmittagskaffee bei “MDR ab vier”.
Für Djamal A. geht es seit heute um viel. Um sehr viel. Womöglich sogar um alles oder nichts. Das klingt nach Glücksspiel. Der Vergleich kommt nicht von ungefähr. Sollte der Iraker im Sinne der Anklage schuldig gesprochen werden, liegt sein Schicksal auch in den Händen von Gerichtspsychiater Hans Amlacher. Der Vorsitzende, Hans Jagenlauf, weist den Angeklagten nach Verlesung der Anklageschrift “höchst vorsorglich” darauf hin, dass bei Urteilsfindung eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung Thema sein könnte.
Am 31. August 2014 soll A. seine Gattin Fouzia und seine Tochter Awil in der gemeinsam bewohnten Wohnung in der Lützner Straße heimtückisch niedergestochen haben. Die Staatsanwaltschaft geht von versuchtem Mord in drei Fällen aus. Der Erwerbslose soll mit einem Küchenmesser zunächst auf seine Frau vier Mal eingestochen haben.
Als sich Awil, von den Schreien der Mutter alarmiert, dazwischen wirft, greift der Familienvater auch sie an, sticht 16 Mal auf die zur Tatzeit 15-Jährige ein. Anschließend soll er Fouzia A. weitere 15 Stiche verpasst haben. Ob Djamal A. im juristischen Sinne tatsächlich im kurzen Abstand zwei Mal versucht hat, seine Frau zu töten, wird Gegenstand der Beweisaufnahme sein.
Motiv der Bluttat soll sein, dass der Angeklagte seinen alleinigen Autoritätsanspruch innerhalb der Familie gefährdet gesehen habe. Gattin und Tochter habe er wie Eigentum behandelt. Dies ergebe sich nicht aus der Akte, meint dagegen Verteidiger Stefan Bonell. “Er hatte zu keinem Zeitpunkt vor, seine Ehefrau und seine Tochter zu töten.”
Djamal A. beginnt damit, dem Gericht seine Version der Geschehnisse zu erzählen. Als politisch Verfolgter flüchtete der Iraker um den Jahrtausendwechsel nach Deutschland. Seit 2001 lebt er in Leipzig. Seine Familie kam 2006 nach. Der Flüchtling hatte Probleme, sich zu integrieren. Bis heute beherrscht er nicht die deutsche Sprache. Wenn er eigenes Geld verdiente, dann mit einfachen Hilfsarbeiterjobs, auf der Baustelle und in der Gastronomie.
“Wir haben uns verstanden”, umreißt er die Beziehung zu Ehefrau Fouzia. “Wir haben mit Liebe zusammengelebt. Es gab keine Probleme”. Bis 2012. Dann soll ein Onkel Fouzias die Hegemonie torpediert haben. Der Verwandte habe ihr eröffnet, sie könne relativ leicht die deutsche Staatsbürgerschaft und eine Rente erlangen. Offensichtlich sorgte die Diskussion um die mögliche Einbürgerung für Streit. Angeblich haben sich der Onkel und Fouzia gegen ihn, den hart arbeitenden Familienvater, verschworen.
Je länger man dem Iraker zuhört, desto mehr fällt sein Egozentrismus auf. Immer wieder betont A., wie sehr er sich für die Familie aufgeopfert habe. Die Verantwortung für Streitereien mit der Frau soll allein bei deren Verwandten liegen. Längst ist Djamal A. in Selbstmitleid versunken. “Ich weine wegen meiner Familie”, erklärt er dem Gericht seine Tränen. “Wenn ich ins Gefängnis komme, ist das schlimm. Aber was richtig schlimm ist, ist der Verlust meiner Familie.”
Der Prozess wird fortgesetzt.
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